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Auszubildende im Unterreicht an einem Technischen Schulzentrum (hier in Sindelfingen). Die Berufsschulen wollen mit der Zeit gehen und auch über digitale Kanäle Lerninhalte vermitteln.

©  Daniel Bockwoldt/dpa

Berliner Lernvideo-Plattform: Simpleclub will auch Stoff für Azubis bringen

Die Berliner Macher der bei Schülern bereits sehr populären Lernvideo-Plattform Simpleclub wollen auch Prüfungsstoff für Auszubildende bieten.

Larissa Zeichhardt war frustriert. Kurz vor Weihnachten war der Geschäftsführerin des Friedrichshainer Familienunternehmens LAT Funkanlagen-Service der vorletzte Auszubildende abgesprungen. Und das offenbar nicht, weil die Firma für Schienentechnik mit 130 Mitarbeitern kein toller Arbeitgeber wäre. Der damals angehende Industrieelektriker scheiterte vor allem an der Theoriestunden in der Berufsschule. Und er war nicht der erste.

Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) kennt man das Problem seit Jahren: Die Abbrecherquote bei Auszubildenden in Berlin steigt fast stetig – zuletzt auf fast 13 Prozent. Das kostet die Ausbilder nicht nur Nerven sondern auch Geld. Laut Zahlen des Bundesinstituts für Berufliche Bildung (BIBB) bleibt jedes Unternehmen auf Kosten in Höhe von knapp 5400 Euro pro Jahr und Azubi sitzen. „Das schlimmste ist, dass jeder Abbruch eine verpasste Chance für beide Seiten ist“, meinte die Chefin von LAT am Donnerstag bei der Vorstellung des Projekts. Überhaupt sei es gerade für weniger bekannte Unternehmen extrem schwierig, Bewerber zu bekommen. Die berufliche Ausbildung habe bei jungen Leuten ein massives Imageproblem – gerade im Vergleich zum Studium.

Larissa Zeichhardts LAT hat sich daher mit der IHK, dem zuständigen Oberstufenzentrum OSZ TIEM in Haselhorst (Berlin-Spandau) sowie ihren großen Auftraggebern Deutsche Bahn und BVG zusammengeschlossen. Gemeinsam entwickeln sie jetzt Inhalte für die bei Schülern bereits sehr populäre Lernvideo-Plattform Simpleclub – zunächst testweise für die Ausbildungsgänge zum Industrieelektriker (dauert zwei Jahre) und zum Elektroniker für Betriebstechnik (dreieinhalb Jahre).

Zehn Millionen Abrufe im Monat

Die Macher des Berliner Start-ups Simpleclub waren vor fünf Jahren mit einem Kanal für Mathe-Erklärvideos auf Youtube gestartet, bieten ihre mittlerweile 2000 betont lässig gestalteten Animationsfilme und die Fragebögen dazu nun auch über eine App für Smartphone und Tablet an. Mittlerweile hat Simpleclub rund 600.000 registrierte Nutzer, die rund zehn Millionen mal im Monat die im Schnitt sechs Minuten kurzen Filme abrufen. Die Gründer und Eigentümer Alexander Giesecke und Nicolai Schork beschäftigen in Kreuzberg rund 25 Mitarbeiter und arbeiten bereits an einem Simpleclub-Angebot für Schüler in den USA und in Indien, „wo der Markt für digitale Bildung bald durch die Decke gehen wird“, wie Giesecke am Donnerstag sagte. Zudem experimentiert das Unternehmen auch mit Künstlicher Intelligenz (KI). Die Software soll durch die Nutzer lernen, welche Lerninhalte beim jeweiligen Nutzer noch vertieft werden müssen. Und welche schon im Kopf sind.

Der Youtube-Kanal des Berliner Unternehmens Simpleclub. Hier erklären die Gründer Nicolai Schork und Alexander Giesecke, wie es geht.
Der Youtube-Kanal des Berliner Unternehmens Simpleclub. Hier erklären die Gründer Nicolai Schork und Alexander Giesecke, wie es geht.

© Kevin P. Hoffmann

Jan Pörksen, der bei der IHK den Bereich Bildung und Beruf verantwortet, sieht in in dem aufstrebenden Start-up den idealen Partner, um die mitunter verstaubten Lerninhalte an die Frau und den Mann in Ausbildung zu bringen. Schließlich seien Giesecke und sein Mitstreiter Schork fast allen aktuellen Abiturienten hierzulande bekannt. „Sie treffen den Ton bei der Altersgruppe“. Nun wolle man mit der Lern-App zeigen, dass auch Unternehmen „dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind“. Youtube und Apps seien ja nicht mehr nur Unterhaltungsmedien, sondern wichtige Informationsquelle, bald auch für Auszubildende.

Weitere Partner für andere Ausbildungsberufe gesucht

Die IHK und ihrer Partner wollen das Produkt Simpleclub Business am Sonnabend (16. Februar) auf ihrer Ausbildungsplatz-Börse Jobsnap im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus erstmals Ausbildungsplatzsuchenden präsentieren. Komplett nutzbar sein wird das Angebot vermutlich aber erst für den nächsten Ausbildungsjahrgang, der im September startet. Die Hoffnung aller Partner ist, dass sich neben LAT, Deutsche Bahn und BVG auch weitere Unternehmen und deren Berufsschulen finden, um auch Simpleclub-Inhalte für viele andere der mehr als 300 Ausbildungsberufe in der Region zu entwickeln.

Sabine Venke, die Leiterin des Oberstufenzentrums TIEM in Spandau, glaubt nicht, dass solche Apps irgendwann die Berufsschulen überflüssig machen werden. „Diese Lernwerkzeuge helfen unseren Lehrern aber, in ein Thema einzuführen und Schüler zu erreichen, die sich mit konventionellen Lernmethoden schwer tun.“ Die oder der eine lerne am besten durchs Hören, der andere durchs Sehen oder Selbermachen. Eine App können eine gute Ergänzung sein, die Berufsschullehrer könnten sie aber nicht ersetzen, meint Venke.

Und wer bezahlt diesen neuartigen Lernspaß? Simpleclub muss und will auch Geld verdienen. 14,99 Euro im Monat kostet aktuell ein Zugang für die werbefreie Version. Zumindest LAT-Chefin Zeichhardt, die das Projekt mit angestoßen hat, hält das für gut investiertes Geld. „Wir werden die Kosten für unsere Azubis, die hoffentlich im September starten, übernehmen. Das scheint mir gut investiertes Geld zu sein.“

Lesen Sie hier weitere Beiträge rund ums eLearning. Zum Tagesspiegel-Fachbriefing für Digitalisierung und KI geht es hier. Auch interessant: "Verlieren wir durch die Digitalisierung das kritische Denken?"

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