zum Hauptinhalt
Ursula Ziebarth sitzt im Lokal „Robbengatter“ im Bayerischen Viertel in Berlin an dem Platz, an dem ihr Liebhaber Gottfried Benn einst saß.

© Karin Müller-Krumholz

Mit Ursula Ziebarth im „Robbengatter“: Ein Lokal, das sie aus ihrer Zeit mit Gottfried Benn sehr gut kennt

Wo hat Gottfried Benn denn nun genau gesessen, geraucht, getrunken, gedichtet in seinem Stammlokal im Bayerischen Viertel in Berlin? Ursula Ziebarth (93) hilft uns auf die Sprünge.

Von Markus Hesselmann

Sie könne helfen, ließ Ursula Ziebarth über eine Freundin ausrichten. Per E-Mail, einem Kommunikationsmittel, das die 93-jährige Dame nicht selbst nutzt. Die Mail ging an Timo Hanschmann, Gastronom im Bayerischen Viertel. Er werde sich ja sicherlich "an den Tagesspiegel-Artikel "zum 40jährigen Bestehen Ihres Lokals 'Robbengatter' erinnern, Titel des Beitrags: 'Dichtung und Trunkenheit'", schrieb Karin Müller-Krumholz. "Ich habe damals diesen Artikel mit großem Interesse gelesen, da ich die im Artikel erwähnte Geliebte Gottfried Benns, Frau Ursula Ziebarth, recht gut kenne. Sicher werden Sie wissen, dass Frau Ziebarth selbst Schriftstellerin ist und 2001 das Buch 'Hernach', Nachschriften zu den Briefen Gottfried Benns an Ursula Ziebarth, erschienen im Wallstein Verlag, veröffentlicht hat. In diesem Buch spielt natürlich auch Ihr Lokal - damals 'Dramburg' - eine Rolle."

Ursula Ziebarth sei nach überstandenen gesundheitlichen Problemen nun "bereit und in der Lage, mit in Ihr Lokal zu kommen, das sie ja - wie Sie sich denken können - aus Benns Zeiten her sehr gut kennt, um Ihnen bei der Kenntlichmachung des 'abgedrängten Tisches', d.h. des Stammplatzes von Gottfried Benn, behilflich zu sein". Das interessierte Kneipier wie Kiezbewohner, die bis dahin die kiezliterarisch bedeutende Frage, wo der Meister denn nun wirklich gesessen, seine Juno geraucht, sein Bier getrunken und Gedichte verfasst habe, nicht en Detail beantworten konnten. Und so trafen Hansch- und Hesselmann sich bald darauf mit den Damen im Lokal.

„Das Bayerische Viertel war immer mein Kiez“

Karin Müller-Krumholz und Ursula Ziebarth kennen sich von gemeinsamer jahrzehntelanger Arbeit für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die gebürtige Berlinerin Ziebarth hatte einen von Gottfried Benn vermittelten Job beim Kölner Winkler-Verlag Mitte der Fünfzigerjahre aufgegeben, um beim DIW als Bibliothekarin und Redakteurin zu arbeiten - und um in ihre Heimatstadt Berlin zurückzukehren, in die Nähe Gottfried Benns, der in der Bozener Straße wohnte und als Arzt praktizierte.

Die Vorgängerkneipe: Dramburg an der Ecke Grunewald-/Bozener Straße im Bayerischen Viertel.

© Robbengatter

"Das Bayerische Viertel war immer mein Kiez", sagt Ursula Ziebarth, nachdem wir in einer der Sitzecken im mittleren Teil des Robbengatters Platz genommen haben, gleich neben der Stelle, an der Benns Tischchen einst stand. Ein Foto, das Ursula Ziebarth an diesem Tisch sitzend zeigt, hat Karin Müller-Krumholz bereits gemacht (siehe ganz oben). Im Kiez rund um den Bayerischen Platz, in dem das Robbengatter wie schon dessen Vorgängerlokal Dramburg ein Anlaufpunkt ist, verbrachte Ursula Ziebarth ihr ganzes Leben, wenn sie nicht gerade auf einer ihrer vielen Reisen war - oder während des kurzen Lebensabschnitts in Köln sowie in den Jahren zuvor, als sie zwischenzeitlich den "Hochhäusern" Berlins entfliehen wollte und in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen unterkam.

