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Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, sprechen auf der Landesdelegiertenkonferenz ihrer Partei.

© dpa/Monika Skolimowska

Berliner Grünen-Chef über den Wahlkampf: „Natürlich haben wir Fehler gemacht“

Philmon Ghirmai sieht mehrere Gründe, warum die Partei ihr Wahlziel verfehlt hat. In ihrer Oppositionsarbeit wollen die Grünen ältere Menschen und den Stadtrand mehr in den Blick nehmen.

Herr Ghirmai, wenn man die Wahlkampf-Auswertung Ihrer Partei liest, könnte man, etwas zugespitzt, auf die Idee kommen, am Grünen-Wahlergebnis sind die CDU, der Winter und die Ampel auf Bundesebene schuld.
Wir haben uns auf dem Niveau unseres historisch besten Ergebnisses stabilisiert. Das ist erst mal ein großer Erfolg, auch wenn es genauso wahr ist, dass wir unser Ziel, das Rote Rathaus zu erobern, nicht erreicht haben. Es ist klar, dass es viele Gründe für das Wahlergebnis gibt, angefangen bei den Besonderheiten der Wiederholungswahl…

Aber das traf ja für alle Parteien zu.
Sicherlich hatten alle Parteien die gleichen organisatorischen Herausforderungen, die damaligen Regierungsparteien wurden aber offenkundig von den Berlinerinnen und Berlinern für das historisch einmalige organisatorische Versagen 2021 verantwortlich gemacht. Dieser Malus blieb an allen hängen, weil die SPD, die seinerzeit die Innenverwaltung und damit die politische Verantwortung trug, keine Verantwortung dafür übernommen hat.

Das klingt alles sehr passiv, als wenn den Grünen dieses Wahlergebnis passiert sei.
Es gehört zu einer solchen Analyse, die Ausgangslage zu beschreiben, aus der heraus der Wahlkampf geführt wurde. Dazu gehört der Sonderfall Wiederholungswahl, dazu gehören aber auch die vielen Krisen der Gegenwart, die die Zeit vor, während und nach dem Wahlkampf geprägt haben: die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die folgende soziale und Energiekrise und natürlich die Klimakrise. All das traf und trifft die Berlinerinnen und Berliner sehr hart. Wir haben uns dazu entschieden, im Wahlkampf ehrlich zu sein und über die notwendigen Veränderungsprozesse zu sprechen, während es sich andere leicht gemacht und das Blaue vom Himmel versprochen haben. Unser Ergebnis zeigt, dass viele Berlinerinnen und Berliner echten Klimaschutz wollen.

Dass es das zweitbeste Ergebnis war, mag für Parteihistoriker interessant sein. Am Ende hat sie dieses Ergebnis in die Opposition geführt.
Wir werden aus der Opposition heraus den schlimmsten Rückschritt durch Schwarz-Rot verhindern und dafür Sorge tragen, dass niemand in Berlin vergessen wird. Wir haben als Partei bereits intensiv über die Sondierungen gesprochen und in dem Zusammenhang auch die vielen Falschbehauptungen der SPD kritisiert. Jetzt geht es uns aber darum, die Oppositionsführung kritisch und konstruktiv anzunehmen, was ungemein wichtig ist für die Demokratie. Natürlich hätte Berlin eine gute Regierung verdient, jetzt bekommt die Stadt wenigstens eine gute Opposition. Dabei werden wir die Erkenntnisse der Wahlauswertung in unsere Arbeit einfließen lassen.

Wir haben bei jüngeren Berlinerinnen und Berlinern sehr gut abgeschnitten, bei älteren jedoch nicht. Das sollte uns zu denken geben.

Philmon Ghirmai, Co-Landesvorsitzender der Berliner Grünen

Welche sind das?
Zum Beispiel, dass wir Adressaten-gerecht kommunizieren und die Stadt auch in der Breite ansprechen müssen. Wir haben bei jüngeren Berlinerinnen und Berlinern sehr gut abgeschnitten, bei älteren jedoch nicht. Das sollte uns zu denken geben. Wir haben nämlich viel im Gepäck, was gerade das Leben von älteren Menschen besser macht. Wir schaffen es aber offenkundig nicht gut genug, unsere Inhalte klar zu kommunizieren. Das Gleiche gilt sicherlich auch für die Stadtrandlagen.

