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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

© MACDOUGALL / AFP

„Wissen nicht, wie wir die Lücke schließen“: Fünf wichtige Fragen nach dem Astrazeneca-Impfstopp

Deutschland setzt die Impfungen mit Astrazeneca aus. Wieso dieser Schritt? Und was heißt das für die deutsche Impfkampagne? Ein Überblick.

Wirksamkeit, Lieferverzögerungen und Nebenwirkungen – das Vakzin von Astrazeneca macht seit Monaten Schlagzeilen. Nachdem am vergangenen Donnerstag Dänemark die Impfungen mit Astrazeneca ausgesetzt hatte, folgten zahlreiche weitere europäische Länder.

Am Montagnachmittag gab dann auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekannt, dass in Deutschland ab sofort Astrazeneca nicht mehr verimpft wird. Wie es dazu kam und was daraus jetzt folgt – ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Warum gibt es in Deutschland den Impfstopp?

Das Bundesgesundheitsministerium ist mit dem Impfstopp einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nachgekommen. Hintergrund sind sieben in Deutschland gemeldete Fälle von Thrombosen der Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Impfungen stehen sollen. Insgesamt gab es in Deutschland mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazeneca.

Der Tragweite dieser Entscheidung sei er sich sehr bewusst, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei einer Pressekonferenz am Nachmittag. Leicht gefallen sei sie ihm nicht. Es gehe aber klar um eine fachliche und keine politische Entscheidung. Daher folge er der Empfehlung des PEI. Und am wichtigsten für das Vertrauen in Impfungen sei Transparenz.

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„Es geht um ein sehr geringeres Risiko – aber, falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko“, sagte Spahn.

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Länder wie Frankreich, Spanien und Italien setzten die Impfungen am Montag ebenfalls aus. Tschechien, Polen und Großbritannien halten hingegen an Astrazeneca fest. „Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA).

Was sind Hirnthrombosen? Welche Symptome gibt es?

Bei Hirnvenen-Thrombosen kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Zentrales Symptom sind Kopfschmerzen. Daneben können Erkrankte etwa epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen bekommen. Die Erkrankung tritt selten auf. Die große Mehrheit der Betroffenen sind Frauen unter 50 Jahren.

Ein Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Er tritt auf, wenn zu wenig Blutplättchen gebildet, zu viele abgebaut oder sie falsch verteilt werden.

Mögliche Ursachen dafür können etwa Infekte, Vitaminmangel, genetische Veranlagungen oder die Einnahme von Medikamenten sein. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in die Haut oder Schleimhäute auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten. Es gibt sehr seltene Situationen, in denen beide Ereignisse auftreten.

[Lesen Sie auch diesen Kommentar: Die Impfpause richtet Schaden an – und gefährdet Menschenleben]

Laut Paul-Ehrlich-Institut solle man sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn man sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.

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Der Hersteller betont, die Analyse von mehr als zehn Millionen Fällen habe „keinerlei Beweis für ein erhöhtes Risiko für eine Lungenembolie oder Thrombose“ ergeben. Mitentwickler Andrew Pollard, Leiter der Oxford Vaccine Group, erklärte am Montag, es gebe „sehr beruhigende Beweise“, dass das Vakzin in Großbritannien – bislang sein Haupteinsatzgebiet in Europa – nicht zu einer Zunahme von Blutgerinnseln geführt habe.

Wie lange wird der Impfstopp andauern?

Für wie viele Tage der Impfstopp gilt, ist noch ungewiss. Als Nächstes ist die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) am Zug. Sie kündigte eine Sondersitzung für Donnerstag an. Dort wird an einer erneuerten Bewertung des Impfstoffs des britisch-schwedischen Pharmakonzerns gearbeitet. Spahn sagte, falls der Impfstoff zugelassen bleibt, wolle man für die Impfungen auch wieder werben.

Schon an die Länder ausgelieferte Dosen sollen zunächst dort bleiben, anstehende weitere Lieferungen will der Bund vorerst in seinem Zentrallager lassen und nicht weiterverteilen.

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Die EMA hält vorerst daran fest, dass die Impfungen fortgesetzt werden könnten. Die Vorteile durch den Schutz vieler Menschen vor einer schweren Covid-19-Erkrankung seien höher einzuschätzen als die Risiken möglicher Nebenwirkungen.

