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Berliner Bezirke werfen dem Land vor, ihnen zu harten Einspar-Maßnahmen abzuverlangen.

© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Offener Brief an Senat und Abgeordnetenhaus: Berliner Bezirke warnen vor massiven Haushaltseinsparungen

Acht Bezirksbürgermeister werfen dem Land eine Sparpolitik zulasten der Bezirke vor. Die Folge wären eine weitere Verschlechterung ihrer Dienstleistungen.

Kurz vor der Beratung des Haushaltsplans im Senat am Dienstag werfen acht Berliner Bezirksbürgermeister:innen dem Land eine Sparpolitik zulasten der Bezirke vor. „Die Lücke zwischen den jeden Tag zu bewältigenden Aufgaben und den zur Verfügung stehenden Ressourcen wird immer größer“, heißt es in einem öffentlichen Brief an Senat und Abgeordnetenhaus.

Nachdem den Bezirken zunächst Personalmittel in Höhe von mehr als 26 Millionen Euro im Rahmen des Zukunftspakts Verwaltung entzogen worden seien, habe der Senat mit der Erarbeitung des neuen Doppelhaushalts 2022/23 neue Vorgaben gemacht, um weitere 78 Millionen Euro einzusparen.

„Unter diesen Umständen verfassungskonforme Bezirkshaushalte aufzustellen, wird immer unrealistischer“, konstatieren die acht Bezirksbürgermeister:innen. Sollte die langjährige strukturelle Unterfinanzierung der Bezirke erneut verschärft werden, würde dies in Zeiten der Sparpolitik zurückführen.

Die Bezirke ständen dann „erneut vor Entscheidungen, Investitionen in die Zukunftsfähigkeit zu streichen, Gebäude und Grundstücke zu veräußern und das Personal in den Bezirksverwaltungen dauerhaft zu überlasten“. Um dies zu verhindern, fordern die Bezirke die umgehende Rücknahme der Einsparvorgabe und die Rückzahlung der bereits einbehaltenen Personalkosten.

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In ihrem Schreiben verweisen die Unterzeichner auf die wachsende Zahl der Aufgaben und nötigen Investitionen der Berliner Kommunen. Die Sparpolitik aus der Ära von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit und Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) wirke bis heute nach: Es gebe ein großes Defizit an Schulplätzen, vernachlässigte Grünanlagen und bleibe bei einer noch immer „verschlafenen Digitalisierung“.

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Die Aufgaben der Klimaanpassung und Verkehrswende sowie die weiteren Folgen der Pandemie, etwa in der psychosozialen Versorgung drohten sich angesichts der Finanzsituation in den Bezirken in die Liste der ungenügend erledigten Punkte einzureihen. Hinzu kämen weitere „politische Wünsche und Projekte der Landesebene“, die ohne eine ausreichende finanzielle Unterstützung durch das Land von den Bezirken zusätzlich erbracht werden sollten.

Mehr als 100 Millionen Euro fehlen für Aufgaben, klagen die Bezirke

Es fehlten mehr als 100 Millionen Euro. Dies führe „zwangsweise zu einer weiteren Einschränkung der bürgernahen Dienstleistungen, zu einer Verschlechterung der gesetzlich notwendig zu erbringenden Leistungen und zu einer massiven Kürzung soziokultureller Daseinsvorsorge“, malen die Unterzeichner ein düsteres Bild der Situation. Betroffen davon etwa sei die Servicequalität in den Bürgerämter, die Arbeit des Ordnungsdiensts und die Situation in Parks und Grünflächen.

[Lese-Tipp: Berlins Finanzsenator Daniel Wesener: „Das Ziel ist und bleibt ein ausgeglichener Landeshaushalt“]

Doch auch politische Ziele, wie sie die rot-grün-roten Koalition in ihrem 100-Tage-Programm beschlossen hat, würden ohne ausreichende Ressourcen für die Bezirke verfehlt, mahnen die Bezirksbürgermeister:innen: „Qualitativ hohe Zielvereinbarungen zu Papier zu bringen und gleichzeitig den umsetzenden Bezirksverwaltungen die Finanzierung zu entziehen, ist ein unauflösbarer Widerspruch.“

Nur eine grüne Bezirksbürgermeisterin unter den Unterzeichnern

Dass die Bezirke insgesamt über Guthaben und Rücklagen verfügen, verkenne die schlechtere Situation einzelner Bezirke. Zudem seien die Mittel unter anderem für dringende Investitionen „längst fest eingeplant“.

Unterzeichnet haben den Brief Carola Brückner aus Spandau, Uwe Brockhausen aus Reinickendorf, Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel, Oliver Igel aus Treptow-Köpenick und Gordon Lemm aus Marzahn-Hellersdorf (alle SPD), sowie Pankows Bürgermeister Sören Benn und Michael Grunst aus Lichtenberg (beide Linke). Als einzige Bezirksbürgermeisterin der Grünen steht auch der Name von Charlottenburg-Wilmersdorfs Bürgermeisterin Kirstin Bauch auf der Liste der Unterzeichner.

"Die finanzielle Situation ist in allen Bezirken dramatisch"

Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeisterin Clara Herrmann, die den Brief nicht unterzeichnete, kritisierte die öffentliche Auseinandersetzung. In der Sache sieht sie die Sache jedoch ähnlich wie ihre Kolleg:innen: "Die finanzielle Situation ist in allen Bezirken dramatisch, auch in Friedrichshain-Kreuzberg. Allerdings führe ich Verhandlungen gerade intern und nicht öffentlich."

Herrmann forderte insbesondere mit Blick auf die vom Land im Zusammenhang mit dem Zukunftspakt Verwaltung eingezogenen Personalmitteln eine zügige Zuweisung an die Bezirke, da diese immer noch im Haushalt vorhanden seien, das Land die Verteilung nun jedoch an Bedingungen knüpfen will. "Ich erwarte, dass den Bezirken diese Mittel schnell und bedingungslos wieder zur Verfügung gestellt werden." Die Gespräche mit dem Senat dazu liefen, erklärte Herrmann. "Auch wenn es zäh ist, nehme ich in den Verhandlungen wahr, dass man Verständnis für unsere Lage hat und es sich in die richtige Richtung entwickelt."

Die Senatsfinanzverwaltung wollte die massive Kritik aus den Bezirken auf Anfrage nicht kommentieren. Am Dienstag berät der Berliner Senat auf Vorlage von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) über den Haushaltsplan für den Doppelhaushalt 2022/23. Dieser muss danach vom Abgeordnetenhaus beraten und verabschiedet werden.

CDU sieht "Ohrfeige" für die Koalition

Der Brief sei „eine Ohrfeige für diese Koalition“ sagte der bezirkspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Stephan Schmidt. „Unsere Bezirke dürfen nicht länger ausgequetscht werden wie Zitronen. Stattdessen müssen ihre Aufgaben neu bewertet und die Zuweisungen entsprechend angepasst werden.“

Auch FDP-Haushaltspolitikerin Sibylle Meister sieht Handlungsbedarf: „Der rot-grün-rote Senat muss darauf achten, dass den Bezirken eine verfassungskonforme Aufstellung ihrer Bezirkshaushaltspläne möglich ist.“ Klar sei, dass bei einer angespannten Haushaltslage auch die Bezirke auf jeden Euro Steuermittel schauen müssten.

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