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Bäume im Verbreitungsgebiet von Giraffen in Afrika tragen noch Blätter, wenn das Gras am Boden schon verdorrt ist.

© Patrick Eickemeier

Evolution der Paarhufer: Wie die Giraffe zum langen Hals kam

Mit ihrem eigentümlichen Körperbau können Giraffen Futter erreichen, an das andere große Säugetiere nicht herankommen. Aber auch besser kämpfen.

Der extrem lange Hals der Giraffen ist womöglich eine Anpassung an ihr Kampfverhalten mit Artgenossen. Das schließt ein internationales Forschungsteam aus der Untersuchung fossiler Überreste einer Ur-Giraffe. Diese Tiere schlugen bei Kämpfen ihre Köpfe gegeneinander und entwickelten in der Folge eine schützende Haube und äußerst robuste Halswirbel, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“ berichten.

Auf ähnliche Weise könnten auch die langen Hälse heutiger Giraffen entstanden sein. Diese schlagen zwar nicht ihre Köpfe gegeneinander wie ihre Vorfahren, die Bullen ringen aber mit ihren muskulösen Hälsen um Paarungsvorrechte.

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Tiere zeigten vielfältiges Kampfverhalten

„Die gängige Vorstellung, dass sich die langen Hälse im Verlauf der Evolution nur entwickelten, weil die Tiere damit Blätter im oberen Bereich der Bäume erreichten, greift womöglich zu kurz“, erläutert Ko-Autorin Manuela Aiglstorfer vom Naturhistorischen Museum Mainz und der Landessammlung für Naturkunde Rheinland-Pfalz. „Womöglich ist das nur ein Nebeneffekt und die Kampfstrategie der vorrangige Grund für die Entwicklung des langen Halses.“

Aiglstorfer war als Wiederkäuer-Spezialistin Teil des Teams um Shi-Qi Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. Die Forscher haben fossile Überreste eines Tieres untersucht, das vor rund 17 Millionen Jahren im Norden des heutigen Chinas lebte: Discokeryx xiezhi, benannt nach dem asiatischen Einhorn-Fabeltier „Xiezhi“. Die Analyse der Knochen habe ergaben, dass es sich um einen Vertreter aus der Gruppe der Giraffenartigen handelt, erläutert Aiglstorfer. „Diese Gruppe war damals viel vielfältiger als sie es heute ist.“ Die Tiere hatten zum Beispiel unterschiedliche Schädelanhänge und zeigten auch ein vielfältiges Kampfverhalten.

Illustration: Giraffenartige Tiere haben im Lauf der Evolution auch neue Formen der ritualisierten Kämpfe unter Bullen entwickelt. Im Vordergrund die ausgestorbene asiatische Art Discokeryx xiezhi, im Hintergrund zwei in Afrika bis heute heimische Netzgiraffen (Giraffa camelopardalis)

© Wang Yu, Guo Xiaocong

Die Untersuchungen belegten, dass Discokeryx extrem dicke und robuste Halswirbel besaß. Damit konnten die Tiere starke Erschütterungen abfangen, belegen Modellierungen. Auf dem Kopf trugen sie eine dicke, scheibenförmige Struktur, die wiederum vermutlich mit einer Art Horn versehen war. Außergewöhnlich lang war ihr Hals nicht.

Die Forscher vermuten, dass die Tiere ihre Köpfe ähnlich gegeneinander rammten wie etwa heutige Steinböcke oder Moschusochsen. Zu solchen Kämpfen könnte es auch damals beim Werben um Weibchen gekommen sein. Tatsächlich war die Wirbel-Struktur der Ur-Giraffe besser an die große Krafteinwirkung angepasst als es bei heutigen auf diese Weise kämpfenden Tieren der Fall ist, schreiben die Forscher.

Die heutigen Giraffen leben auf dem afrikanischen Kontinent. Trotz des extremen, rund zwei Meter langen Halses, besteht auch ihre Halswirbelsäule aus nur sieben Wirbeln, wie bei den meisten Säugetieren. „Die Halswirbel moderner Giraffen sind ganz anders aufgebaut als bei Discokeryx, sie sind auf Länge ausgerichtet“, sagt Aiglstorfer. Warum die Tiere im Verlauf der Evolution einen derart langen Hals entwickelt haben, beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrhunderten.

Fitnessvorteile in der Evolution

Einige Forschende gehen davon aus, dass sexuelle Selektion die Entstehung vorangetrieben hat: Männchen mit einem starken, langen Hals gewannen demnach häufiger die Kämpfe um die Weibchen und gaben ihre Gene häufiger an die nächste Generation weiter.

Bekannter ist die Theorie, dass Vorteile beim Nahrungserwerb ausschlaggebender waren: Der Evolutionsbiologe Jean-Baptiste Lamarck vermutete, dass der Hals sich im Laufe des Lebens einer Giraffe streckte, weil sie sich immer nach in großer Höhe wachsenden Blättern reckte. Die neu erworbene Eigenschaft vererbte sich Lamarck zufolge auf den Nachwuchs. Diese Theorie ist inzwischen widerlegt, weil erworbene Anpassungen nicht in dieser Weise auf die Gene wirken, die die Grundlage für die Vererbung von körperlichen Merkmalen sind.

Die heute gängigste Hypothese geht auf Charles Darwins Evolutionstheorie zurück. Demnach werden immer wieder zufällig Individuen mit einem besonders langen Hals geboren. Da diese mehr Nahrung erreichen als ihre Artgenossen mit einem kürzeren Hals, haben sie bessere Überlebenschancen und mehr Nachkommen, denen sie die genetische Grundlage für den langen Hals weitergeben. So prägt sich ein Merkmal aus und die Erbanlagen setzen sich im Genpool durch.

„Die heutigen Giraffen und Discokeryx xiezhi gehören zur Gruppe der Giraffenartigen“, sagt Shi-Qi Wang. „Obwohl sich ihre Schädel- und Halsmorphologie stark unterscheiden, werden beide mit männlichen Balzkämpfen in Verbindung gebracht, und beide haben sich in eine extreme Richtung entwickelt.“

Die Ergebnisse widerlegten nicht, dass es einen Zusammenhang zur Ernährung gibt, sagt Aiglstorfer. „Aber wir zeigen, dass es bei Wiederkäuern eben auch andere bedeutende Einflüsse geben kann, die die Struktur der Halswirbelsäule beeinflussen.“

Anja Garms - dpa

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