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Freiluftausstellung "Monuments of Impermanence", (c) Michaela Nolte
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© Michaela Nolte

Behutsame Interventionen: Kunstwanderweg „Monuments of Impermanence“

Eine Open-Air-Ausstellung 150 Kilometer südwestlich von Budapest zeigt zehn Positionen aus Kunst und Wissenschaft.

Menschen auf einem Feld, einem Strand vielleicht. Abstrahierte Figuren zwischen Volksfest und Schwarm, Demonstration oder einem Strom von Migration. Die poetische und rätselhafte Malerei zieht sich um einen Schrank, in dem keramische Alltagsgegenstände und Werkzeuge zu finden sind. „Altar of Everyday Life“ nennt die deutsch-ungarische Künstlerin Lilla von Puttkamer ihre Installation, die inmitten einer Lichtung steht. Sie ist eines der Kunstwerke einer Open Air-Ausstellung, die zehn internationale Positionen im Wald auf dem St. Georgs-Berg, circa 150 Kilometer südwestlich von Budapest präsentiert. Allen gemeinsam ist der interdisziplinäre Ansatz zwischen Kunst und Wissenschaft.

Mit behutsamen Interventionen führt „Monuments of Impermanence“ auf einen rund 50-minütigen Kunstwanderweg, dessen Wegzeichen stilisierte Schnecken sind. Es geht um ökologische Prozesse, um Entschleunigung und Wahrnehmung. Simona Koch hat einen Gedankenraum aus Sisalseilen gebaut. „Log of Interbeing“, so der Titel – was in etwa als Untersuchung zwischen dem Dasein diverser Lebewesen und deren hochkomplexen Verbindungen zur Umwelt zu verstehen ist.

Auf Audio-Aufnahmen sind Besucher:innen zu hören, die ihre Assoziationen an diesem Ort eingesprochen haben. Den Sound hat die in Wien lebende Künstlerin aus Rücksicht auf Flora und Fauna ins Internet verlegt. Über einen QR-Code kann man den Stimmen und Stimmungen per Smartphone lauschen. Der Raum selbst wird mit der Natur verschmelzen und nach einer Weile nur noch virtuell existieren. Vergänglichkeit impliziert in der Ausstellung, die Teil der europäischen Kulturhauptstadt Veszprém-Balaton ist, Veränderungen, Auflösung oder Zerstörung der Kunst.

Auch Rita Süveges’ Hand mit Lebenslinien und Blatt samt Blattadern aus Spiegeln sind im Ursprungszustand nur noch online erhalten. Mit den eingravierten Worten „Power“ und „Force“ zielt die ungarische Künstlerin, in deren Fokus öko-feministische Kritik am Anthropozentrismus steht, auf die Frage, ob der Mensch die Natur dominieren kann. Im Falle der Spiegel, die an einer Fassade installiert waren, hat die Natur die Antwort gegeben: Ein Sturm hat sie herabgerissen und zerstört. „The Invisible Green“ ist nun eine Bodenskulptur mit Restaurierungsspuren.

Ein gläserner Weinkolben, ein Findling und fünf Holzbatterien genügen Laura Beloff zur Energiegewinnung. Den Stoff, der LED-Lampen zum Leuchten bringt, können die Betrachter:innen in der Installation „Pissing Point“ höchstpersönlich mit ihrem Urin spenden. Wer sich traut, direkt über einen Trichter. In den Batterien wandeln Mikroorganismen die Körperflüssigkeit in Strom um. Neben Fragen um nachhaltige Energiegewinnung berührt die Finnin ebenso Aspekte unserer Körperwahrnehmung. Gefühle von Ekel und Scham und Gerüche, die das Urin entwickelt.

„Die sind sehr gering“, schmunzelt Karina Vissonova „und gerade im Sommer ist der Kolben gut gefüllt. Die Menschen nutzen das Angebot.“ Wie überhaupt der Zuspruch zu der spannenden Ausstellung trotz der abgeschiedenen Lage groß ist. Der St. Georgs-Berg ist ein beliebtes Wanderziel und Menschen, die nicht explizit der Kunst halber kommen, können die Werke ebenfalls sehen. Denn für die lettische Kuratorin ist Kunst immer auch demokratisch. Rund 3000 Interessierte waren es in den ersten sechs Monaten, gemessen an der Häufigkeit der eingescannten QR-Codes, die samt einer Kurzerläuterung neben jedem Kunstwerk stehen und zur Website mit Fotomaterial, Videos und Hintergrundinformationen führen.

Anna Fabricius: „Techniques of a scarecrow”, Teil der Ausstellung „Monuments of Impermanence”.

© Michaela Nolte

Digital wird auch Charlotte Jarvis’ „In Posse“ nachvollziehbar. Denn von ihrem Performance-Dinner sind lediglich Relikte übrig: ein Tisch und Stühle, Masken, Transparente und medizinisches Zubehör. Artefakte des Rituals, das die britische Künstlerin mit Anwohner:innen durchgeführt hat, um gentechnisch „weiblichen Samen“ herzustellen. Der wurde zum Dinner gereicht. Sein Verzehr allerdings war freiwillig.

Da, wo wenige Kilometer entfernt im Tal die Kühe weiden, stellt Dániel Szalai einen knallroten Euter ins satte Grün. Das die Skulptur umfriedende Gestell ist exakt der Größe einer Box nachgebildet, in die der Mensch Rinder einpfercht. Obwohl der Platz mit dem Rahmen nur angedeutet ist, ruft „The Unit“ beklemmende Vorstellungen von Bewegungsunfreiheit hervor.

Schmerz, Verletzlichkeit und Resilienz stehen ebenfalls im Zentrum von Anna Zilahis „Urtica“, in der die Performerin ein aus Brennnesseln gefertigtes Gewand auf der nackten Haut trägt – dem flüchtigen Medium entsprechend nur noch als Video dokumentiert. Ein Kontrast sind Anna Fabricius’ humorvolle Symbole für den biologischen Weinanbau der Region. Eine Prozession moderner Vogelscheuchen auf Fahnen, Winzer:innen in fantasievollen Kostümen, die die Budapester Fotografin ihnen auf den Leib geschneidert hat.

Während Gideon Horváth binäres Denken in Bezug auf Natur und auf soziale Beziehungen hinterfragt, untersucht Renáta Dezső mit 3D-gedruckten Modulen um einen Baumstamm die Durchdringung von Natur und digitalen Techniken.

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