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Draußen und drinnen. In dieser Kneipe steht alles im Zeichen der Robbe.

© Kai-Uwe Heinrich

Kiezkneipe Robbengatter in Berlin-Schöneberg: Dichtung und Trunkenheit

Als Gottfried Benn hier schrieb, die Juno rauchte und sein Abendbier trank, hieß die Kneipe noch „Dramburg“. Seit 40 Jahren heißt sie nun „Robbengatter“ - eine Kiezinstitution im Bayerischen Viertel.

Von Markus Hesselmann

Wieder war eines seiner Kneipenwerke fertig: "ein Dramburggedicht, an meinem Katzentisch fabriziert", meldete Gottfried Benn seiner Geliebten Ursula Ziebarth 1954 in einem Brief.

"Das sind doch Menschen, denkt man, wenn der Kellner an einen Tisch tritt, einen unsichtbaren, Stammtisch oder dergleichen in einer Ecke, das sind doch Zartfühlende, Genüßlinge sicher auch mit Empfindungen und Leid. So allein bist du nicht in deinem Wirrwarr, Unruhe, Zittern, auch da wird Zweifel sein, Zaudern, Unsicherheit, (...)"

Wo dieser offenbar etwas abgedrängte Tisch genau stand, ist nicht bekannt. Timo Hanschmann kann sich vorstellen, dass es da an der Wand war, unter der Tafel mit den Angeboten, nahe beim Durchgang zum Schankvorgarten. Jedenfalls steht da ein Tisch, den der Inhaber des Robbengatters den Benn-Fans zeigt, die hier im Bayerischen Viertel ab und zu auftauchen, um im Kiez den Spuren des Dichters zu folgen.

Die Vorgängerkneipe: Dramburg an der Ecke Grunewald-/Bozener Straße im Bayerischen Viertel.

© Robbengatter

Gottfried Benn wohnte ein paar Häuser weiter in der Bozener Straße und hatte dort auch seine Arztpraxis. Andächtiges Verweilen vor der Gedenktafel am Haus Nummer 20 gehört bei Benn-Touren ebenso dazu wie ein Besuch in der Stammkneipe, die damals Dramburg hieß und für den Lyriker auch Produktionsstätte war. "Er nimmt seinen Platz dicht bei der Heizung, blinzelt zur Theke, zündet sich eine Zigarette an, Marke Juno", schrieb Rüdiger Safranski in der "Zeit" über Benn. "Der Wirt kennt ihn natürlich, weiß, daß der Mann in Ruhe gelassen werden möchte, bringt ihm sein Bier. Wenn der Gast nicht einfach in den Raum blickt und auf Gespräche hört, ohne sonderlich an ihnen teilzunehmen, dann liest er Zeitung oder macht sich Notizen."

Keine bestimmte Szene, keine Alters- und sonstigen -Klassen: Das Robbengatter - hier der erweiterte Biergarten beim zehnjährigen Jubiläum 1984 - ist eine Kneipe für alle in einem Kiez für alle.

© Robbengatter

Das Robbengatter, die Nachfolgekneipe, ist längst selbst eine Kiez-Institution. In diesen Tagen wird sie 40 Jahre alt. Benannt nach ihrem schnauzbärtigen ersten Kneipier, Ulf Zöllner, hat sie sich trotz (oder wegen) ihrer Schöneberger Szenerandlage über Jahrzehnte gehalten. Eigentlich ist der Laden immer gut besucht, von früh bis spät und früher auch ganz spät. Nicht ganz zu Unrecht galt das Robbengatter lange als Absturzkneipe, als Lokalität, in der man noch einen (oder zwei) Absacker trinken konnte, als selbst in Schöneberg anderswo schon die Stühle auf die Tische gestellt wurden. Es musste dann allerdings ein großer Absacker sein: „Wir bitten um Verständnis, daß wir ab 18 Uhr keine kleinen Biere mehr ausschenken“, heißt es auf einer Getränkekarte aus den Siebzigerjahren. Dafür wurden bei der offiziellen Schließzeit vier Uhr schon damals gern Ausnahmen gemacht.

"Das Robbengatter hatte eigentlich immer auf", sagt Timo Hanschmann. Der eine oder andere Werktätige stand hier bis zum frühen Morgen an der Theke und ging dann gleich zur Arbeit. Das Publikum war schon immer gemischt, keine bestimmte Szene, keine bestimmten Alters- oder sonstigen -Klassen, das ist bis heute das Besondere am Robbengatter. Hier kommt die Berliner Kneipe der integrierenden Idee des britischen Pubs am nächsten, wohltuenderweise aber ohne plüschiges Pub-Ambiente zu kopieren. Ohnehin ist das Robbengatter angenehm trendresistent, ironie- und retrofrei.