Bereits vergangene Woche hatte die EU-Behörde erklärt, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe. Der Anteil der Thrombose-Kranken nach einer Impfung mit dem Präparat entspricht demnach dem spontanen Auftreten dieser Erkrankung in der Normalbevölkerung.

Die WHO kündigte für Dienstag ein Treffen ihrer Experten für Impfsicherheit an. WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan bekräftigte, es gebe bislang keine dokumentierten Todesfälle, die mit Corona-Impfstoffen zusammenhängen. „Wir wollen nicht, dass Menschen in Panik geraten“, betonte sie.

Was bedeutet der Stopp für die Impfkampagne in Deutschland?

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte noch vor einigen Wochen verkündet, allen Bürgern bis zum Ende des Sommers am 21. September eine Impfung anbieten zu können. Das stand allerdings ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass Lieferungen und Zulassungen wie geplant kommen. An diesem Mittwoch will Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder eigentlich über einen Impf-Turbo beraten - die Einbeziehung des Netzes der Arztpraxen wohl ab Mitte April. Das ist nun aber offen.

Bis Sonntag waren laut Robert Koch-Institut 1,65 Millionen Dosen Astrazeneca-Impfstoff in Deutschland verabreicht worden. Insgesamt wurden 9,4 Millionen Dosen gespritzt - außer von Astrazeneca kommen die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz.

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Nach Einschätzung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet wird die Impfpause die Impfpläne durcheinander bringen. „Das wird viele Strategien wieder verändern“, sagte der CDU-Bundesvorsitzende am Montag in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Laschet?“.

„Wir haben darauf gesetzt, dass wir jetzt sehr schnell, sehr breit impfen, den Stoff sogar zu den Hausärzten geben. Und jetzt ist er gar nicht mehr da, jedenfalls nicht die nächsten Tage.“ Hier müsse Politik wieder reagieren. In Nordrhein-Westfalen seien die Impfungen sofort gestoppt und die Bürger informiert worden.

Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) rechnet laut „Handelsblatt“ damit, dass es den Impfzeitplan der Bundesregierung um mehrere Wochen zurückwerfen könnte, wenn ab sofort ohne das Vakzin von Astrazeneca geimpft würde. „Dies würde das Impfergebnis um einen Monat rechnerisch nach hinten verschieben“, wird ZI-Chef Dominik von Stillfried zitiert.

[Lesen Sie auch diesen Kommentar: Astrazeneca sieht „Verzerrung der Wahrnehmung“ in Deutschland]

Mit Sorge betrachtet Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci die weitere Verzögerung beim Impfen. „Das ist natürlich ein großes Problem, dass eine Lücke entsteht“, sagte sie in der RBB-Abendschau. „Wir haben vom Bund Impfdosen versprochen bekommen, auch für April. Nun wissen wir nicht, wie diese Lücke jetzt geschlossen werden soll.“

Welche Reaktionen gibt es auf den Stopp?

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte den Impfstopp: „Das schafft nur große Verunsicherung und Misstrauen in einer Situation, in der es auf jede Impfung ankommt“, sagte Lauterbach der „Rheinischen Post“.

Der designierte Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, für die Kliniken sei die Lage jetzt schwierig. „Wir haben es geschafft, dass 70 bis 80 Prozent der Mitarbeiter impfbereit sind. Eine solche Entscheidung zu AstraZeneca kann das zunichtemachen.“

Ärztepräsident Klaus Reinhardt nannte die Aussetzung dagegen „richtig und wichtig“. Schnelle Klärung und völlige Transparenz seien wichtig. „Ansonsten geht Vertrauen verloren.“

Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery befürchtet einen Image-Schaden für das Vakzin. „Dass Menschen Thrombosen und Lungenembolien bekommen, muss nicht unbedingt etwas mit der Impfung zu tun haben“, sagte der Mediziner dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.

Die internationalen Studien, die ihm bekannt seien, sagten, dass die Thrombose-Häufigkeit in der Placebo-Gruppe und in der Gruppe mit dem Impfstoff etwa gleich gewesen sei. Eine grundsätzliche Überprüfung der Vorfälle begrüßte Montgomery allerdings. „Unter dem Strich ist es leider so, dass dieser eigentlich gute und wirksame Impfstoff durch den Wirbel und die Impf-Aussetzung in vielen Ländern nicht gerade eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnt“, betonte der Weltärztepräsident. (mit dpa/AFP/Reuters)

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