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Berlins Justizsenatorin Lena Kreck verweist auf den Grundgesetz-Artikel 15 als Basis für die Enteignung großer Immobilienunternehmen.

© picture alliance/dpa

Update

„Rüttelt an Grundfesten des Kapitalismus“: Berlins Justizsenatorin will „voller Inbrunst“ für Enteignung streiten

Linke-Politikerin Kreck will Enteignungen von Wohnungskonzernen durchsetzen. „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ soll sich an der Senatskommission beteiligen.

Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hat angekündigt, sich weiter für die Möglichkeit von Enteignungen großer Wohnungsunternehmen einzusetzen.

„Das, was wir hier gerade vorhaben, ist deshalb eine so große Sache, weil sie an Grundfesten des Kapitalismus ein stückweit rüttelt“, sagte Kreck am Montagabend bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Vom Mietenwahnsinn zur Vergesellschaftung“ zur Berliner Wohnungspolitik. Gleichzeitig sei es in der Verfassung strukturell schon vorgesehen. „Und dafür werde ich kämpfen, das ist meine politische Überzeugung“, sagte Kreck.

Deshalb habe sie ein so starkes Interesse daran, dass der Grundgesetz-Artikel 15, der Enteignungen grundsätzlich ermöglicht, bei der Umsetzung des Berliner Volksentscheids nicht über das Bundesverfassungsgericht totgemacht werde.

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Bausenator Andreas Geisel (SPD) fehlte dagegen. Von diesem bestellte Berlins Staatssekretärin für Wohnen, Ülker Radziwill, herzliche Grüße an ihre Mitstreiter auf dem Podium sowie die Zuhörer im prall gefüllten Saal des Kreuzberger „Refugios“ – und erntete dafür Gelächter und Spott.

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Die SPD steht bei den Aktivisten um „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ und im Mieterverein im Verdacht, in der Regierungskoalition der Bremser des erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung aller Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu sein. Möglicherweise zu Unrecht, wie sich auf der Diskussion „Vom Mietenwahnsinn zur Vergesellschaftung“ am Montagabend zeigte.

"Meine persönliche Meinung tut nichts zur Sache"

„Meine persönliche Meinung tut nicht viel zur Sache“, sagte Radziwill ausweichend auf die Frage, ob sie für oder gegen Vergesellschaftung sei. Sie widersprach aber dem Verdacht, die SPD sei geschlossen dagegen, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Artikel 15 des Grundgesetzes anzuwenden. „In meiner Partei wird die Vergesellschaftung kontrovers diskutiert“, sagte Radziwill.

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Hat sich die SPD tatsächlich noch nicht festgelegt – obwohl die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wiederholt ihr Unbehagen vor diesem Eingriff in das Eigentum erklärt hatte – und auch zugab, dass sie andere Wege bevorzuge, um das Ziel von ausreichend bezahlbarem Wohnraum für alle zu erreichen?

„Wir haben immer gesagt, dass wir das Ergebnis des Volksentscheids respektieren“, sagte Radziwill. Und sie forderte „wegzukommen davon, dass die SPD der große Bremsklotz ist“ – wofür sie allerdings wiederum Gelächter und Zwischenrufe erntete.

Der verbal die Außenlinie gedrängten Politikerin sprang dann der Verfassungstheoretiker Tim Wihl von der Humboldt-Universität zur Seite: „Natürlich ist es gut, dass in der Kommission Leute sitzen, die nicht von Natur aus“ für die Vergesellschaftung seien oder einer der Koalitionsparteien nahe stehen.

Richtig sei das schon deshalb, weil dasselbe für die Richter am Bundesverfassungsgericht gelte, wo das Berliner Gesetz zur Vergesellschaftung aus seiner Sicht mit Sicherheit zur Prüfung landen werde.

