zum Hauptinhalt
In der ehemaligen Kadettenanstalt, sie wurde 1920 aufgelöst, zog 1934 Hitlers SS-Leibstandarte ein.

© Michael Schroeren

Straße umbenennen - ja oder nein?: Das sagen die Leser:innen zur Debatte um den Kadettenweg

Spannender Dekanstoß in Berlin-Lichterfelde: Ein Bürger macht einen Vorschlag und die Reaktionen im Berliner Bezirk sind enorm - und ganz unterschiedlich. Aber lesen Sie selbst!

Umbenennen oder nicht? Die mögliche Rückbenennung einer Straße im Berliner Südwesten hat für viel Leserpost gesorgt. Vergangene Woche hatte der Lichterfelder Michael Schroeren in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel dafür geworben, den Kadettenweg wieder nach dem Komponisten und Musikpädagogen Julius Stern zu benennen - bis 1935 hieß sie Sternstraße. Nur wenige Minuten nach dem Erscheinen des Tagesspiegel-Bezirksnewsletters, in dem der Beitrag erschien, trafen die ersten Leserbriefe ein. Darüber berichtet der Tagesspiegel-Newsletter für Steglitz-Zehlendorf daher in seiner aktuellen Ausgabe, die Sie in voller Länge lesen können unter tagesspiegel.de/bezirke.

Anwohnerinnen und Anwohner des Kadettenwegs haben sich ebenso zu Wort gemeldet wie ein Leser aus Spanien. Die meisten Leserinnen und Leser des Tagesspiegel-Bezirksnewsletters bezogen konkret zur Umbenennung Stellung: 15 votieren gegen eine Rückbenennung des Kadettenwegs, 38 dafür. Bei den Briefeschreibern, die sich als Anwohnende des Kadettenwegs zu erkennen gaben, waren drei für die Rückkehr zur Sternstraße, zwei dagegen. Hier einige Auszüge aus den Leserbriefen an den Bezirksnewsletter für Steglitz-Zehlendorf.

Sternstraße bleibt historisch korrekt und die Kadetten sind nachweislich später dahermarschiert!

Tagesspiegel-Leserin

„Als alte Lichterfelderin: ganz klar für Umbenennung“, positioniert sich Leserin Dagmar Odenthal eindeutig. „Selbst wenn ein Millimeter an historischem Nachweis fehlt, Sternstraße bleibt historisch korrekt und die Kadetten sind nachweislich später dahermarschiert!“

Bis 1935 hieß die Straße, die zur ehemaligen Preußischen Kadettenanstalt führt, heute sitzt dort das Bundesarchiv, Sternstraße.

© Michael Schroeren

„Eine Umbenennung sollte selbstverständlich sein“, schreibt Claudia Rosenthal im „ersten Leserbrief meines Lebens“. Vor allem wegen des Vorhabens der Nazis, den Namen Stern aus der Stadtgeschichte zu tilgen. „Darüber hinaus muss eine Straße heute sowieso nicht mehr nach einem Schüler einer militärischen Ausbildungsstätte benannt sein, unabhängig davon, wer die Straße so benannt hat.“ Am besten solle der Kadettenweg künftig Julius-Stern-Straße heißen, „dann kann niemand mehr behaupten, es sei nicht eindeutig“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Anwohnerin Beatrix Springmann-Fritsch plädiert ebenfalls für die Rückkehr zum alten Namen, „weil der ursprüngliche historische Bezug aufgegriffen wird und ein bedeutender Mensch geehrt wird. Vor allem wird das entstandene Unrecht durch die Nazis anerkannt und nicht einfach übergangen.“ Den organisatorischen Aufwand, den für sie die Rückkehr zum ursprünglichen Namen mit sich bringen würde, nehme sie gerne in Kauf.

„Das Thema Straßenumbenennungen ist teilweise mit guten Gründen ‚in‘, so etwa in Bezug auf Antisemiten, Unterstützern des Nationalsozialismus, Kolonialisten. Dieser Fall liegt anders“, schreibt Leser Klaus Rockel. Aus seiner Sicht bestehe kein Handlungsdruck, im Gegenteil: „Warum also jetzt, wenn die Öffentlichen Hände mit den normalen Aufgaben nicht klarkommen, Finanzlücken an allen Ecken in der Stadt und im Bezirk bestehen, Schulbauten verfallen… Allein die Kosten der Neubeschilderung wären im Schulbau oder bei Notunterkünften besser eingesetzt, der Mehraufwand in den Verwaltungen und Ämtern, bei den Privatleuten und Unternehmen kommt noch hinzu.“ Er findet, der Kadettenweg helfe auch, „die militaristische Geschichte Lichterfeldes im Gedächtnis zu behalten“. Mehr Sinn als den Kadettenweg umzubenennen, würde es machen, „den Kriegshelden Weddigen zu streichen oder den unsäglichen Gedenkstein am Paulinenplatz zu entfernen“.

