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Immer wieder campieren Obdachlose etwa am Neuköllner Maybachufer. In einigen Fällen soll künftig geräumt werden – das sieht zumindest der neue Leitfaden des Bezirkes vor.

© imago/Travel-Stock-Image

„Mittellosigkeit keine Gefahr für öffentliche Sicherheit“: Senatsverwaltung kritisiert Neuköllner Leitfaden zum Umgang mit Obdachlosigkeit

Ein Leitfaden des Amts für Soziales definiert unter anderem Orte, an denen Obdachlose nicht campieren dürfen. Der Staatssekretär bemängelt fehlende Hilfsangebote.

Der Leitfaden zum Umgang mit Obdachlosigkeit, den der frühere Neuköllner Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) kurz vor Amtsende veröffentlicht hat, beschäftigt weiter die Politik. Nach Kritik von Bezirksverordneten und dem Armutsbeauftragten des Evangelischen Kirchenkreises, Thomas de Vachroi, hat sich nun auch die Senatsverwaltung für Soziales von dem Dokument distanziert.

Auf Anfrage der Grünen-Abgeordneten Susanna Kahlefeldt und Taylan Kurt betont Staatssekretär Aziz Bozkurt in seiner Antwort zunächst, dass der Leitfaden in eigener Verantwortung des Sozialamtes Neukölln erstellt worden sei, die Senatsverwaltung sei nicht zuständig. Eine „gesamtstädtische Wirksamkeit“ entfalte der Leitfaden nicht.

Auf die Frage hin, wie die Senatsverwaltung das Dokument bewerte, findet Bozkurt dann aber recht deutliche Worte. „Insgesamt ist festzuhalten, dass der Leitfaden den Ordnungsgedanken und weniger den Unterstützungsgedanken in den Vordergrund stellt“, schreibt er. Zwar werde auch betont, dass die Straßensozialarbeit ausgebaut werden müsse.

Allerdings „reicht die dargestellte Form Sozialer Arbeit nur bis zur ordnungsrechtlichen Unterbringung der Betroffenen“. Weitere Hilfsangebote, etwa um andere soziale Schwierigkeiten zu überwinden, würden nicht angesprochen „Mittellosigkeit stellt zudem – anders als im Leitfaden dargestellt – keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Soziale Arbeit hat nicht die Aufgabe, Gefahren im öffentlichen Raum abzuwehren“, schreibt Bozkurt.

Soziale Arbeit hat nicht die Aufgabe, Gefahren im öffentlichen Raum abzuwehren.

Staatssekretär Aziz Bozkurt in seiner Antwort an die beiden Abgeordneten

Zudem sei die Differenzierung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Obdachlosigkeit „vereinfacht dargestellt“. Im Leitfaden wird jede:r, der oder die eine angebotene Unterkunft ablehnt, als nunmehr „freiwillig obdachlos“ eingestuft. Laut Bozkurt sei aber unter anderem auch der Standard der angebotenen Unterkunft sowie das dortige Personal dafür entscheidend, ob Menschen die Unterbringung annehmen.

Auch, dass der Leitfaden explizit eine Rückführung nicht-deutscher Obdachloser in ihre Heimatländer als Maßnahme anführt, kritisiert Bozkurt indirekt. So spiele die Staatsangehörigkeit bei den Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit keine Rolle.

Linke sehen in dem Leitfaden „zivilisatorisches Armutszeugnis“

„Die bezirklichen Sozialen Wohnhilfen sind auch für die Unterbringung von ausländischen Personen zuständig, die obdachlos sind und sich an die soziale Wohnhilfe wenden“, betont Bozkurt. Ob diese sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten würden oder nicht spiele für ihre Unterbringung keine Rolle. Den Aufenthaltstitel zu prüfen sei auch nicht Aufgabe der Sozialämter, sondern im Zweifelsfall des Landesamts für Einwanderung.

Bereits im März hatte der damalige Sozialstadtrat Falko Liecke den Leitfaden zum Umgang mit Obdachlosigkeit herausgebracht. In dem 22-seitigen Dokument wird „unfreiwillige Obdachlosigkeit“ unter anderem als „Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit“ definiert.

Das Bezirksamt müsse in derartigen Fällen tätig werden und den Menschen dabei helfen, eine geeignete Unterkunft zu finden, heißt es weiter. Dazu listete der Leitfaden auch die Rückkehr betroffener Menschen in ihre Herkunftsländer auf. „Ein mittelloser Verbleib in Deutschland ist aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu vermeiden“, heißt es in dem Leitfaden.

Außerdem führt die Broschüre Orte an, an denen obdachlose Menschen nicht (mehr) campieren sollen: Dazu zählen etwa die Friedhöfe, aber auch Spielplätze und das Gelände sowie die direkte Umgebung von Kitas und Schulen. Grüne und Linke hatten den Leitfaden in der Bezirksverordnetenversammlung scharf kritisiert und sprachen unter anderem von einem „zivilisatorischen Armutszeugnis“.

Der Armutsbeauftrage des Evangelischen Kirchenkreises, Thomas de Vachroi, kritisierte, dass der Leitfaden „missverständlich“ formuliert sei. Viel dringender als über Camps in Parks müsse darüber diskutiert werden, geeignete Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, forderte de Vachroi.

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