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Unter anderem Taxi-Kleinbetriebe können in Berlin derzeit keine Zuschüsse beantragen, wenn sie mehr als zehn Mitarbeiter haben (Symbolbild).

© Andreas Arnold/dpa/pa

Berlins Mittelstand ruft um Hilfe: Förderlücke bei Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern

Bund und Land haben große Konzerne und kleinste Firmen im Blick. Arbeitgeber mit mehr als zehn Beschäftigten aber fühlen sich bei den Corona-Hilfen vergessen.

Eckhart Zieschank kommt in seinem Brief an den Tagesspiegel ohne Umschweife zur Sache: „Hallo, wir sind ein sogenannter Taxi-Kleinbetrieb“, schreibt er dieser Tage. „Wir haben das Pech, dass wir mehr als zehn Mitarbeiter haben und somit zur Zeit keine Zuschüsse beantragen können.“ Laut Wirtschaftssenatorin sei das für Berlin nicht vorgesehen – diese Betriebe könnten ja zinsfreie Kredite beantragen.

Zieschank will keine Kredite, „weil wir diese ja zurückbezahlen müssten und wir sowieso seit einiger Zeit wegen Uber und Co. am Limit sind“, erklärt er. Also hat der mittelständische Unternehmer den Betrieb vorübergehend stillgelegt. Das heißt, alle 27 Taxen auf einem umzäunten Grundstück in Brandenburg abgestellt, um von der teuren Taxihaftplichtversicherung befreit zu werden. „Erstmal Winterschlaf.“

Für die festangestellten Fahrer habe man Kurzarbeitergeld beantragt. „Wir wissen von einigen befreundeten Taxibetrieben, dass sie es genauso handhaben.“ Die weiter anfallenden Kosten wie Kfz-Steuer, Ladenmiete, monatliche Tilgungen der Taxenanschaffungskredite, Beiträge für die Berufsgenossenschaft, könne man vielleicht noch für den April aufbringen. „Dann droht uns die Insolvenz“, schreibt Zieschank.

Seine Spraywald Taxi GmbH gibt es mehr als 35 Jahre. „Viele Mitarbeiter würde unsere Pleite in Existenznöte bringen.“

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Thomas Heilmann, der ehemalige Justizsenator und heutige Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Steglitz-Zehlendorf, kennt solche Geschichten zuhauf. Er gibt neuerdings jede Woche kostenlose Internet-Seminare, auch „Webinar“ genannt (www.heilmann.berlin). Hier können Unternehmer ihre Fragen zu den Hilfsprogrammen diskutieren.

Der CDU-Politiker und Jurist Heilmann ist selbst Unternehmer, hat in mehr als 30 Jahren mehr als 30 Unternehmen mitgegründet und war unter anderem jahrelang Chef der weltweiten Scholz & Friends Gruppe. „Mich erreichen jeden Tag Firmeninhaber, die bisher keine Förderung bekommen haben und nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll.“

1,3 Milliarden Euro für Kleinstunternehmer, Solo-Selbstständige und Freiberufler

Ihr einziges Problem, das eigentlich keines sein dürfte: Sie beschäftigen mehr als zehn Mitarbeiter. So konnten sie keine unbürokratische Zahlung aus dem Soforthilfeprogramm II beantragen, mit denen die Berliner Landesregierung sehr schnell insgesamt 151.000 Berliner Kleinstunternehmern, Solo-Selbstständigen und Freiberuflern geholfen hat.

Binnen einer Woche zahlte die IBB bis vergangenen Freitagmittag insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro an diese Gruppe aus.

Seit Mittwoch galt ein Antragsstopp, aber am Montag ab zehn Uhr öffnet die IBB einen Zugang zu einem Topf des Bundes: Wieder gibt es Zuschüsse für Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten in Höhe von 9000 Euro und für Betriebe mit sechs bis zehn Beschäftigten in Höhe von 15.000 Euro. Und der Bund kümmert sich natürlich auch um die ganz großen Firmen ab 249 Mitarbeiter.