Die "herrschende Meinung" zur Enteignung

Die Juristen Wolfgang Dunger und Christian Waldhoff, die auf Vorschlag der SPD in die vom Senat eingesetzte Expertenkommission kamen, seien „ehrenwert“ und hätten die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit einer Vergesellschaftung „sauber hergeleitet“, argumentierte Wihl. Nur überzeugten deren Argumente nicht und spiegelten nicht die „herrschende Meinung“.

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Dass Kritiker der Vergesellschaftung unbedingt in die Kommission gehörten, diese Auffassung vertrat auch der Chef des Berliner Mietervereins, Reiner Wild: „Die Risiken, die mit dem Gesetz einhergehen, sind hoch.“ Sich mit Argumenten gegen die Vergesellschaftung auseinanderzusetzen, sei „wichtig für den Gesetzgeber“. Täte er das nicht, würde er Vorschub dazu leisten, dass das Bundesverfassungsgericht einer Klage gegen die Vergesellschaftung „schon aus formalen Mängeln“ stattgeben werde.

Die "Transformation" der Wirtschaftsordnung

Dass die Expertenkommission ihre Arbeit Ende dieses Jahres bilanzieren werde und dabei auch „Minderheitsvoten“ für oder gegen die Vergesellschaftung Platz einräumen werde, davon geht Justizministerin Lena Kreck aus. Sie werde „voller Inbrunst streiten“ für diese „große Sache, weil sie an den Grundfesten des Kapitalismus rüttelt“. Just deshalb „regen sich so viele darüber auf“, so die Linken-Politikerin. Nur: Diese Möglichkeit einer „Transformation“ der Wirtschaftsordnung sei in der deutschen Verfassung vorgesehen. Und deshalb habe sie ein „starkes Interesse daran, dass dies nicht totgemacht wird vom Bundesverfassungsgericht“.

Deshalb rief sie die Aktivisten erneut dazu auf, die für sie reservierten drei Sitze in der Expertenkommission zu besetzen. Am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) sollte die Vollversammlung der Initiative darüber entscheiden. Ähnlich wie Geisel, der Radziwill zufolge seinen Osterurlaub vor der Einladung zur Debatte gebucht hatte, fehlte auch Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne). Für ihn versicherte Grünen-Fraktionschef Werner Graf, dass es möglich sei, die Wohnungsunternehmen mit Krediten und Zuschüssen des Landes zu entschädigen. Die Zuschüsse seien deshalb nötig, weil die Wohnungen teils energetisch saniert werden müssten und diese Kosten nicht auf die Mieter abgewälzt werden dürften.

"Ich bin dafür, die Wohnungen zurückzuholen"

„Ich bin dafür, die Wohnungen zurückzuholen“, sagte Graf. Nur so sei ein Anteil von bis zu 70 Prozent gemeinwohlorientiert bewirtschafteter Mietwohnungen in Berlin zu erreichen, um den Druck aus dem Markt zu nehmen.

Dass die Koalition dieses Ziel auch parallel zur Debatte um die Vergesellschaftung durch Verhandlungen mit der Wohnungsbranche verfolgt, verriet Radziwill auch – im Bündnis für bezahlbare Mieten. Diese Verhandlungen seien „nicht einfach“, aber: „Das Ergebnis des Volksentscheids gibt uns Rückendeckung“.

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ berät am Dienstag über Kommission

Kreck forderte die Initiative, die den erfolgreichen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen auf den Weg gebracht hatte, auf, die vom Senat angekündigte Expertenkommission zum Thema Enteignung zu stärken und drei Mitglieder dafür vorzuschlagen.

Darüber will die Initiative am Dienstagabend in einer internen Plenumssitzung entscheiden. Die Ergebnisse sollen bei einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag bekanntgeben werden.

Die Kommission soll beraten, ob ein Enteignungsgesetz verfassungsgemäß und wohnungswirtschaftlich sinnvoll wäre, und dem Senat in knapp einem Jahr eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen. (mit dpa)

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