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Hier werden Wohnungen gebaut.

© Imago/Rust

Warnung vor dem „Gastro-Effekt“: Gewinnung von Fachkräften dauerhaftes Problem für Berliner Baubranche

Aktuell leidet die Branche unter hohen Zinsen, der Inflation und Materialmangel. Der Fachkräftemangel wird aber längerfristig eine Herausforderung bleiben.

Der ehemalige Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) erwartet nicht, dass die Bauwirtschaft einbricht. „Ich warne davor, hier eine Krise herbeizureden“, sagte er am Montagvormittag bei einer Anhörung des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus. „Baukonjunktur ist immer zyklisch, und wir bewegen uns immer noch auf einem relativ hohen Niveau.“ Die Lieferketten würden sich gerade wieder stabilisieren, die Inflation verlangsame sich und außerdem sei absehbar, dass auch das Zinsniveau langfristig wieder sinke.

Trotzdem: Bei der Frühjahrsumfrage der Handwerkskammer hätten 16 Prozent der Betriebe des Bauhauptgewerbes eine sehr geringe Auslastung ihrer Baukapazitäten von unter 50 Prozent zu Protokoll gegeben: „Das ist schwerwiegend. Das haben wir so in der Vergangenheit noch nicht gesehen“, sagte Schwarz. Für die Zukunft sei die Branche aber schon wieder optimistischer als noch vor einem Jahr.

Dieser Optimismus deckte sich nur bedingt mit dem, was die anderen Anzuhörenden dem Ausschuss berichteten: Der Bezirksvorsitzende Berlin der Gewerkschaft IG Bau, Thomas Hentschel, sagte, dass die Auftragslage aktuell noch recht gut sei, ab 2024/25 sehe es aber düsterer aus. Thomas Herrschelmann von der Unternehmen in der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg (FG Bau), berichtete, die Lage habe sich „einigermaßen auf einem ganz niedrigen Niveau stabilisiert“.

Positiv sei die Lage vor allem beim Holzbau, hier kämen auch noch Aufträge rein. Auch für die nächsten Jahre sehe er eine Art „Schere, die auseinander geht“: Bei vielen verschlechtere sich die Lage, bei einigen, vor allem beim Holzbau, verbessere sie sich.

Antizyklische Investitionen?

Die klassische Reaktion des Staates wäre in Krisenzeiten: antizyklisch investieren, staatliche Nachfrage organisieren, wo sie auf dem Markt nicht vorhanden ist. Genau dazu riefen die Anzuhörenden in der Ausschusssitzung nun auch auf, erst Recht angesichts des bekannten Problems des Fachkräftemangels auf dem Bau: Wenn jetzt keine Aufträge kämen, droht dann nicht der Verlust der wenigen vorhandenen Fachkräfte, die sich beruflich vielleicht neu orientieren würden, wie es nach den Corona-Lockdowns in der Gastronomie der Fall war?

Ein solches antizyklisches Investitionsverhalten der öffentlichen Hand sehe man aber in Berlin leider nicht, bedauerte Herrschelmann von der FG Bau. Bausenator Christian Gaebler (SPD) reagierte verhalten: „Natürlich sind wir mit unseren Investitionen auf hohem Niveau weiter unterwegs, müssen aber feststellen, dass durch die Kostensteigerung natürlich die Möglichkeit begrenzt ist, neue Projekte in großer Zahl anzugehen.“

Nicht nur neue Projekte könnten leiden, auch bei den schon angeschobenen drohen Verzögerungen, sagte Senator Gaebler: „Im Moment gehen wir davon aus, dass wir bei einigen Projekten auch etwas verschieben müssen, weil die Kostensteigerungen dazu führen, dass nicht alle Projekte im Zeitplan realisiert werden können.“ Ähnliches gelte für die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Bei den Neuen Stadtquartieren, also den Quartieren, wo viel Wohnbau unter Planungshoheit des Senats entstehen soll, sortiere man gerade „welche Projekte welchen Stand haben und wann sie wie fortgesetzt werden.“

Auch die Präsidentin der Architektenkammer, Theresa Keilhacker, wies darauf hin, dass die freigewordenen Baukapazitäten eine Chance seien: Das Land habe nun die Möglichkeit, gezielt mittelständische Planungsunternehmen zu fördern. Kleine Büros gebe es schließlich viele in Berlin, und diese litten unter der gängigen Vergabepraxis der landeseigenen Wohnungsunternehmen, Aufträge gebündelt zu vergeben: Die Umfänge der Ausschreibungen seien dann so groß, dass sich die kleinen Büros darauf gar nicht bewerben könnten.

„Diese gebündelten Verfahren haben dazu geführt, dass der Markt sich ganz deutlich verknappt hat“, so Keilhacker. Das könne auch nicht im Interesse der öffentlichen Hand seien, denn wenn es dann nur ganz wenige Anbieter gebe, die sich auf die großen, gebündelten Vergaben bewerben könnten, würden dadurch nahezu automatisch die Preise der Angebote steigen.

Frauen auf dem Bau gesucht

Ein längerfristiges Problem für die Branche wird wohl die Gewinnung von Fachkräften sein. Thomas Hentschel von der IG Bau wies darauf hin, wie wichtig es sei, neue Zielgruppen zu erschließen, zum Beispiel junge Frauen. Bei einer wichtigen Gruppe sei man aber auf die Unterstützung durch die Politik angewiesen: „Wir haben einen hohen Anteil an migrantischen Azubis in der Bauwirtschaft: Der Anteil derjenigen, die keinen deutschen Pass haben, liegt bei ungefähr 20 Prozent.“

Auch unter Geflüchteten sehe man ein hohes Potenzial, aber es gebe ein Problem: „Dass die zwei Jahre lernen, dass die auch gut lernen und dann plötzlich abgeholt werden und abgeschoben werden.“ Das sende ein schlechtes Signal an die Unternehmen, so Hentschel: „Sind die Unternehmen bereit, solche Kolleginnen und Kollegen einzustellen, oder sagen sie: Da gehen wir lieber nicht ran, weil das Ausländerrecht in Deutschland ja nun nicht ganz einfach ist?“

Darum sei es nötig, dass die Geflüchteten in Ausbildungsverhältnissen die Möglichkeit hätten, drei Jahre ihre Ausbildung machen zu können, dabei auch Unterstützung und dann anschließend eine sichere Bleibeperspektive zu erhalten.

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