zum Hauptinhalt
Fast 90 Prozent der Versuchstiere in Berlin waren zuletzt Mäuse.

© Getty Images/sidsnapper

„Wollen Einfluss auf Genehmigungsverfahren“: Streit um Tierversuche setzt Berliner Amt unter Druck

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales muss Tierversuche genehmigen. Die Verfahren dauern oft Monate, die Beamten stehen dabei unter Druck – auch von Tierschützern.

In der Debatte um Genehmigungen für Tierversuche stehen die zuständigen Beamten auch von außen unter großem Druck. „Sowohl Antragsteller als auch Tierschutzorganisationen versuchen, Einfluss auf den Ablauf von Genehmigungsverfahren zu nehmen, um dabei jeweils etwas Gegensätzliches zu erreichen“, teilte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) auf Tagesspiegel-Anfrage mit.

So fragten regelmäßig Forscher an, die auf schnelle positive Entscheidungen im Genehmigungsverfahren drängen. Als die zuständige „Genehmigungsbehörde“, schreibt das Lageso, stehe man aber auch im Fokus von Tierschutzorganisationen, die solche Laborversuche am liebsten verhindern würden. Diese Organisationen nutzten demnach zunehmend das Tierschutzverbandsklagegesetz, um so Akteneinsicht in die Verfahren zu erzwingen.

Umstrittenes Klagerecht für Tiere

Das Berliner Tierschutzverbandsklagegesetz trat 2020 in Kraft, demnach können Verbände stellvertretend für Tiere klagen und umfangreiche Informationen aus Laboren anfordern. Sieben Tierschutzorganisationen hatte der Senat dafür anerkannt. Vier Bezirksämter wollten das Verbandsklagegesetz abwehren und damit den Einfluss der Tierschützer begrenzen. Der damalige Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) ließ das bezirkliche Beschwerdeverfahren 2021 jedoch einstellen.

Das Lageso schreibt nun von enormem Aufwand: Sowohl für die Anträge der Forscher auf Laborexperimente als auch für die Akteneinsichtsbegehren der Tierschützer gelten gesetzliche Fristen. Deshalb müsse dafür mitunter Personal zusammengezogen werden, dass man anderenfalls für die Überwachung von Tierunterkünften eingesetzt hätte. Man habe den Senat schon um neue Stellen gebeten – ohne Erfolg.

Tierschützer und Forscher beraten

Immer wieder beschweren sich namhafte Wissenschaftler darüber, dass die Genehmigungsverfahren regelmäßig Monate dauern – zuletzt beklagten sich darüber Pharmakologen aus dem Biotech-Park in Buch. Im Schnitt habe man im Jahr 2022 einen Antrag nach 55 Werktagen Bearbeitungszeit erledigt, schreibt das Lageso – wobei das die gesetzliche Maximalfrist ist, also nicht den Durchschnitt bilden dürfte.

208.154
Tiere wurden in Berlin im Jahr 2022 für Versuche genutzt

Zu jedem Antrag auf ein Laborexperiment muss das Lageso eine der zwei Tierversuchskommissionen anhören. Diese beratenden Expertengremien sind bundesgesetzlich vorgeschrieben, ihnen gehören sowohl Tierschützer als auch Forscher an. Die zwei Berliner Tierversuchskommissionen haben jeweils zehn Mitglieder, dazu einen Pool an Stellvertretern.

Im Jahr 2022 wurden 135 Anträge für Experimente mit insgesamt 332.382 Tieren an das Amt gestellt. Davon wurden 127 Anträge mit insgesamt 208.154 Tieren genehmigt, sieben Anträge wurden abgelehnt oder vom Antragsteller zurückgezogen, eine Entscheidung steht noch aus. Wie das Lageso mitteilte, hatten die Tierversuchskommissionen zuvor zu 95 der 135 Anträge zahlreiche Nachfragen, in 13 Fällen empfahlen sie eine Ablehnung.

Staatssekretär äußert sich zum Streit

Der CDU-Forschungspolitiker im Abgeordnetenhaus, Adrian Grasse, sprach die Genehmigungsverfahren im Wissenschaftsausschuss am Montag an. Erst vor wenigen Tagen hatte Grasse gefordert, Genehmigungsfiktionen einzuführen – also eine Regelung, die nach einer versäumten Frist einen positiven Bescheid annimmt.

Eine solche Genehmigungsfiktion, sagte Wissenschaftsstaatssekretär Henry Marx (SPD), sei nicht das Instrument „erster Stelle“, die betroffenen Tiere hätten Schutzrechte. Dennoch wolle man die Prozesse beschleunigen.

Politisch zuständig ist allerdings die Justizverwaltung, denn die Kontrolle der Tierversuche ist dem dort angesiedelten Verbraucherschutz zugeordnet. Justizstaatssekretärin Esther Uleer (für CDU) sagte, die Lageso-Beschäftigten arbeiteten unter schwierigen Bedingungen mit hohem Verantwortungsbewusstsein für Tierschutz und Wissenschaft. Man werde Gespräche mit dem Lageso und den Tierversuchskommissionen führen, um die Arbeit zu optimieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false