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Bei Berlins Betrieben herrscht Frust über Versäumnisse der Politik. Das Bild zeigt Helme im Gasturbinenwerk von Siemens Energy.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Umfrage unter Berlins Unternehmen: Stimmung so mies wie seit erstem Corona-Sommer nicht mehr

Laut einer Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer blicken Berlins Unternehmen sehr negativ auf die wirtschaftliche Lage. Die Kammer gibt der Politik Tipps zur Stimmungsaufhellung.

Gemeckert wird immer. Es liegt in der Natur der Sache, dass Unternehmen nie völlig zufrieden sein können mit der aktuellen Politik, den Umständen insgesamt. Das sollte man im Hinterkopf haben bei der Lektüre der aktuellen Umfragedaten, die die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) nun vorgelegt hat.

Das Spitzenpersonal der Kammer bemüht regelmäßig Demoskopen, um das sprichwörtliche Haar in der Suppe zu finden, die Politik zu mahnen und warnen. Das war schon so, als Berlins Wirtschaft in zehn der vergangenen zwölf Jahre ordentlich gewachsen ist – und das sogar stärker als im Bundesdurchschnitt.

Und doch wirkten Jan Eder, der Hauptgeschäftsführer der IHK, und der ehrenamtliche Präsident Sebastian Stietzel am Montagabend authentisch resigniert, als sie den Journalisten die neueste Umfrage präsentierten. Vielleicht, weil ihnen zumindest im landespolitischen Berlin die Verantwortlichen für diese miese Stimmung fehlen. Denn seit genau sieben Monaten regiert eine Koalition unter Führung von Kai Wegner von der wirtschaftsliberalen CDU.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte beim Sommerfest der Berliner IHK schnelle Umsetzung der wirtschaftsfreundlichen Pläne angekündigt.

© Amin Akhtar/IHK

Auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey von der SPD präsentiert sich lieber als Kümmerin für Unternehmerinnen, als sich bei Märschen von Verdi und Co. einzureihen. Der Koalitionsvertrag ist aus Sicht vieler Kammer- und Verbandsmenschen ein Programm der Vernunft. Und doch läuft es nicht.

Im ersten Halbjahr schrumpfte die Wirtschaft leicht, um 0,1 Prozent, und dürfte im Gesamtjahr noch stärker schrumpfen. Der Konjunkturklimaindex der IHK, ein Mittelwert aus aktueller Geschäftslage und Erwartung, sinkt aktuell auf 103 Punkte nach 112 Punkten im Frühsommer.

Das sind Werte weit unterhalb des langjährigen Durschschnitts von 125 Zählern. Nur einmal – im ersten Sommer der Covid 19-Pandemie – lag der Wert niedriger als derzeit. Eine Folge: Hatten vor der Pandemie nur 15 Prozent der Betriebe auf Investitionen verzichtet, sind es jetzt ein Drittel. Im Baugewerbe und im Gastgewerbe wollen sogar zwei Drittel kein Geld ins eigene Geschäft stecken.

89 Prozent kritisieren Bildungspolitik

Die Kammer hatte 450 Unternehmensvertreter, die sich in ihrer Vollversammlung und Ausschüssen engagieren, eingeladen, Fragen zur beantworten. Dazu weitere 500 lokale kleine und mittelständische Unternehmen. 127 beteiligten sich zwischen dem 9. und 22. November. Ein Ergebnis: 89 Prozent der Befragten sind mit Berlins Bildungspolitik „unzufrieden“ oder „eher unzufrieden“.

Industrie braucht gebildete Köpfe: Wie hier beim Bau der weltweit leistungsstärksten Gasturbine im Siemens-Gasturbinenwerk.

© Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich

Es herrscht offensichtlich Frust darüber, dass 72 Prozent der befragten Firmen ihre Ausbildungsplätze wegen fehlender geeigneter Bewerbungen nicht besetzen können. Dass nach 27 Jahren Schulpolitik der SPD nun mit Katharina Günther-Wünsch erstmals eine CDU-Politikerin das Bildungsressort leitet, begrüßen Eder und Stietzel ausdrücklich („Sie bringt frischen Wind“, „Lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen“). Von ihrer Politik kommt bei den Unternehmen aber noch nichts an.

In der Kammer fragt man sich zum Beispiel, wo die versprochene flächendeckende Einführung des Unterrichtsfaches „Wirtschaft-Arbeit-Technik“ (WAT) bleibt.

Frust über Stadtentwicklung

Ähnlich schlecht sind die Noten für die Verkehrspolitik und die Flächenplanung, die die Kammer unter „Stadtentwicklung“ zusammenfasst: 87 Prozent zeigen sich hier unzufrieden. Null Prozent gaben „zufrieden“ an. Auch hier scheint die Politik der ehemaligen Bauwirtschafts-Lobbyistin und heutigen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) noch nicht gewirkt zu haben.

Wir sind nicht Auto-Lobby, sondern Wirtschaftsverkehrs-Lobby.

Jan Eder, IHK-Hauptgeschäftsführer

Kritiker aus der politisch grünen Ecke werfen der IHK vor, das Auto zu bevorzugen. Für die Kammer stellt Jan Eder klar: „Wir sind nicht Auto-Lobby, sondern Wirtschaftsverkehrs-Lobby“. So definiert die Kammer rund ein Drittel des Verkehrs in Berlin, also alle Fahrten, die während der Arbeitszeit getätigt werden müssen. Ob mit Auto, Lkw oder Lastenrad, sei ihr egal.

Es geht um Fragen wie die, warum das Entladen in der zweiten Reihe bald mit Punkten in Flensburg bestraft werden soll. Dann „werden bedeutende Standorte in Berlin nicht mehr belieferbar sein“, sagt die IHK voraus.

Wissenstransfer gelingt hier und da

Als relativ positiv bewerten die befragten Unternehmen immerhin die Innovations- und Transferpolitik des Senats. Eine recht knappe Mehrheit von 56 Prozent zeigt sich hier unzufrieden oder eher unzufrieden. Was den Zugang zu Kooperationsangeboten – und damit zum Knowhow der teils exzellenten Hochschulen der Stadt – angeht, sind sogar 49 Prozent „eher zufrieden“, nur 36 „eher unzufrieden“.

IHK-Präsident Stietzel macht sich dafür stark, dass in den Hochschulverträgen der Wissenstransfer (mit der Wirtschaft) als dritte Säule neben Forschung und Lehre festgeschrieben wird. Bisher setzte die Politik – auch – hier die falschen Anreize.

Auch bei den Ausschreibungen der öffentlichen Hand sieht IHK-Präsident Sebastian Stietzel Potenzial für Verbesserungen, weniger im Gesetz selbst als vielmehr in der Umsetzung: „Es wäre gut, wenn die Vergabestellen das jeweilige Problem ausschreiben und nicht gleich die Lösung. Das wäre ein Innovationsmotor.“

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