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 Die Reinickendorfer Künstlerin Shahla Aghapour.

© ART-Galerie Benakohell

Geflüchtet vor den Mullahs nach Berlin: „Wenn ich male, dann geht alle Last weg“

Shahla Aghapour musste in den 1980ern aus dem Iran flüchten. In Berlin fand die Künstlerin eine neue Heimat. Hier setzt sie sich für Frauen und Gleichstellung ein – und für Geflüchtete.

Wer sich in Reinickendorf für Kunst interessiert, der hat mit Sicherheit schon von Shahla Aghapour gehört. Sie ist Malerin, Bildhauerin, Performance-Künstlerin, Dichterin, Buchautorin. Außerdem bietet sie Workshops und Kunsttherapie an.

Aghapour arbeitet in ganz Berlin und natürlich in Reinickendorf, wo sie in der General-Woyna-Straße 1 seit sieben Jahren ihre Galerie „Benakohell“ hat und regelmäßig im Projektraum „resiART“ Kunstkurse gibt.

Wurzeln im Iran und Aserbaidschan

In Berlin ist Aghapour seit 1988. „Hier ist meine Heimat“, sagt sie über die Stadt. Geboren und aufgewachsen ist sie in Teheran. Ihre Eltern sind iranisch-aserbaidschanischer Herkunft. „Benakohell“ – das sei der Ort, in dem ihr Vater in Aserbaidschan geboren wurde.

Bereits im Iran studierte Aghapour Kunst, modellierte dekorative Skulpturen, die sie auf dem Markt verkaufte, und schrieb Artikel für Zeitungen – insbesondere über Frauenrechte. Das wurde ihr nach der Islamischen Revolution 1979, die das Land in eine religiöse Diktatur verwandelte, zum Verhängnis.

Bis in mein Jugendalter hinein war ich frei.

Shahla Aghapour,
aufgewachsen in Teheran

„Bis in mein Jugendalter hinein war ich frei. Ich wuchs in einer lockeren, offenen Gesellschaft auf“, erzählt Aghapour. Plötzlich sei das Paradies dann zur Hölle geworden. In der theokratischen Diktatur Irans gab es viele politische Gefangene, Frauen wurden unterdrückt. „Damals reichte es, wenn man Lippenstift trug, eine Brille mit dunklen Gläsern oder eben Artikel über die Frauenbewegung schrieb“, sagt Aghapour. „Menschen wurden ins Gefängnis gesteckt und gehängt, es war schrecklich.“

Isolationshaft im Gefängnis

Aghapour musste selbst für einen Monat ins Gefängnis, in Isolationshaft, und sich Befragungen unterziehen. „Meine Eltern wussten nicht, wo ich bin. Mein Vater bekam vor lauter Angst einen Schlaganfall.“ Nach der Haft musste Aghapour nach Aserbaidschan fliehen, wo sie sich bei ihrer Großmutter versteckte. „Bei mir war nur ein dünner Faden zwischen Leben und Tod. Deshalb genieße ich das Leben heute, so gut ich kann.“

Nach Deutschland kam sie allein mit ihrer Tochter, die damals im Babyalter war. Eine schwere Zeit, anfangs ohne Deutschkenntnisse oder Arbeitserlaubnis. „Ich musste viel kämpfen“, erinnert sich Aghapour. Doch es gelang ihr, Fuß zu fassen. Erst studierte sie Sozialpädagogik, dann an der Universität der Künste, später noch Kunstvermittlung.

Frauenrechte und Gleichberechtigung

Und ein Thema begleitet Aghapour nach wie vor: Frauenrechte und Gleichberechtigung – nicht nur im Zuge der aktuell andauernden Protestbewegung im Iran. „Frau, Leben, Freiheit, Frieden“ hieß etwa ihr Vortrag samt Performance im November letzten Jahres im Resiart.

Ihre Malereien und Skulpturen zeigen oft Frauengesichter mit starkem Ausdruck in den Augen, von Stolz bis Trauer. „Mein Schwerpunkt sind Frauen – nicht nur im Iran, sondern überall. Ich habe das Gefühl, sie werden weniger beachtet, erhalten weniger Aufmerksamkeit und Anerkennung als Männer“, sagt Aghapour. „Dabei sind wir alle gleich.“

Shahla Aghapour malt gern Frauengesichter mit ausdrucksstarken Augen.
Shahla Aghapour malt gern Frauengesichter mit ausdrucksstarken Augen.

© Foto: ART-Galerie Benakohell

Auch in ihren Workshops merke Aghapour einen Unterschied, besonders bei Kindern und Jugendlichen. „Wenn ein Junge etwas schafft, ist er stolz auf sich. Mädchen sind eher schüchtern. Ich versuche ihnen zu vermitteln, dass auch sie stolz sein sollen.“ Und sie merke, dass die bestärkenden Worte etwas bewirkten, wenn die Geschlechterungleichheiten bei älteren Menschen tendenziell auch stärker verankert seien. Gerade die gegenseitige Bestärkung von Frauen sei deshalb wichtig.

Die Lehrerin, die immer Künstlerin werden wollte

Dann erzählt Aghapour von einer Frau, die sie auf ihrem Weg unterstützt hat: eine 60-jährige Lehrerin, die immer Künstlerin habe werden wollen. „Sie hat es nie geschafft, wollte jetzt als Frührentnerin aber mit der Kunst anfangen. Nur wusste sie nicht wie.“ Aghapour versuchte, die Frau in ihrem künstlerischen Schaffen zu bestärken: „Ich habe ihr erklärt, sie soll die Kunst lieben, Geduld haben und möglichst viel malen und fleißig sein.“

Aghapour half ihr dann, ihre erste Ausstellung zu organisieren. „Sie ist leider früh gestorben, aber sie hat es geschafft, ihren Traum zu verwirklichen“, sagt Aghapour über die Frau, während ihre Augen aufleuchten.

Arbeit mit geflüchteten Menschen in Tegel

Auch mit geflüchteten Menschen arbeitet Aghapour regelmäßig: Jeden Donnerstag gibt sie im Tegeler Ankunftszentrum Kunstunterricht. „Anfangs wollten einige nicht malen, sagten, sie hätten Kopfschmerzen. Ich habe dann gesagt, probier’s mal, sieh’s als Spiel an. Plötzlich waren die Kopfschmerzen weg“, berichtet Aghapour.

Jetzt sind ihre Kunstkurse oft proppenvoll. Für die Teilnehmer:innen wirke das Malen teils kunsttherapeutisch, erzählt Aghapour. „Sie vergessen für einen Moment ihre Probleme, Krieg, Flucht und so weiter. Und wenn sie glücklich sind, dann bin ich glücklich.“

Sprachkenntnisse sind hilfreich

Aghapour kommen bei der Arbeit mit Geflüchteten auch ihre Sprachkenntnisse zugute. Sie kann unter anderem Farsi, also die iranische Sprache, die mit Dari, einer der beiden Amtssprachen Afghanistans, verwandt ist. Außerdem spricht sie Aserbaidschanisch, das große Ähnlichkeiten mit dem Türkischen, Usbekischen und Kasachischen aufweist, etwas Englisch und natürlich Deutsch.

Ihr selbst bereitet das künstlerische Schaffen große Freude: „Wenn ich male, dann beruhige ich mich. Dann geht alle Last weg“, so beschreibt sie die Wirkung.

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