Am liebsten saß der Lyriker allein am kleinen Tisch, wenn er aber mit anderen Gästen zusammensitzen wollte, dann zog es Gottfried Benn in diesen Winkel des Lokals.

© Karin Müller-Krumholz

Wegen einer in Bremen zu veranstaltenden Lesung nahm Ursula Ziebarth im Juni 1954 telefonisch Kontakt zu Benn auf. Der war weniger an der Lesung interessiert als an der jungen Frau am Telefon. "Essen Sie gern Eis?", fragte Benn unvermittelt. Er habe Lust, sich mit ihr zu treffen und schlug gleich den nächsten Tag vor. Solch offensives Vorgehen scheint nichts Besonderes zu sein für den Schwerenöter Benn, was ihn zu einem der Hauptdarsteller in Klaus Theweleits "Buch der Könige" macht, in dem der Autor der "Männerphantasien" die Liebschaften von Künstlern als Mittel für deren Produktionsprozess analysiert.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Man trifft sich tags drauf im Restaurant Fournes am Innsbrucker Platz. "Wir aßen einen Champignontoast und Eis", erinnert sich Ursula Ziebarth. Dass es "sehr überraschend, weil amüsant" gewesen sei, ist einem Brief an eine Freundin zu entnehmen, den sie direkt nach dem Treffen schrieb. Von Wein ist dort auch die Rede. Es beginnt ein frenetischer Briefwechsel zwischen dem 68-jährigen Benn und der 35 Jahre jüngeren Ziebarth, vom "sehr verehrten Fräulein" zur "Allerliebsten" in wenigen Tagen. Die Affäre dauerte bis zu Benns Tod 1956.

In ihrem Erinnerungsband "Hexenspeise" beschreibt Ursula Ziebarth ihre Teilnahme am Begräbnis Benns. "Ich schurrte am Schluss des Gefolges, ließ allen Honoratioren den Vortritt, wie sie fanden, dass er ihnen gebühre." Im "Buch der Könige" greift Klaus Theweleit diese Schilderung gleich zu Beginn auf, als Dokument für den Umgang eines großen Künstlers mit den Frauen: "Inspirierende, beseelende Gestalten, die unter dem Namen 'Musen' oder 'Geisteslieben' in den Bilanzen der Wechselfälle der Kunstproduktion geführt werden." Und als Dokument der Verheimlichung solcher Beziehungen: "Es wäre auch schlecht gegangen weiter vorn", schreibt Theweleit über den Trauermarsch und weist darauf hin, dass dort vorn eben nicht nur Honoratioren liefen, sondern auch Freunde, Verwandte, eine Ehefrau, eine Tochter.

In "Hernach" klingt immer wieder an, wie Ursula Ziebarth die Bennsche Heimlichtuerei, das Jonglieren mit seinen Beziehungen auf die Nerven ging. Aber auch, mit wie viel und teils erstaunlichem Verständnis sie darauf reagierte. Dass Ursula Ziebarth den Briefeband in eigenen Nachschriften mit ihrer Sicht der Dinge angereichert hat, kam bei vielen Kritikern nicht gut an. Die Herren Literatursachverständigen erzürnte offenbar, dass hier eine "Muse" aufmuckt und ihre Sicht der Dinge in die Nachwelt hineintragen will. Auch Theweleit fand, er hätte nicht so sehr durchs Schlüsselloch sehen wollen.

Ursula Ziebarth sieht das gelassen: "Es gibt immer Menschen, die für oder gegen etwas sind", sagt sie. Und schließlich habe es auch positive Kritiken gegeben. In ihrem Buch "Das Geheimfach ist offen" merkt Ina Hartwig an, dass eher ältere Rezensenten das Buch schlecht wegkommen ließen, während jüngere Ziebarths Vorgehen guthießen.

