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H1N1-Viren gehören zu einem der heute weltweit verbreiteten Stämmen von Grippe-erregenden Influanzaviren.

© NIAID

Zirkulierender Erreger: Saisonales Grippevirus stammt möglicherweise von Spanischer Grippe ab

Ein Virus führte zur größten Pandemie des 20. Jahrhunderts, der Spanischen Grippe. Sein möglicher Nachfolger ist deutlich ungefährlicher für Menschen.

Das saisonale H1N1-Grippevirus könnte ein direkter Nachfahre jenes Influenzastamms sein, der 1918 die Spanische Grippe auslöste. Das berichten Forscher des Robert Koch-Instituts (RKI) im Fachblatt „Nature Communications“. Sie haben Gewebeproben von Erkrankten aus dieser Zeit genetisch analysiert. Wie aus dem tödlichen Erreger ein milderes Grippevirus wurde, können sie aber noch nicht sagen.

Die Spanische Grippe von 1918 und 1919 gilt als schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts. Weltweit sollen 50 bis 100 Millionen Menschen daran gestorben. Wie sich das Influenza-A-Virus (IAV) während der Pandemie entwickelte und was es so tödlich machte, ist allerdings noch unklar.

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Ursprung wahrscheinlich nicht in Spanien

Das liegt auch daran, dass Gewebeproben aus dieser Zeit äußerst rar sind. Im Jahr 2005 sequenzierten US-Forscher das erste vollständige Genom des Virenstamms aus einer Frau in Alaska, deren Körper im Eis konserviert war. Die damalige Analyse legte nahe, dass das Virus von Vögeln auf Menschen übersprang. 2013 folgte eine zweite vollständige Genomsequenzierung.

Ein Team um den Epidemiologen Sébastien Calvignac-Spencer vom RKI untersuchte nun 13 europäische Lungengewebeproben, die aus den Jahren 1900 bis 1931 stammen und die im Berliner Medizinhistorischen Museum sowie in der Wiener pathologisch-anatomischen Sammlung in Formalin konserviert waren. Sechs dieser Proben wurden 1918 und 1919 genommen. Aus diesen konnten die Forscher zwei Teilgenome und ein vollständiges Genom der Influenza-A-Viren sequenzieren. Dabei zeigte ein Vergleich mit den US-Proben genetische Unterschiede zwischen den Erregern aus verschiedenen Wellen.

Die genetische Vielfalt der Influenza-A-Viren von 1918 steht der Studie zufolge im Einklang mit einer Kombination aus lokaler Übertragung und transkontinentaler Ausbreitung. Heute wird davon ausgegangen, dass die Krankheit ihren Ursprung im Mittleren Westen der USA hatte und dann im Ersten Weltkrieg mit Soldaten nach Europa kam.

Virulenz und Immunität spielen zusammen

In einem Pressegespräch zur Studie erklärt Mitautor und Virologe Thorsten Wolff, dass sich die beobachteten genetischen Variationen vermutlich auf Anpassungen des Virus zurückführen lassen. Während das Erbgut der Proben aus der Anfangszeit der Pandemie eher den ursprünglichen Vogelviren ähnelte, zeigten die späteren Proben Mutationen, die es dem Influenzavirus leichter machten, der menschlichen Immunabwehr zu entkommen. Dies würde auch erklären, warum die erste Welle im Vergleich zu den zwei späteren milder ausfiel.

Die RKI-Forscher nutzten zudem ein als molekulare Uhr bezeichnetes genetisches Verfahren, mit dem sich evolutionäre Zeitskalen abschätzen lassen. Ihre darauf basierenden Modellierungen legten nahe, dass alle genomischen Segmente der heute zirkulierenden saisonalen H1N1-Grippe direkt vom Pandemiestamm von 1918 abstammen könnten. Die Entwicklung dahin lasse sich indes noch nicht erklären.

So berichtet Wolff, dass es zwar auch nach der Spanischen Grippe Winter mit einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Influenza und Pneumonien gegeben habe, diese aber weniger geworden seien: „Es ist ein Prozess, bei dem es schwer ist, zu bestimmen, ob das an einer Zunahme der Immunität der Bevölkerung oder an einer abnehmenden Virulenz des Erregers liegt.“

Ebenso wenig lasse sich vorhersagen, wann und ob heute zirkulierende Erreger noch einmal so tödlich werden könnten, sagt Wolff. So habe es etwa 2009 und 2010 mit der Schweinegrippe eine weitere H1N1-Pandemie gegeben. Die heutige Zirkulation von H1N1-Viren und die vorhandenen Impfungen dagegen bedeuteten aber auch, dass das Immunsystem heutiger Menschen nicht so naiv gegenüber dem Erreger von 1918 sei wie noch vor 100 Jahren.

Alice Lanzke - dpa

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