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Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Brandbrief an den Berliner Senat: Scharfe Kritik an S-Bahn-Plänen am Sinti-und-Roma-Denkmal

Die Pläne der Bahn für den Bau eines S-Bahn-Tunnels am Sinti-und-Roma-Denkmal zerstörten den Ort „unwiderruflich“, kritisieren Verbände und die Familie des Architekten. Doch der Zentralrat der Minderheit widerspricht.

Vertreter von Sinti und Roma in Deutschland und Prominente warnen den Berliner Senat vor einer Zerstörung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma durch den Bau des geplanten S-Bahntunnels unter dem Denkmal.

Der von der Deutschen Bahn und dem Senat unterstützte Vorschlag „entehrt die Opfer, die Überlebenden und deren Nachkommen“, schreiben die Verfasser, darunter Familienmitglieder des israelischen Architekten Dani Karavan, der 2021 verstorben ist, Verbandsvertreter der Sinti und Roma in Deutschland sowie Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in einem Brief an Verkehrssenatorin Manja Schreiner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU).

Sie fordern den Senat auf, „keine weiteren Schritte einzuleiten, bevor eine Trassenführung gefunden wird, die das Denkmal in seiner Gesamtheit unangetastet lässt“, heißt es in dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt. Zunächst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.

Langer Streit um S21 in Berlin

In dem bereits seit vielen Jahren andauernden Streit geht es um die Strecke der geplanten, zweiten Nord-Süd-S-Bahn im Berliner Untergrund, genannt S21. Deren zweiter Bauabschnitt soll in einem Tunnel vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz führen.

Das Vorhaben gilt als extrem kompliziert, da im Regierungsviertel im Untergrund neben der U5 und dem Fernbahntunnel kaum noch Platz für die nötigen Röhren vorhanden ist. Zudem muss die Bahn auf Drängen der Bundestagsverwaltung mehrere Meter Abstand zum Reichstagsgebäude halten.

Das Ziel, an die Nähe des Brandenburger Tors bereits vorhandenen Abstelltunnel anzuschließen, dem sogenannten Heuboden, ist daher nur mit sehr engen Radien und niedrigerer Geschwindigkeit möglich.

Hinzukommt der seit Jahren schwelende Konflikt um das Sinti-und-Roma-Denkmal. Erste Pläne der Bahn sahen eine offene Baugrube anstelle des Denkmals vor. Nach Protesten von Verbänden und Architekt Karavan hat die Bahn die Pläne in der Zwischenzeit zigfach überarbeitet.

Die aktuellste Variante, genannt 12h, sieht demnach nach Tagesspiegel-Informationen vor, die Röhren im Schildvortrieb unterirdisch zu graben und das eigentliche Denkmal weitgehend unberührt zu lassen. Lediglich ein unterirdischer Technikraum der Anlage müsste verlegt werden, wofür wohl eine mehrmonatige, kleinere Baugrube auf dem Areal nötig würde. Allerdings plant die Bahn eine große Baugrube in Richtung Brandenburger Tor. Dafür müssten auch an das Denkmal angrenzende Bäume des Tiergartens gefällt werden.

Ohne diese Bäume wären die einzigartige Atmosphäre und die Ruhe der Gedenkstätte zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor dauerhaft zerstört.

Aus dem Brandbrief

Dieser Baumbestand sei jedoch für Dani Karavans „künstlerische Vision von zentraler Bedeutung“, kritisieren die Verfasser des Briefs. „Ohne diese Bäume wären die einzigartige Atmosphäre und die Ruhe der Gedenkstätte zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor dauerhaft zerstört.“

Mit ähnlichen Worten zitieren sie Aussagen des verstorbenen Dani Karavan. Die Bäume seien „ein integraler Bestandteil des Denkmals und ein entscheidendes Element der Atmosphäre, die ich schaffen wollte. Wenn die Bäume in irgendeiner Weise verändert werden, wird die Lichtung ihre Eigenschaften verlieren“, hatte dieser kurz vor seinem Tod gesagt.

Die Deutsche Bahn erklärte auf Anfrage, dass es noch kein endgültiges Votum für eine Vorzugsvariante gebe. „Der Bau der neuen S-Bahn-Strecke S21 ist ein wichtiger Baustein für ein zukunftsfähiges Berliner S-Bahn-System“. Gemeinsam mit dem Senat sei man weiter in einem engen und aktiven Austausch mit den beteiligten Interessengruppen, sagte ein Sprecher. Dabei nehme der „maximale Schutz“ des Denkmals „selbstverständlich eine Schlüsselrolle ein“.

Ähnlich äußerte sich die Senatsverkehrsverwaltung: „Die Befürchtungen und Ängste der Sinti und Roma nehmen wir sehr ernst, deshalb sind wir nach wie vor in intensivem Austausch mit allen Beteiligten, um zeitnah eine konstruktive Lösung zu finden“, teilte eine Sprecherin mit. „Wir unternehmen alles, damit das Denkmal maximal geschützt wird.“

Deutsche Bahn und Senat wollen bei dem Thema nun dennoch offenbar vorankommen und die neueste Variante in die Planung bringen. Nach Tagesspiegel-Informationen ist eine entsprechende Beschlussvorlage für die Senatssitzung am 14. November vorangemeldet. Ende September gab es deshalb ein erneutes Vermittlungsgespräch von Schreiner, Chialo, der Deutschen Bahn sowie Vertretern der Sinti und Roma.

Als sich keine Einigung abzeichnete, soll Chialo dem Vernehmen nach die Verbändevertreter gebeten haben, ihrerseits bis zum 13. Oktober Verbesserungsvorschläge für eine Alternative zu machen. Stattdessen ging am Donnerstag jener Protestbrief bei den Senatoren mit folgender Anmerkung ein: „Es ist nicht die Aufgabe der betroffenen Minderheit, nach alternativen Lösungen für die Variante 12h zu suchen, sondern die moralische und politische Verpflichtung aller Deutschen, sich für die Unversehrtheit des Denkmals einzusetzen.“

Ganz anders als die Unterzeichner sieht es der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Dessen Vertreter haben den Brief nicht unterschrieben. Er ist daher auch Zeugnis des Streits innerhalb der Community. Der Zentralrats-Vorsitzende Romani Rose protestierte einst ebenfalls laut gegen die Pläne der Bahn. Zeigt sich mittlerweile aber deutlich offener für eine Lösung auf Grundlage der letzten Trassenvorschläge der Bahn.

Die Autoren hätten „wieder, wie in der Vergangenheit, falsche Behauptungen aufgestellt, dass das Denkmal ‚unwiderruflich zerstört‘ wird“, teilte der wissenschaftliche Leiter des Zentralrats Jonathan Mack mit.

Wohl fünf bis sechs Bäume auf dem Grundstück des Denkmals müssten beim Bau gefällt werden. Entscheidend sei, dass Karavans Ensemble anschließend „in seiner gesamten Wahrnehmung, mit den Bäumen, durch Neuanpflanzungen – auch mit bereits größeren Bäumen - wiederhergestellt wird“.

Die Notwendigkeit des Bauvorhabens für Berlin erkenne der Zentralrat an. „Wenn es nach allen Prüfungen keine anderen Alternativen der Streckenführung mehr gibt, will sich der Zentralrat Gesprächen nicht verschließen, um eine gemeinsame Lösung für dieses für Berlin wichtige Verkehrsprojekt zu finden“, erklärte er.

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