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Fertigstellung des 500. in Schönefeld produzierten Rumpfs eines Bombers vom Typ Junkers Ju 88 im Jahr 1940.

© Wasmuth & Zohlen Verlag

Früher Bombenfabrik, heute Hauptstadtflughafen: Die braune Luftfahrtgeschichte von Berlin-Schönefeld

Auf dem heutigen BER-Areal stellte der Henschel-Konzern einst Kampfflugzeuge und Bomben her. Dabei wurden auch Zwangsarbeiter eingesetzt.

In den vergangenen Jahren haben sich bereits einige in Berlin ansässige Institutionen mit ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus beschäftigt und Historiker mit deren Erforschung beauftragt. Erst im Vorjahr erschien eine Studie über die Stadtreinigung, die damit dem Vorbild der BVG, der Deutschen Bahn oder auch des Auswärtigen Amts folgte. Jetzt ist eine weitere Untersuchung erschienen, diesmal zu Schönefelds brauner Luftfahrtgeschichte, initiiert noch von Engelbert Lütke Daldrup, dem vor Jahresfrist aus dem Amt geschiedenen Flughafen-Chef.

Ein entscheidender Unterschied besteht allerdings zu früheren Publikationen. Geht es hier doch nicht um die Vorgeschichte des 2020 eröffneten BER und seiner ebenfalls vergleichsweise jungen Betreibergesellschaft – sondern um die NS-Vergangenheit des Areals, auf dem er sich befindet.

Titelthema des Buches ist also nicht der aktuelle, völlig unverdächtige Airport, vielmehr „Der erste Flugplatz in Schönefeld. Im Dienst des nationalsozialistischen Krieges“. Ein wenig bekannter, zuvor kaum erforschter Komplex, dessen sich jetzt ein Expertenteam angenommen hat: Harald Bodenschatz vom Center for Metropolitan Studies der TU Berlin sowie Christoph Bernhardt, Stefanie Brünenberg und Andreas Butter vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner.

Die meisten verbinden wohl, abgesehen vom BER-Debakel, mit dem Namen Schönefeld den Aufbruch zu Urlaubsfreuden oder Geschäftsterminen. Aber bestimmt nicht das, was vorn auf dem Buchdeckel prangt: Kampfflugzeuge des Typs Henschel Hs 123 – ein Ausschnitt aus der Anzeige der Henschel Flugzeugwerke A.G. Schönefeld im 1939 erschienenen Sonderheft „Wir kämpften in Spanien“ der Zeitschrift „Die Wehrmacht“. Dargestellt sind laut Bildtext „Sturzbomber im Angriff auf rotspanischen Kriegshafen“.

Hauptsitz des erst 1964 aufgelösten Henschel-Konzerns war Kassel, seine Produktpalette umfasste Lokomotiven, Lastwagen, Busse, Panzer, Motoren – und während der NS-Zeit in Schönefeld eben auch Flugzeuge.

Firmenchef Oscar R. Henschel hatte nach der Machtergreifung der Nazis schnell erkannt, dass auf dem Sektor der Rüstung und besonders mit der Produktion von Militärflugzeugen viel Geld zu verdienen war. Aus 19 erwogenen Produktionsorten um Berlin wurde schließlich ein Ackergelände zwischen Schönefeld und dem damals noch südlich gelegenen, heute zugunsten des BER Richtung Königs Wusterhausen umgesiedelten Dorfes Diepensee ausgewählt.

Die meisten von uns wissen nur wenig über die damalige Funktion der Gebäude und Anlagen.

Engelbert Lütke Daldrup, Ex-Flughafenchef

Den zunächst widerspenstigen Großgrundbesitzer stimmte man nach einer Intervention bei Adolf Hitler und Hermann Göring um. Am 15. Oktober 1934 begannen die Bauarbeiten, bereits am 5. Mai 1935 startete die Produktion. Am Jahresende lag die Zahl der Beschäftigten schon bei über 4700, sie stieg nach Kriegsbeginn auf mehr als 15.000.

Das Werk mit eigenem Flugplatz und der Lufterprobungsstelle Diepensee wurde von Görings Luftfahrtministerium als „das modernste, nach neuen Gesichtspunkten aufgebaute Flugzeugwerk“ gepriesen. Es war Teil eines Berlin umschließenden Rings von Flugplätzen und Produktionsstätten, die den Großraum zu einem Zentrum der Luftrüstung machten – mit dem Flughafen Tempelhof als monumentalem Mittelpunkt.

Flugzeuge wie die von der Legion Condor in Spanien und der Luftwaffe im Polen-Feldzug eingesetzte Hs 123 oder die im Landser-Jargon wegen ihrer Erfolge bei der Panzerbekämpfung „Büchsenöffner“ genannte Hs 129 wurden in Schönefeld gebaut. Aber auch Lizenzbauten wie der Sturzkampfbomber Junkers Ju 88 oder Tragflächen für das Jagdflugzeug Messerschmitt Bf 109. Produziert wurden auch ferngelenkte Gleitbomben, deren Treffsicherheit der zeitweise bei Henschel angestellte Computerpionier Konrad Zuse mit seinem Spezialrechner S1 zu optimieren suchte.

Fließbandproduktion und 5000 Zwangsarbeiter

Das Werk bediente sich modernster Fertigungstechniken, setzte zunehmend aufs Fließband, schon weil auch ungelernte Kräfte einzusetzen waren. Und deren Anteil nahm kriegsbedingt zu. Die deutschen Facharbeiter verschwanden an die Front, ersetzt wurden sie durch bis zu 5000 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen, Kriegsgefangene und KZ-Insassen. Diese wurden in schnell hochgezogenen Barackenlagern untergebracht.

Angesichts der erbärmlichen Lebensumstände sowie der unzureichenden Verpflegung und medizinischen Versorgung war es „nicht verwunderlich, dass in dem Lager jede Nacht etwa 30 und mehr Abgänge waren, Menschen, die vor Entkräftung oder an Krankheiten gestorben waren“, wie einer der Häftlinge zitiert wird.

In der Schlussphase des Krieges wurde Schönefeld vom Werks- zum Feldflugplatz der Luftwaffe, die von dort Angriffe auf die sich nähernde Rote Armee flog. Am 22. April 1945 endete die Flugzeugproduktion, wenige Tage später nahmen sowjetische Kräfte den Henschel-Komplex ein. In den Folgejahren wurden die Anlagen teils als Reparationsgut demontiert, teils abgerissen und das gesamte Areal 1948 verstaatlicht. Schon im Jahr zuvor hatten die Sowjets den Umbau zum Zivilflughafen befohlen, den sie bis 1958 auch militärisch nutzten. Diese provisorische Frühphase von Schönefeld endete erst 1976 mit dem Bau des neuen Terminals.

Einige Gebäude des Henschel-Werks haben alle historischen Umbrüche überstanden. Sogar Reste eines „Fremdarbeiter“-Lagers gibt es noch. Nordöstlich des neuen BER-Komplexes werden die Hallen der Lufterprobungsstelle Diepensee nun vom Berlin Aviation Service genutzt. Südwestlich des alten Terminals steht noch das Direktorenhaus, in dem der BER-Schallschutz untergebracht ist.

Der Gebäudekomplex aus dem Henschel-Verwaltungsgebäude und dem „Kameradschaftshaus“ dient nun als Konferenzzentrum, Kantine und Sitz der Geschäftsführung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. „Doch die meisten von uns wissen nur wenig über die damalige Funktion der Gebäude und Anlagen“, schreibt Engelbert Lütke Daldrup im Editorial. Der Mangel ist jetzt leicht zu beheben.

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