Die Umbenennung wäre falsch. Die Kadettenanstalt hat Lichterfelde und seine Geschichte geprägt. 

Tagesspiegel-Leser

Auch Anwohner Björn Retzlaff fände eine Umbenennung falsch. „Als Bewohner des Kadettenwegs bin ich gegen die Umbenennung unserer Straße. Die Kadettenanstalt hat Lichterfelde und seine Geschichte geprägt. Daher liegt es nahe, die Straße, die zu ihrem ehemaligen Haupteingang führt, nach dieser Institution zu benennen. Es ist kein Verbrechen, an die preußische Geschichte zu erinnern.“ Zudem gebe es aktuell wichtigere Probleme als ein neuer Straßenname. Allerdings „spricht natürlich nichts dagegen, eine geeignete Lichterfelder Straße nach Julius Stern zu benennen“. Er schlägt dafür die Potsdamer Straße oder einen Teil der Baseler Straße vor; das ginge jedoch nur, wenn „sich die Allgemeinheit und insbesondere die Bewohner der betroffenen Straßen dafür aussprechen“.

„Ich stimme damit überein, dass Namenstilgungen und damit die Löschung von Erinnerung an insbesondere ehemalige, jüdische Mitbewohner:innen, an nicht-deutsche und politisch unliebsame Personen, absolut zu verurteilen sind“, schreibt Jörg Hennerkes, auch er wohnt im Kadettenweg. „Ich bin gegen Geschichts- und Erinnerungsabwehr. Ich bin für Information und Aufklärung.“ Er unterstützt sowohl die Umbenennung der Treitschkestraße als auch die Idee, die Pacelliallee in eine „Allee des Gedenkens“ umzuwandeln (mehr dazu hier). „Nicht aber den Kadettenweg!“, so der Leser. „Weil es sich hier nicht um eine Person, sondern um eine heute noch genutzte Rangbezeichnung handelt.“ Es gehe darum, Straßen umzubenennen, durch die bisher aktive Gegner der Demokratie und gerade Befürworter der NS-Ideologie und -diktatur geehrt worden sind. „Diese Menschen gehören nicht in unser Straßenbild!“ Sein Vorschlag ist, den heutigen Karlplatz, er liegt in der Mitte des Kadettenwegs an der Ringstraße, in Sternplatz umzubenennen und eine Informationsstele aufzustellen.

„Wir müssen uns entscheiden, an welche Teile der Geschichte wir erinnert werden wollen beziehungsweise sollen“, meint Leserin Rosemarie Gebauer aus Lichterfelde. Sie forscht bereits seit über einem Jahr zur Geschichte des Kadettenwegs und der Sternstraße. Wichtig sei für sie das Wissen „auch um die dunkle, verhängnisvolle Geschichte von Lichterfelde-West“, die nie wieder passieren dürfe. Sie spricht sich dafür aus, an der Ecke von Kadettenweg und Ringstraße eine Infotafel aufzustellen: „Ein knapper Text verweist auf den ehemaligen Namen des Kadettenweges und würde auf Nachbarn und Touristen aufklärend wirken.“

Einen ganz besonderen Bezug zur Sternstraße hat Leser Roland Pachali: „Antonie Stern (1870-1958), eine Enkelin von Julius Stern, war meine Taufpatin.“ Seine Eltern hatten in der Tiergartener Altbauwohnung von Antonie Stern zur Untermiete gewohnt; von Dezember 1942 bis August 1943 versteckten sie dort die jüdische Berlinerin Ruth Lilienthal. „Natürlich würde ich es sehr begrüßen, wenn es Ihnen gelänge, der Initiative zur Rückbenennung des Kadettenwegs in Sternstraße zum Durchbruch zu verhelfen! Ganz sicher werden sehr viel Zeit, Kraft und Hartnäckigkeit hierfür erforderlich sein“, schreibt er an die Initiatorinnen und Intiatoren der Umbenennungsdebatte.

Ideologisch geleitete Straßenumbenennungen der Nationalsozialisten müssen auf den Prüfstand, meint Heribert Wasserberg: „Demokratische Kultur muss einschließen, dass der öffentliche Raum kein Walhalla für historische Verbrechen und Verbrecher ist.“

Interessante Post aus Cordoba/Spanien

Aus dem spanischen Córdoba meldete sich Leser Alan Posener: „Mein Großonkel Paul Oppenheim lebte mit seiner Frau Ännie und den Kindern sowie seinem Bruder, meinem Großonkel Alfred, in der Sternstraße 19, heute Kadettenweg 41.“ Der Privatgelehrte Paul Oppenheim habe deutschnational gedacht, so der Großneffe, auch in der Republik habe er schwarz-weiß-rot geflaggt. „Aber er war eben ein stolzer deutschnationaler Jude.“ Er sei „zum Glück“ zu Beginn der NS-Zeit gestorben, „Ännie überlebte ihn nur um wenige Jahre. Die Kinder emigrierten nach Palästina. Alfred wurde nach Theresienstadt deportiert und starb dort.“ – „Es wäre auch gegenüber dieser Familie ein Akt der Wiedergutmachung, der Straße den Namen wiederzugeben, den sie in der Familienerinnerung hat.“