„Wenn das Land Berlin hier nicht nachsteuert, gibt es ein wirtschaftliches Blutbad“

Und die anderen? Größere Arztpraxen, Friseursalons, Restaurants, Eventagenturen, KfZ-Werkstätten mit elf oder mehr Beschäftigten? „Sie alle fallen durch das Raster“, erklärt der Abgeordnete Heilmann, der im Bundestag in den Ausschüssen Digitale Agenda und Arbeit und Soziales mitarbeitet. „Wenn das Land Berlin hier nicht schnell dem Beispiel anderer Länder folgt und nachsteuert, gibt es ein wirtschaftliches Blutbad“.

Konkret wünscht sich der Christdemokrat ein „Soforthilfeprogramm III“ für Unternehmen ab elf Angestellten. „Das wäre die volkswirtschaftlich beste Lösung“, glaubt er. Eine andere Möglichkeit wäre es, wenn die landeseigene IBB täte, was die bundeseigene Förderbank KfW aus beihilferechtlichen Gründen nicht tun darf: Die fehlenden Prozente beim des Kreditausfallrisiko zu übernehmen, damit Kredite zu 100 Prozent verbürgt sind – vielleicht mit einem Besserungsschein, sodass das Land an geretteten Firmen später auch etwas verdient.

Dieter Puchta, Sozialdemokrat und bis 2009 selbst Chef der IBB, schlug diese Woche erneut vor, dass die Hausbanken allen selbstständigen Kunden, „die bis dato ihr Konto anständig geführt haben“, sofort eine Überziehung beziehungsweise Kredit in Höhe von 10.000 Euro zur Verfügung stellen. Das Land solle den Banken den Betrag „garantieren“, wenn er nicht innerhalb von zwei bis drei Jahren zurückgeführt werden könne.

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Die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) kann noch keine Lösung präsentieren. Nach ihrer letzten Videokonferenz mit Banken und Verbänden am Freitagabend ließ sie mitteilen, dass man die Not der Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten sehe. „Hierzu sind wir in Gesprächen und Abstimmungen – einerseits zum Nachtragshaushalt des Landes und andererseits mit dem Bund.“ Man werde weiter in Vorleistung gehen, erklärte sie. „Wir müssen aber auch die Leistbarkeit des Landes Berlin bewahren.“

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Diese Förderlücke trifft auch Berliner Sozialunternehmen, sagt Gabriele Schlimper, die Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. So seien zwar die meisten Hilfsangebote, auf die die Betroffenen einen Rechtsanspruch haben, mittlerweile „ganz gut“ abgesichert. „Die vielen Unternehmen mit Mischfinanzierung, die Berührung zur freien Wirtschaft haben, sind aber akut bedroht“.

In Hamburg bekommen auch Firmen mit 20 Beschäftigten kurzerhand Geld

Werkstätten, Cafés oder Schreinereien für Menschen mit und ohne Behinderungen zum Beispiel. Die brauche es aber, da viele Menschen mit Behinderung oft ausschließlich bei der Arbeit sozialen Kontakte hätten. Auch der Paritätische selbst ist betroffen, alle Mitarbeiter des internen Bildungsinstitutes habe man in Kurzarbeit schicken müssen.

Schlimper wünscht sich Hamburger Verhältnisse: In der Hansestadt bekommen auch Firmen mit 20 Beschäftigten kurzerhand Geld.

Dieser Tage schrieb eine Vertreterin des Personaldienstleisters Aventa am Bahnhof Friedrichstraße. Man habe in 16 Jahren versucht, die Zeitarbeit menschlicher zu gestalten. „Wir haben daher auf Lohndumping oder Unternehmen verzichtet, die ihre Mitarbeiter schlecht bezahlen. Als Bilanz für diese ehrliche Arbeit bleiben uns nicht viele Rücklagen und die Erkenntnis, dass die sogenannten Hilfsmaßnahmen der Regierung uns ausschließen.“

Ein Offener Brief der Inhaberfamilie Rabe dürfte vielen Mittelständlern aus der Seele sprechen: „Bislang in unserer Firmengeschichte konnten wir uns immer auf uns selbst verlassen. Gab es Durststrecken, haben wir uns aus eigener Kraft immer wieder davon erholt. Gab es Reformen, die uns die Arbeit erschwerten, haben wir das Beste daraus gemacht. Gab es Veränderungen am Markt, haben wir schnell, klug und flexibel darauf reagiert“.

Man sei eine starke, von Verantwortungsbewusstsein, Überzeugungen sowie einer hohen Arbeitsethik getragene Firma. Aber „Jetzt brauchen wir, wie Millionen andere, Hilfe“.

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