Reue über seine Rolle zu Beginn der Nazi-Zeit

Heute empfindet Ursula Ziebarth vor allem Mitleid für den Menschen Gottfried Benn. "Ich wusste nicht, dass er schon so krank war", sagt sie. Auch seine Ärzte stellten die Ursache seiner immer stärkeren Schmerzen, den Knochenkrebs, erst kurz vor seinem Tod fest. Gottfried Benn starb als hochgeachteter Dichter, der in dem Jahrzehnt, das ihm nach Kriegsende verblieb, noch einmal sehr produktiv war. Mit dem braunen Fleck auf seiner Biographie - Benn war nach der Machtübernahme durch die Nazis Vorsitzender der Sektion Literatur der Preußischen Akademie der Künste geworden und mit einer Loyalitätsadresse an die Öffentlichkeit getreten - hatte er sich schriftstellerisch eher im Ungefähren auseinandergesetzt.

Im persönlichen Gespräch aber habe er sich überaus reuevoll gezeigt, erzählt Ursula Ziebarth. Er sei im Nachhinein "sehr unglücklich" über sein Verhalten zu Beginn der Nazi-Zeit gewesen. Dass einer wie Benn sich, wenn auch nur kurz, derartigen Machthabern als Funktionär andient, erklärt sich Ursula Ziebarth auch aus dessen persönlicher Herkunft: "Für einen Pastorensohn war es was Tolles, ein Vorsitzender in der Preußischen Akademie zu sein."

Vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte wird Benns politischer Sündenfall noch einmal dramatischer. Ursula Ziebarths Stiefvater Arthur Strelitz war nämlich Jude. Und was Benn sich kaum vorstellen konnte, traf auf Strelitz zu: Er hatte, auch als Außenstehender des Literaturbetriebs, als Arzt, aber eifriger Leser, eben doch mitbekommen, dass Benn sich mit den neuen Machthabern kurzzeitig gemeingemacht hatte. Und er ließ sich anders als andere danach auch nicht mehr von literarischen Meriten für Benn einnehmen.

Wer weiß, was Arthur Strelitz durchgemacht hatte, welchen Verlust er erlitten und wie knapp er selbst nur davongekommen war, wird sich darüber kaum wundern: Ursula Ziebarths Stiefvater lebte während des Krieges untergetaucht und in ständiger Angst vor Verrat und Entdeckung in Berlin, als einer von 7000 Juden, die den aussichtslos anmutenden Versuch unternahmen, die Nazizeit in Berlin zu überstehen. Nur 1700 überlebten in ihren Verstecken. Arthur Strelitz entging dem Holocaust in einer Wohnung in der Köpenicker Straße, die er als Unterschlupf nutzte, unterstützt von seiner Familie. Weil er als untergetauchter Jude bei Bombenangriffen nicht in den Luftschutzkeller des Hauses gehen konnte, musste er zum U-Bahnhof Jannowitzbrücke laufen. Als er dort war, erhielt das Haus in der Köpenicker Straße einen Volltreffer, seine Frau, Ursula Ziebarths Mutter, starb. Trotz aller Reue: Einen wie Benn wollte Arthur Strelitz, der stets ein gutes Verhältnis zu seiner Stieftocher Ursula hatte, im Nachkriegsdeutschland nicht persönlich kennen lernen.

Nach ihrer Rückkehr von Köln nach Berlin hat sich Ursula Ziebarth dann häufiger mit Gottfried Benn in der Dramburg an der Ecke Bozener/Grunewaldstraße getroffen. Sie wohnte ja nun in der Nähe, zunächst in der Hewaldstraße. In „Hexenspeise“ hat sie den Arzt und Lyriker auch als eine Art Kneipen-Orpheus verewigt: „Es ist schön, an Orpheus zu denken, der mit dem Spiel seiner Leier die wilden Tiere sanft machte, der neben dem Rezeptblock ein Heft auf dem Schreibtisch hatte, in das er die Sequenzen seiner Sätze eintrug, auch abends im Stammlokal am Einzeltischchen sitzend, mit dem Kugelschreiber Verse in das Wachstuchheft.“ Benn, der Alltägliches in seinem Werk mit Ewigem verband, nannte seine Gedichte, die im Stammlokal entstanden waren, Dramburg-Gedichte.

Orpheus am Einzeltischchen

Viel Zeitung gelesen habe Benn auch in der Kneipe, erzählt Ursula Ziebarth, und sie immer vom Wert dieser Lektüre überzeugen wollen. Zum Beispiel habe ja auch Robert Walser immer Zeitung gelesen. "Aber ich interessierte mich nur für Bücher und Kunst." Den Tagesspiegel habe Benn gern gelesen und sich in der "Dramburg" mit Feuilleton-Chef Walter Lennig getroffen, der wie Benn in der Bozener Straße wohnte.