Wo, anders als in der Innenstadt, mehrheitlich CDU gewählt wurde.
Das vielfach gezeichnete Bild der Avocado, außen schwarz, innen grün, ist viel zu platt und taugt für eine ernsthafte Analyse nicht. Die Bedürfnisse und Anliegen sind in unserer Stadt sehr unterschiedlich. Es gibt nicht „die“ Außenbezirke. Unsere Bezirksbürgermeister:innen und Stadträt:innen, die vor Ort sehr gute und passgenaue Arbeit leisten, wissen das. Im Wahlkampf haben wir es aber beispielsweise nicht geschafft, unsere verschiedenen Mobilitätsangebote für Stadtrandlagen – etwa den Rufbus Muva oder aber den Ausbau des ÖPNV – in die Breite zu tragen.

Stichwort Mobilität: Bettina Jarasch hat bereits eingeräumt, dass die Sperrung der Friedrichstraße während des Winter-Wahlkampfs ein Fehler war. In Ihrer Auswertung heißt es nun, das habe das „Narrativ der Gegner:innen gestärkt“. Warum fällt es Ihnen so schwer, Fehler zuzugeben?
Natürlich haben wir im Wahlkampf Fehler gemacht, wie jede Partei in jedem Wahlkampf. Aber aus zu einfachen Erklärungen lernen wir nicht wirklich was. Es stimmt, die Entscheidung zur Friedrichstraße hat offenkundig polarisiert. Insbesondere die CDU hat sie als Symbol herausgepickt. Umgekehrt gab und gibt es aber einen großen Teil in dieser Stadt, der den ökologischen Stadtumbau möchte. Für diese Menschen ist es wichtig, dass Berlin mit der Mobilitätswende vorankommt und sichtbare Erfolge erzielt werden.

In der Auswertung steht ein weiterer bemerkenswerter Absatz: „76% der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Berlin schlecht auf die Zukunft vorbereitet sei. Ein Armutszeugnis für SPD und CDU, die in den letzten 30 Jahren im Roten Rathaus zentrale Verantwortung für die Entwicklung der Stadt trugen.“
Der Absatz geht ja noch weiter…

Ja, und zwar heißt es, dass dies „wohl auch ein kritisches Urteil über die grünen Erfolge der letzten sechs Regierungsjahre“ sei. Mit anderen Worten: Die Menschen erkennen das schlechte Regierungshandeln der CDU und SPD, übersehen nur leider die Erfolge der Grünen. Machen Sie es sich nicht etwas zu leicht damit?
Im Gegenteil. Ich finde diesen Wert sehr besorgniserregend. Wir stehen als Gesellschaft, nicht nur in Berlin, vor enormen Herausforderungen, insbesondere mit Blick auf den notwendigen Klimaschutz. Das ist eine Krise, die unaufhaltsam ist und die mit voller Wucht auf uns zukommt. Und es ist nun mal so, dass genau solche Aufgaben, wenn es um gesellschaftliche Transformationsprozesse geht, im besten Falle von der Regierenden Bürgermeisterin auch zur Chefinnensache gemacht und aktiv gestaltet werden. Das hat über drei Dekaden gefehlt.

Nichtsdestotrotz erkennen wir an, dass wir in den sechseinhalb Jahren, nicht ausreichend vermitteln konnten, welche notwendigen langfristigen Prozesse wir angestoßen haben. Aber wer heute in Berlin unterwegs ist, merkt an allen Ecken und Enden, wie wir die Stadt etwa in der Mobilitäts- und Gesellschaftspolitik umgebaut haben. Jetzt werden wir für das Beste für Berlin aus der Opposition und aus den Bezirken heraus kämpfen.

Zum Schluss noch eine Frage zu Ihren persönlichen Ambitionen. Ende 2023 finden Vorstandswahlen bei den Grünen statt. Treten Sie wieder an?
So eine Entscheidung kommuniziere ich zuerst gegenüber der Partei.

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