Ulf Zöllner hieß der erste Kneipier vor 40 Jahren. Von seinem beeindruckenden Schnauzbart leitete sich der Name Robbengatter ab.

© Robbengatter

Früher seien aber mehr Studenten dagewesen, sagt Timo Hanschmann. Ein richtiges Studentenviertel war die Gegend um den Bayerischen Platz in den ersten Jahrzehnten des Robbengatters. Auch die Betreiber, "die Partner", waren Studenten. Timo Hanschmann hat vor 15 Jahren, damals gerade 20, auch so angefangen, bevor er den Laden später übernahm.

Doch die Gegend wurde ruhiger. "Als ich dann des öfteren um zwei Uhr nachts allein da war, haben wir die Öffnungszeiten geändert." Von acht Uhr früh bis zwei Uhr spät klingt aber auch heute noch durchaus großzügig. Die Küche, die bodenständige Qualität bietet, macht auch gleich morgens zum Frühstück auf, nachts dann aber eine Stunde eher Schluss. Zum Vierzigsten sind nun "Freundinnen, Freunde und Weggefährten" für Sonntag, den 11 Mai, ab 15 Uhr eingeladen, mit Getränken zu Preisen wie in den Siebzigerjahren, 0,3 Bier, ein Euro. Eine geschlossene Gesellschaft soll es aber nicht werden, das passt auch nicht zum Robbengatter. "Schreib ruhig, dass da kommen kann, wer will", sagt Timo Hanschmann. Sämtliche Erlöse gehen übrigens an die Robbenaufzuchtstation Friedrichskoog an der Nordsee, die artgerecht vom Robbengatter unterstützt wird.

Einst päppelte das Restaurant eine Robbe im Zoo, heute unterstützt es die Robbenaufzuchtstation Friedrichskoog an der Nordsee.

© Kai-Uwe Heinrich

Derweil wandelt sich der Kiez einmal mehr. Ferienwohnungen gibt es inzwischen auch einige hier, die ersten Partytouristen kommen unter im Bayerischen Viertel. Hipster-Brillen und -Bärte, bis vor kurzem noch eher Friedrichshain-Kreuzberger Erscheinungen, werden neuerdings - noch vereinzelt - gesichtet. Junge Familien ziehen her. Sonntags verbreitet sich im Volkspark Schöneberg zuweilen schon Prenzlauer-Berg-Gefühl. Dass es hier aber je so monokulturell wird wie in gewissen anderen Bezirken ist bei der gewachsenen, gemischten, doch eher gentrifizierungsresistenten Kiezstruktur dieser Berliner Gegend eher nicht zu befürchten.

Timo Hanschmann führt das Robbengatter heute.

© Kai-Uwe Heinrich

Eine Kneipe für alle in einem Kiez für alle, das will das Robbengatter sein. Deshalb hält Timo Hanschmann auch nicht viel von Prominentengeschichten im Zusammenhang mit seinem Lokal. Erst auf mehrmaliges Nachfragen erzählt er von Otto Sander, dem im vergangenen Jahr verstorbenen Schauspieler, der hier des öfteren eingekehrt war. "Ein sehr netter Mensch. Aber in welcher Kneipe war Otto Sander denn nicht?" Oder vom Visagisten René Koch, der ein paar Straßen weiter ansässig ist und - O West-Berlin-Klischee! - auch noch mit dem Friseur Udo Walz hin und wieder herkommt. Oder den Hertha-Fußballern, die auf dem Weg zur Praxis des Mannschaftsarztes Ulrich Schleicher in der Bozener Straße auf einen Kaffee im Robbengatter vorbeischauen.

Historische Speisekartenkunst.

© Robbengatter

Auch mit Historischem geht der Kneipier dosiert um. Das alte "Dramburg"-Bild hängt zwar an der Theke, wird aber von zwei riesigen Vasen voller Streichholzschachteln verdeckt. Den Wünschen einiger Benn-Fans nach einer Plakette am Platz des Dichters kam Timo Hanschmann bislang nicht nach. Mit einer genauso pragmatischen wie plausiblen Erklärung: "Wir wissen eben nicht genau, wo er tatsächlich gesessen hat." (Wie das dann doch noch geklärt wurde, und zwar von Ursula Ziebarth, lesen Sie hier.)

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