Titelbild des Buchs „Hernach“ mit Briefen von Gottfried Benn, das Ursula Ziebarth herausgegeben und mit ausführlichen Nachschriften versehen hat.

© promo

Ursula Ziebarth zeigt uns nun auch die Sitzecke, in der Benn sich niederließ, wenn er sich mit Menschen umgeben wollte, zum Beispiel Lennig. Mit ihr selbst traf Benn sich hier meist mittags. Die Dramburg hatte wie das Robbengatter sehr ausgiebige Öffnungszeiten. Nur mit dem Frühstücken in der Kneipe hatte man es damals noch nicht so wie heute. Man aß dann mittags Königsberger Klopse.

Die bildende Kunst, für die sich Ursula Ziebarth so brennend interessierte, war wiederum nie wirklich Benns Fall. Bei Besuchen in Worpswede habe er sich unwohl gefühlt, erzählt Ursula Ziebarth. Der Verfasser der "Kleinen Aster" war allerdings Blumen-Experte. "Gottfried Benn kaufte gern Blumen für seine Freundinnen bei Blumen-Hübner", schreibt Gudrun Blankenburg in ihrem Kiezklassiker "Das Bayerische Viertel in Schöneberg. Leben in einem Geschichtsbuch".

Sonst war Benn eher nicht so an Äußerlichem interessiert, oder auf andere Art: "Er war kein Augenmensch", schreibt Ursula Ziebarth in "Hernach". "Das klingt seltsam und ist auch falsch, ein Lyriker wie Benn verstand natürlich zu schauen, aber sein Blick war nicht an Kunst, Kunsthandwerk, Wohnkultur interessiert. Hingegen hatte er einen ganz ungewöhnlichen Blick für Blumen."

Aufwachen mit Dos Passos und Garcia Marquez

Heute noch lebt Ursula Ziebarth auf ihre damals schon bevorzugte und in ihrem Benn-Buch ausführlich beschriebene Art, in einer Einzimmerwohnung im Bayerischen Viertel, die vollgestopft ist mit Kunst und Büchern. "Ich mag es so, ich möchte da schlafen, wo meine Bücher stehen, wo ich arbeite, neben meinem Schreibsekretär", notiert sie in "Hernach". "Es tut gut, da eingenistet zu leben, wo einem von Homer bis Dos Passos, von Shakespeare bis zu Gabriel Garcia Marquez große Schreiber umgeben. Es schläft sich wunderbar zwischen ihren Büchern, und es erfreut, wenn morgens nach dem Aufwachen einem auf den Buchrücken ihre großen Namen unversehens in die Augen fallen."

In der Umgebung hat sie allerdings acht Keller gemietet, um ihre unzähligen Sammlerstücke von all ihren Reisen unterbringen zu können. Da gibt es dann einen Afrikakeller, einen Theaterkeller, einen Polenkeller usw. Die "taz" hat mit Ursula Ziebarth mal ein wunderbares Interview über ihre Reise- und Sammelleidenschaft gemacht, Titel: "Man ist ja selber auch ein Schrank". Im Erzählcafé eines Berliner Mehrgenerationenhauses sprach sie über das Reisen und Sammeln, unter anderem über japanische Kreisel, dokumentiert in einem charmanten Youtube-Video.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ursula Ziebarths Sammlung ist ein Thema für eine eigene, eine weitere Geschichte. Wir verabschieden uns also nur fürs Erste von ihr und ihrer Freundin. Man sieht sich wohl ohnehin mal im Robbengatter. „Es hat uns bei Ihnen sehr gut gefallen und geschmeckt, so dass es sicher nicht unser letzter Besuch gewesen sein wird“, schrieb Karin Müller-Krumholz noch an Timo Hanschmann. Und der Kneipier sagt ihr und Ursula Ziebarth zu, dass der hier vorliegende Artikel gerahmt und an dem Platz aufgehängt wird, an dem Gottfried Benn einst saß, rauchte, trank und dichtete. Damit das ab sofort alle wissen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false