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müllschmelzofen wegener Die Gartenlaube 1899 Nr 28

© Sammlung Erhard/Umwelt Bundesamt / Sammlung Erhard/Umwelt Bundesamt

Kolumne „Aus der Zeit“: Die Müllschmelzanlage am Landwehrkanal

Ende des 19. Jahrhunderts erhielt Berlin erste Müllverbrennungsanlagen. Die erwiesen sich als untauglich. Da begeisterte ein Ingenieur mit seinem Patent. Aber es kam anders als gedacht.

Eine Kolumne von Beata Gontarczyk-Krampe

| Update:

Neben viel Charme und Schnauze hat Berlin vor allem von einem reichlich: Müll. Jedes Jahr produziert die Stadt rund 1,5 Millionen Tonnen davon – da hat das Müllheizkraftwerk Ruhleben der Berliner Stadtreinigung BSR genug zu tun. Die Anlage, in der 60 Prozent des gesamten Berliner Restmülls aus der „grauen Tonne“ vernichtet werden, pustet in Nachbarschaft zum Kraftwerk Reuter circa 180 Tonnen heißen Dampf pro Stunde aus – um damit fast eine halbe Million Wohnungen mollig warm zu halten.

Die Idee, mit der Verbrennung von Müll Geld zu verdienen, ist nicht neu. Schon im Jahr 1898 stand eine Verbrennungsanlage in Kreuzberg, nur ein Katzensprung vom heutigen Patentamt entfernt. Der Ingenieur Carl Wegener aus der Gitschiner Straße 14 kannte das Problem nur zu gut: schon um das Jahr 1896 produzierte Berlin 20.000 Zentner (rund 1000 Tonnen) Hausmüll pro Tag.

Die drei städtischen Müllhalden waren überfüllt. Das neue Gelände, das die Stadtverwaltung an der Oberspree gekauft hatte, und wohin die Müllreste per Kahn transportiert werden mussten, verbesserte die Lage kaum. Also meldete Wegener am 24. Mai 1896 seine Erfindung beim Kaiserlichen Patentamt (damals noch in der Luisenstraße) an.

Seine Idee: ein Verbrennungsofen für Müll. So etwas kannte man in England als „destructor“. Der erste Ofen dieser Sorte war von Albert Fryer patentiert worden und wurde 1874 in Nottingham gebaut. Wegener entwickelte ein besser an Berliner Verhältnisse angepasstes Model und hoffte, dass die Stadt die Chance ergreift, ihr mittlerweile zum Himmel stinkendes Problem zu lösen.

Frühes Müllauto: Ein Abfuhrwagen mit System „Staubschutz“ in Berlin aus dem Jahr 1893.

© Sammlung Erhard/Umwelt Bundesamt / Sammlung Erhard

Die Chancen standen nicht schlecht. Der erste Müllverbrennungsofen, errichtet 1894 an der Spree auf dem Gelände des alten Stralauer Wasserwerks, hatte vor allem Geld verbrannt. 130.000 Mark waren verpulvert. Es handelte sich um eine ähnliche Anlage, wie sie schon in Hamburg stand, aber für den Berliner Müll nicht funktionierte. Denn der Kehricht aus den Wohnungen an der Elbe, wo man – wie in London – vor allem mit Kohle heizte, erhielt genug unverbrannte Kohlepartikel, um den Verbrennungsprozess zu gewährleisten. Berliner Haushalte hingegen verheizten vor allem billigere Briketts und Holzkohle.

Berlins Hausabfälle enthielten also zu viel „tote“ Asche. So fermentierte der in der Stralauer Straße 38 angelieferte Unrat vor sich hin.

Carl Wegener machte dem Magistrat ein Angebot: Er würde einen verbesserten Müllschmelzofen liefern, wenn man ihm für 30 Jahre ein Monopol einräumte. Mit seinen Partnern gründete er die Gesellschaft „Müllschmelze“ und sammelten 600.000 Mark Kapital ein. Am 1. Oktober 1898 begannen die Bauarbeiten im hinteren Teil des GrundstücksRuh an der Gitschiner Straße 14-15.

Als das Ergebnis am 8. März 1899 vorgestellt wurde, staunten alle. Der dreistöckige, an einer Seite offene, Aufbau ummantelte einen sechs Meter hohen Ofen. Man füllte 200-Liter große Behälter mit Müll, beförderte sie nach oben, um dann das Kehricht in einer riesigen, rotierenden und luftdichten Trommel (Retorte) zu kippen.

Müllverladung auf Kähne am Landwehrkanal nahe der Baerwaldbrücke in Kreuzberg.

© Sammlung Erhard/Umwelt Bundesamt / Sammlung Erhard/Umwelt Bundesamt

Bei 800 Grad Celsius verbrannte der große Teil des Kehrichts auf der Stelle. Die hartnäckigen Reste wurden nochmal mit ein wenig Kohlestaub versetzt und plumpsten nach unten in den Schmelzofen. Bei dort herrschenden vulkanischen Verhältnissen von 1600 bis 2000 Grad, schmolz der Rest und verwandelte sich teilweise in Schlacke.

Damit könnte man Asphalt rutschfester machen, Eisenbahndämme bauen und sogar Kochtöpfe beschichten. Eine Goldgrube.

Zudem erzeugte der Schmelzofen Wärme und Energie, die ebenfalls gezähmt werden konnten. Und das ganze fast rauchfrei, fast geruchsfrei. Einfach dufte! Zwei Monate lang studierten die Herren vom Magistrat die Vorteile den Wegener’schen Müllschmelzofens. Sie zeigten sich begeistert. Und sagten dann doch: nein!

Es war der Preis: 850 Mark für 1000 Zentner Müll pro Tag. Das war der Stadt dann doch zu teuer. Da kein anderer Auftraggeber infrage kam, erlosch bald das Feuer in dem riesigen Müllschmelzofen. 1904 zog sein Erfinder um, nach Charlottenburg.

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