Mit „großem Interesse“ hat Anita Rennert, sie leitet das Julius-Stern-Institut der Universität der Künste Berlin, den Gastbeitrag über den Kadettenweg im Tagesspiegel gelesen. 1850 ist das Julius-Stern-Institut als Sternʼsches Konservatorium gegründet worden. 172 Jahre später erhalten dort 74 besonders begabte Kinder und Jugendliche zwischen neun und 18 Jahren neben dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule eine breite musikalische Ausbildung, viele der jungen Talente seien Preisträgerinnen und Preisträger nationaler und internationaler Wettbewerbe. „Julius Stern war zweifellos für die Berliner Musikgeschichte eine der herausragendsten Persönlichkeiten und ich fände ich es großartig, wenn der Name Stern ‚seiner‘ Straße wieder gegeben würde“, schreibt Musik-Professorin Rennert.

Die Linken wollen etwas gerade rücken

Auch der Bezirksverordnete Dennis Egginger-Gonzalez von den Linken, von seiner Fraktion wurde die Namens-Debatte auf das Parkett der Bezirksverordnetenversammlung gebracht, schrieb dem Tagesspiegel einen Leserbrief. Er will vor allem etwas gerade rücken. In der Einleitung zum Gastbeitrag von Michael Schroeren hieß es vergangene Woche, der Antrag auf Umbenennung des Kadettenwegs „schmore“ im Ausschuss für Bildung und Kultur und sei bereits sechs Mal vertagt. Letzteres stimme zwar – „vertagt hat in allen sechs Sitzungen seit Februar stets die Linksfraktion in der Hoffnung, dass sich bei den Recherchen doch noch ein entscheidender Hinweis finden lässt“.

Denn im Februar habe Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) den Ausschussmitgliedern mitgeteilt, dass im Bezirksamt keine Belege vorhanden wären, ob die Straße tatsächlich nach Julius Stern benannt worden sei. „Von da an haben drei Nachbarinnen und Nachbarn und ich umfassende Recherchen angestellt“, schreibt Dennis Egginger-Gonzalez.

In der Oktobersitzung des Ausschusses, sie ist für den 26. Oktober geplant, solle ein Vorschlag für das weitere Verfahren vorgestellt werden. Und dann entscheide die Mehrheit.

Unsere Bezirksnewsletter vom Tagesspiegel kommen schon auf fast 270.000 Abos und sind unter tagesspiegel.de/bezirke erhältlich. Darin bündeln wir - einmal pro Woche und kostenlos für Sie - Kiez-Nachrichten, Termine, Tipps. Hier ein Blick auf die aktuellen Themen der Woche.


Hier die Themen aus dem aktuellen Newsletter für Steglitz-Zehlendorf

  • Wo bleibt der Livestream? Das Versprechen der Ampel, BVV-Sitzungen zu streamen, bleibt unerfüllt
  • Überall Kinder: Die Schüler der Clemens-Brentano-Grundschule in Lichterfelde tanzten für eine Schulzone auf der Straße – im Doppelinterview diskutieren eine Elternvertreterin und der Verkehrsstadtrat, was möglich ist
  • Umbenennen oder nicht? Lebhafte Leser-Debatte um die Zukunft des Kadettenwegs
  • Neues aus der BVV: Die FDP will nicht mehr neben der AfD sitzen
  • Ihre Chance, werden Sie Teil des Wahlamts: Bezirksamt sucht Mitarbeitende für maximal 3,5 Monate
  • Der Bau beginnt: Erster Spatenstich für neues Psychiatrie-Zentrum für Kinder und Jugendliche
  • BVV was? Ein Steglitz-Zehlendorfer hat das neue Planspiel zur Bezirkspolitik ausprobiert
  • Magisch und herbstlich: Hexenschule in den Ferien im Museumsdorf Düppel
  • Kinder sind gefragt: Planungen für den Spielplatz Calandrellistraße werden vorgestellt
  • „Eine Reise durch Hölle, Fegefeuer und Paradies“: Die Volkshochschule lädt zu virtuellen Kurzurlauben ein – von Italien bis Indonesien
  • Donnerstag ist Vorlesetag! Zumindest in der Gottfried-Benn-Bibliothek
  • „Alles muss raus! Wir schließen“: Der Berliner Street-Art-Künstler XOOOOX kommt in den Südwesten
  • Tipp: Laub gehört auf den Kompost 

Die Berliner Bezirksnewsletter gibt es in voller Länge und kostenlos unter tagesspiegel.de/bezirke. Wir freuen uns auf Sie!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false