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Das neue Stabi Kulturwerk versteckt sich im sanierten Haus der Staatsbibliothek Unter den Linden 8.

© Staatsbibliothek zu Berlin - PK

Kostbare Antiquitäten und sprechende Bücher: Zu Besuch im Berliner Stabi-Kulturwerk

Im neuen Ausstellungsort der „Stabi“ Unter den Linden machen Besuchende verblüffende Entdeckungen. Wen wundert’s, Bibliotheken waren schon immer magische Orte voller Geschichten.

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Sie ist die schönste der Welt. Auch nach fast 600 Jahren hat die Berliner Gutenberg-Bibel nichts von ihrer Anmut verloren. Zartblaue Libellen, prachtvolle Pfauen, Löwen, Adler, Schmetterlinge, sogar ein kleines Äffchen und Fantasiewesen wie Drachen bevölkern ihre Seiten.

Wer die mit Lapislazuli und Blattgold makellos kolorierten Miniaturen schuf, erzählt das „Lebende Buch“, eine fabelhafte Multimedia-Installation im Stabi Kulturwerk, dem neuen Museum in der Staatsbibliothek Unter den Linden. Während sich die leeren Seiten beim virtuellen Durchblättern wie von Zauberhand füllen, hören Besucher:innen staunend einer mysteriösen Stimme zu. Sie berichtet von den spätmittelalterlichen Buchmalern aus der Leipziger Pfauenwerkstatt und natürlich von Johannes Gutenberg, der um 1450 den Buchdruck mit beweglichen Bleilettern erfand. Von Mainz aus verbreitete sich die revolutionäre Technik rasch über ganz Europa. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts gab es rund 1800 Werkstätten in mehr als 240 Orten. Es war die Geburtsstunde der Buchdruckerkunst, auch Schwarze Kunst genannt.

Sprechende Bücher? Das kennt man sonst nur aus Märchen. Doch im Stabi Kulturwerk wird man auf Schritt und Tritt überrascht. Allein schon das Konzept: Museen, die kleine Fachbibliotheken betreiben, gibt es zuhauf. Aber eine Bibliothek, die ein modernes Museum beherbergt? Das ist ziemlich einmalig.

Räume voller Träume, Mythen und Geschichten

Andererseits waren Bibliotheken schon immer magische Orte. Räume voller Träume, Mythen und Geschichten. Etwas unheimlich wirkte sicherlich schon das barocke Kuriositätenkabinett von Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der 1661 die Churfürstliche Bibliothek gründete und seine Privatsammlung erstmalig für Gelehrte und Gäste öffnete. Somit gilt der Große Kurfürst als Urvater der Berliner Staatsbibliothek.

Im ersten Stock des sogenannten Apothekerflügels im Berliner Stadtschloss ließ er damals nicht nur einen imposanten Büchersaal mit riesigen, rot gestrichenen Regalen einrichten, sondern direkt im Nebenraum auch eine Wunderkammer mit allerhand Skurrilem. Außer ausgestopften Tieren wurden dort Skelette, Straußeneier und die Schuppenhaut eines „Meermannes“ stolz zur Schau gestellt. In den Gängen der Bibliothek hingen Porträts berühmter Philosophen.

Der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg.

© imago/United Archives

In den folgenden Jahrzehnten wuchs der Bestand immer weiter. Ob gekritzelt, gedruckt oder gemalt: Der Große Kurfürst und seine Nachfolger sammelten unbeirrt alles Wertvolle, was ihnen die Hände kam – Skizzenbücher, japanische Zaubersprüche, Tora-Rollen und seltene Atlanten. Bald platzte der Apothekerflügel aus allen Nähten. 1784, unter Friedrich dem Großen, wurde dann das neue Gebäude der Bibliothek am Opernplatz eröffnet, das rasch den Spitznamen „Kommode“ bekam.

Heute gilt die Berliner Staatsbibliothek, seit 1914 im Haus unter den Linden untergebracht, mit ihren rund 33 Millionen Einheiten als die bedeutendste der Welt. Neben zwölf Millionen Büchern werden hier Autografe, Briefe, Dias, Globen, Karten, Zeitschriften und Zeitungen aufbewahrt. Da die Schwester des Alten Fritz, Prinzessin Anna Amalia, Bach-Manuskripte sammelte, sind hier auch viele Handschriften zu finden.

Der Brunnenhof der Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin.

