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Die Buche spendet den Pflanzen des Palliativgartens Schatten.

© Tagesspiegel/Simon Schwarz

„Eine Oase in der Maschinerie“: Berliner Charité weiht Palliativgarten ein

Im neuen Palliativgarten, den die Charité am Mittwoch einweiht, können Patient:innen auf Betteninseln und zwischen Blumen entspannen. Der Garten soll ihr Wohlbefinden steigern.

In dem Moment, als der Gärtner den Wassersprinkler umstellt, klart der Himmel auf. Sonnenstrahlen erleuchten die feuchten Blumen und Sträucher des Gartens, der sich vor den Stationen 55 und 56 ausbreitet. Im oberen Stockwerk, auf Station 56, liegen Patient:innen mit unheilbaren neurologischen Krankheiten. Darunter, auf Station 55, befinden sich Menschen mit unheilbaren Krebserkrankungen. Vor ihren Fenstern blühen Narzissen und Rhododendren, Buchen werfen Schatten auf die Pflanzen.

Der Garten erstreckt sich nicht zufällig vor den beiden Palliativstationen. Mit Spendengeldern hat die Charité das 700 Quadratmeter große Areal auf dem Gelände der Virchow-Klinik umgegraben und einen speziellen Palliativgarten errichtet. Am Mittwochnachmittag weiht das Krankenhaus den Garten ein. Der Tagesspiegel durfte schon Tage vorher vorbeischauen.

Wind und Gerüche können Erinnerungen von früher wachrufen

„Der Garten beschleunigt den Heilungsprozess, er hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden“, erzählt Lars Bullinger, Direktor der Hämatoonkologie. Sein Kollege Johann Ahn, Oberarzt auf Station 55, sagt: „Viele der Menschen sind geschwächt und nicht mobil, im Garten können sie trotzdem die Natur erfahren.“ Der Wind, der durch die Bäume weht, und der Geruch der Pflanzen würden Erinnerungen von früher wachrufen, berichten die Ärzte.

Wir sind keine Sterbestationen.

Johann Ahn, Oberarzt auf Station 55

Auf den Stationen 55 und 56 liegen Patient:innen jedweden Alters, die jüngsten sind gerade 18. Durchschnittlich verbringen sie zwölf bis 14 Tage hier. 20 bis 30 Prozent der Menschen versterben währenddessen, für die anderen geht es anschließend nach Hause oder auf eine andere Station. Palliativversorgung, das sei das böse P-Wort, sagt Ahn – assoziiert mit Leid und dem Tod. Laut ihm ein Klischee: „Wir sind keine Sterbestationen.“

Palliativversorgung definiert die Weltgesundheitsorganisation als Behandlung von Patient:innen mit einer „fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht“. Im Gegensatz zu einem Hospiz besteht das Ziel darin, die Personen wieder zu entlassen. Auf einer Palliativstation arbeiten Pflegekräfte, Physiotherapeut:innen, Psychotherapeut:innen, Seelsorgende und Ärzt:innen eng zusammen.

Die Rollstuhlinsel zwischen mehreren Arten von Rhododendren.
Die Rollstuhlinsel zwischen mehreren Arten von Rhododendren.

© Tagesspiegel/Simon Schwarz

Katharina D. ist schon zum neunten Mal Patientin auf Station 55. Sie hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und in den vergangenen zwei Jahren mehrere Chemotherapien gemacht. Nichts davon half, nun geht es darum, die Symptome zu lindern. „Der Garten ist für mich wie eine kleine Oase“, sagt die 57-Jährige. Sie genieße die frische Luft, wenn sie draußen sei. Allerdings geht das momentan nicht, da sie an eine Bluttransfusion angeschlossen ist.

Das ist jedoch ein Sonderfall, denn normalerweise gelangen die Patient:innen auch im Rollstuhl oder auf ihren Betten in den Garten. Insgesamt gibt es vier Betten- und eine Rollstuhlinsel, sie alle sind inmitten des Gartens über Pflastersteine miteinander verbunden. Vor der rund 115.000 Euro teuren Umgestaltung lag dort eine Rasenfläche mit Sträuchern. Je nach Jahreszeit wachsen nun Blumen aus dem Boden, im Frühjahr waren es Schneeglöckchen. Ein Waschbär fühlt sich ebenfalls heimisch, die Ärzt:innen haben ihn „Pilly“ getauft.

Die Stationen haben weniger Probleme Personal zu finden

Dass Katharina D. diesen Ort eine Oase nennt, während das Krankenhaus ansonsten eine „Maschinerie“ sei, ist eine Beobachtung, die sie mit ihren behandelnden Ärzt:innen teilt. Insgesamt hat die Charité 3100 Krankenhausbetten. Die Stationen 55 und 56 haben jeweils zehn Einzelzimmer, fünf weitere Palliativbetten gibt es auf dem Charité-Campus Benjamin Franklin.

„Zehn Prozent der neurologischen Patientinnen und Patienten in Deutschland müssten eigentlich palliativ versorgt werden“, sagt Christoph Ploner, der stellvertretende Direktor der Neurologie. Andere Erkrankungen kommen da noch obendrauf, was darauf schließen lässt, dass der Bereich massiv unterversorgt ist. Patient:innen, die auf anderen Stationen liegen, versorgt an der Charité ein mobiler Palliativ-Konsiliardienst.

Ploner und seine Kolleg:innen beklagen sich über das Fallpauschalensystem, über den Kostendruck und dass viele Krankenhäuser von innen karg, geradezu toxisch für die Patient:innen seien. Der Alltag auf den Palliativstationen sei langsamer, Behandlungen ganzheitlicher. Ahn erzählt, dass die Stationen auch weniger Probleme hätten, Pflegepersonal zu finden.

So einen Garten bräuchte es eigentlich vor jeder Station, sagen die Ärzte. Zwischen den Blumenbeeten verweilen nicht nur die Patient:innen gern, die Ärzt:innen sind ebenfalls oft dort, wenn sie Pause machen. Sollten noch mehr Spenden zusammenkommen, tut sich zwischen den Beeten vielleicht bald ein Teich auf. Die Pläne dafür liegen schon bereit.

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