zum Hauptinhalt
Die Mahnwache zum 29. Todestag von Silvio Meier im U-Bahnhof Samariterstraße.

© imago images/snapshot

„Er ist präsent in unseren Herzen“: Vor 30 Jahren wurde Silvio Meier in Berlin von Neonazis getötet

Am 21. November 1992 erstachen rechtsextreme Jugendliche im U-Bahnhof Samariterstraße den damals 27-jährigen Aktivisten. Seine Partnerin kämpft damit bis heute.

| Update:

Normalerweise meide sie die Silvio-Meier-Straße, sagt Christiane Schidek. Vor allem aber den Aufgang des U-Bahnhofs Samariterstraße, der in Richtung der Straße führt. Vor 30 Jahren, am 21. November 1992, wurde ihr Lebensgefährte Silvio Meier in dem Bahnhof von jugendlichen Neonazis erstochen. Er wurde 27 Jahre alt. Heute erinnert eine Gedenkplakette im U-Bahn-Aufgang an ihn.

An einem Abend kurz vor dem 30. Jahrestag seiner Ermordung steht Schidek, dunkle Jacke und blonde Locken, in der Straße. Sie ist merklich nervös, ihre Augen sind feucht. Sie sagt: „Er ist natürlich sowieso präsent in unseren Herzen. Aber dadurch, dass Silvio zu einer Art öffentlichen Person geworden ist, kann man nicht so richtig damit abschließen. Die Traurigkeit kommt immer wieder hoch.“

Trotzdem finde sie gut, dass an Silvio Meier erinnert wird, sagt sie. „Uns als Familie ist wichtig, dass es dabei nicht nur um ihn geht, sondern um all die Opfer – und dafür steht aus unserer Sicht auch die Demo.“

Seit 2013 heißt die Straße in direkter Nähe zum Tatort nach Silvio Meier.

© IMAGO/IPON

2012, 20 Jahre nach dem Mord, wurde die Gabelsberger Straße in direkter Nähe zum Tatort nach Silvio Meier umbenannt. Seit 2016 vergibt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg jährlich einen gleichnamigen Preis, mit dem Menschen ausgezeichnet werden, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung engagieren.

Die linke Szene Berlins veranstaltet jährlich eine Mahnwache an seinem Todestag und am darauffolgenden Samstag eine Demo, die auch an andere Opfer rechtsextremer Gewalt erinnern soll. Man kann sagen, dass Silvio Meier längst eine Art Symbol geworden ist, ein Symbol für die Gefahr rechter Gewalt. Er ist einer von mindestens 187 Menschen, die seit der Wiedervereinigung in Deutschland Todesopfer von Rechtsextremen wurden.

An jenem 21. November 1992 war er mit Freund:innen unterwegs. Im U-Bahnhof Samariterstraße trafen sie auf Jugendliche, von denen einer einen Aufnäher mit der Aufschrift „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ trug. Meier soll ihn darauf angesprochen haben. Es kam zur Auseinandersetzung, die jugendlichen Neonazis zogen laut Zeug:innen völlig unvermittelt Messer und stachen auf die Gruppe ein.

Im U-Bahnhof Samariterstraße erinnert eine Gedenkplakette an Meier.

© IMAGO/IPON

Silvio Meier wurde durch drei Stiche in die Lunge tödlich verletzt, zwei seiner Freunde schwer. Der 17-jährige Sandro S., der als Haupttäter identifiziert wurde, wurde später wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Zwei Mitangeklagte erhielten Bewährungsstrafen.

Silvio Meier war Aktivist, Antifaschist, Hausbesetzer. Christiane Schidek lernte er kennen, als sich beide in der DDR-Opposition, in der sogenannten Offenen Arbeit der Evangelischen Kirche, engagierten. Kurz nach der Wende gehörten Meier und Schidek zu den Erstbesetzern eines Hauses in der Schreinerstraße in Friedrichshain. Dort lebten sie gemeinsam mit ihrem Sohn, der zum Zeitpunkt des Mordes eineinhalb Jahre alt war.

Silvio hatte schon zu DDR-Zeiten Angst vor den Rechten.

Meiers Lebensgefährtin Christiane Schidek

„Silvio war ein fröhlicher, lebenslustiger, ganz offener Mensch“, erzählt Christiane Schidek. „Er hatte eine unheimliche Gabe, Leute mitzureißen, wenn er von einer Sache begeistert war.“ Damals, rund um die Wende, lebten Schidek und Meier eine Art Utopie. Plötzlich schien alles möglich. „Als die Wende kam, bildeten sich auf einmal ganz viele Parteien. Also gründeten wir auch eine Spaßvereinigung: Die Fröhlichen Friedrichshainer Friedensfreunde“, erzählt sie und strahlt für einen Moment.

Skindhead-Überfall an der Zionskirche

Es sei damals leicht gewesen, die Dinge nicht so richtig ernst zu nehmen. Überall gab es Freiräume, neue Möglichkeiten, Gelegenheiten, Dinge zu bewegen. „Ich habe das Gefühl, heute haben es junge Menschen viel schwerer, sich für oder gegen etwas – etwa gegen rechte Gewalt – einzusetzen und ihren Protest sichtbar zu machen“, sagt sie.

Silvio Meier habe schon damals, inmitten der Aufbruchstimmung, Rechtsextremismus als Problem erkannt. 1987 gehörte er zu den Organisator:innen eines nicht-offiziellen Konzerts der West-Berliner Band Element of Crime in der Ost-Berliner Zionskirche. Damals griffen rechtsradikale Skinheads die Konzertbesucher:innen an und prügelten unter anderem mit Fahrradketten und Holzlatten auf sie ein. Die Polizei war zwar vor Ort, griff aber nicht ein.

„Silvio hatte schon zu DDR-Zeiten Angst vor den Rechten und hat die auch geäußert, als ich die Gefahr noch gar nicht ernstgenommen habe“, sagt Christiane Schidek. Als sie am 22. November 1992 erfuhr, dass Silvio Meier getötet worden war, habe sie das nicht fassen können. „Ich habe lange gebraucht, um das anzunehmen. Auch zu verstehen, was die einem angetan haben – dass etwa mein Kind ohne Papa groß werden musste.“

Auch in diesem Jahr gibt es wieder Gedenkveranstaltungen für Silvio Meier. Bereits am Montag, den 21. November, fand die Mahnwache an der Silvio-Meier-Straße/Kreuzung Frankfurter Allee statt. An derselben Kreuzung startet am Samstag, 26. November, um 18 Uhr die Demo, die anschließend nach Lichtenberg führt und am Roedeliusplatz enden soll. Angemeldet sind laut Polizei 300 Teilnehmende.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false