© imago images/Reiner Zensen

Die faszinierende Geschichte dieses Schatzhauses wird nun im Stabi Kulturwerk erlebbar gemacht. Untergebracht ist der Ausstellungsort – etwas versteckt – im Sockel des gewaltigen Glaskubus, der den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kuppellesesaal ersetzte. Viele Besucher:innen, die sich im Brunnenhof der Bibliothek gern fotografieren lassen und dann wieder rasch verschwinden, verpassen ein tolles Erlebnis. Denn kaum geht hier die Tür auf, taucht man in eine geheimnisvolle Welt ein. Allein der Raum, in tiefes Schwarz getaucht, sorgt für eine besondere Stimmung. Strahlen sollten hier im Labyrinth der Vitrinen nur die ausgestellten Schätze.

Und siehe da: Unmittelbar am Eingang wartet schon die erste verblüffende Entdeckung – Lucas Cranachs Gemälde des Berliner Hofastrologen Johannes Carion (1499–1537), der einst eine große Sintflut prophezeite. Wie gelangte die kostbare Antiquität – ihr Wert liegt im sechsstelligen Bereich – bloß hierher? Die Antwort liegt auf der Hand: Bereits 1661 schmückte das um 1530 entstandene Porträt die Säle der Churfürstlichen Bibliothek im Apothekerflügel und wurde offenbar von Generation zu Generation weitergereicht.

Lucas Cranachs kostbares Porträt des Berliner Hofastrologen Johannes Carion entstand um 1530.

© Staatsbibliothek zu Berlin - PK

Ein Detail des Gemäldes ist besonders interessant: Rechts oben auf dem Epigramm ließ sich Carion nicht mehr als Astrologe, sondern als Astronom bezeichnen. Das klingt gleich viel seriöser. Wahrscheinlich wollte er damit die Tatsache kaschieren, dass seine Vorhersagen nie in Erfüllung gingen.

Auf tausend Quadratmetern gibt es in der Dauerausstellung des Stabi Kulturwerks eine ganze Menge solcher erlesenen Stücke zu sehen – und immer wieder viel Neues. Jetzt im November findet der erste große Wechsel der Exponate statt. Auch das ist Teil des Konzeptes: Alle drei Monate werden die empfindlichen Objekte ausgetauscht. In der „Schatzkammer“, dem Herzstück des Museums, wird dann eine neue Seite im Original der Gutenberg-Bibel aufgeblättert.

Ein weiteres Highlight: Zum 175. Todestag von Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner älteren Schwester Fanny Hensel wird der Familie ein besonderes Display gewidmet. Dort sieht man unter anderem ein wunderschönes Skizzenbuch des Komponisten. Der vielseitig begabte Mendelssohn hielt seine Reiseeindrücke gern in Zeichenbüchern fest, die er immer im Gepäck hatte. Fasziniert hat ihn vor allem die Steilküste um Amalfi, die er im Mai 1831 besuchte.

Präsentiert werden außerdem Alexander von Humboldts Tagebücher aus seiner Amerikareise, der Hamilton Siddur, eine der berühmtesten hebräischen Handschriften der Welt, Luthers antipäpstliche Flugblätter – aber auch ganz profane Sachen, wie etwa ein Lehrbuch für Maschinenbauer mit farbigen Klappbildern, die im Zuge der Industrialisierung sehr populär wurden.

Bei der Fülle der Exponate kommt im „Stabi“ eines doch zu kurz: der (selbst-)kritische Blick. Relativ wenig erfährt man etwa über die Verwicklungen der Bibliothek in die NS-Gewaltherrschaft. Angesichts der aktuellen Debatten um kulturelle Aneignung und koloniale Raubkunst möchte man nicht nur die Objekte an sich betrachten, sondern auch mehr über ihre Wege durch Räume und Zeiten wissen. Das fehlt.

Der Rundgang durch das Stabi Kulturwerk lässt sich auch wunderbar digital erleben. Dank QR-Codes kann man bequem auf die digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek zugreifen. Ob analog oder virtuell: Es lohnt sich, immer mal wieder auf eine Stippvisite vorbeizukommen. Zumal im Dezember eine neue Sonderausstellung startet: Nach E.T.A. Hoffmann erobern Azteken das Stabi Kulturwerk und entführen in die bunte Welt der Bilderhandschriften. Der graue Berliner Winter? Im Stabi Kulturwerk droht er garantiert nicht.

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