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Finanzieren kommt vor dem Studieren. Das Archivbild zeigt Studierende am 26.10.2011 in einem großen Hörsaal der Technischen Universität (TUM) in München (Bayern).

© dpa / Peter Kneffel

WIARDA will’s wissen: Ein mutiger Mittelweg für die Bildung

Das Land des Humboldtschen Bildungsideals leidet an allem anderen als idealer Bildungsfinanzierung. Unser Kolumnist hat da einen Vorschlag.

Es gibt zwei gesellschaftliche Strategien, um Kitas, Schulen und Hochschulen so zu finanzieren, dass dabei insgesamt ein starkes Bildungssystem herauskommt.

Strategie 1: Der Staat investiert selbst genug und sorgt so dafür, dass seine Bildungsangebote hochwertig und gebührenfrei für alle sind. Das ist der skandinavische Weg. Mit dem Ergebnis, dass Norwegen im Jahr 2017 6,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in seine Bildungsinstitutionen steckte, Schweden 5,5 Prozent und Dänemark 5,2 Prozent.

Strategie 2: Der Staat investiert selbst eher wenig, schafft aber ein Bildungssystem, in dem private Geldgeber die Lücke füllen. Das führt zu einem Nebeneinander herausragender und mittelmäßiger bis deutlich unterfinanzierter Bildungsinstitutionen – und zu Bildungsgebühren, die mal besser, mal schlechter sozial abgefedert werden. Es ist der britisch-amerikanische Weg: In Großbritannien etwa gab der Staat laut OECD 4,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, Private weitere 2,1 Prozent. Macht insgesamt 6,3 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Und dann gibt es den Weg, den Deutschland geht: Der Staat gibt extrem wenig für Bildung aus – 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und die Privaten geben nur wenig dazu: 0,6 Prozent. Das Ergebnis: Ein Bildungssystem, das international kaum konkurrenzfähig ist gegenüber Ländern mit inklusiveren, da flächendeckend besser finanzierten Kitas, Schulen und Hochschulen. Und gegenüber Ländern, wo es zwar genauso unterfinanzierte Bildungseinrichtungen gibt, aber eben auch Schulen und Hochschulen, die bei Ausstattung und Leistungsfähigkeit international an der Spitze stehen.

Das klingt nach der schlechtesten der möglichen Bildungswelten für ein wohlhabendes Industrieland. Die Bildungsstatistiken scheinen das zu bestätigen: Die Lesekompetenzen deutscher Neuntklässler hängen stärker von ihrer sozialen Herkunft ab als in Norwegen, Dänemark oder Schweden – aber auch stärker als in den Großbritannien und den USA. Das zeigte Pisa 2018. Der Zugang zum Hochschulstudium ist in der Bundesrepublik trotz nicht vorhandener Studiengebühren sozial weiter extrem ungleich: Von 100 Nicht-Akademikerkindern studieren 27, von 100 Kindern, deren Eltern studiert haben 79. Das ist – auch ohne dass mir dazu direkt internationale Vergleichszahlen bekannt wären – beschämend.

Deutschland steckt seit langem zwischen den Systemen. Schon beim Bildungsgipfel 2008 gelobten Bund und Länder eine nachhaltig bessere Bildungsfinanzierung. Doch sie blieben sie schuldig. Andere Politikbereiche waren beim Geldverteilen immer wichtiger. Jetzt, obwohl den öffentlichen Haushalten die Corona-Zeche droht, werden von Ampel-Politikern massiv höhere Bildungsausgaben ins Schaufenster gestellt. Doch selbst wenn es am Ende wirklich sechs oder acht Milliarden mehr pro Jahr werden sollten: Der Rückstand zu Dänemark beträgt rechnerisch mindestens 38 Milliarden Euro (= ein Prozent der Wirtschaftsleistung) pro Jahr. Zu Großbritannien sind es 76 Milliarden. Zu Norwegen... ach, hören wir auf.

Ein möglicher Weg, das Problem zu lösen, würde viel Mut erfordern. So könnte er aussehen: Der Staat investiert wie versprochen mehr Geld in Schulen und Kitas. Und wenn es die Betreuungsschlüssel und die Qualität zulassen, werden die verbliebenen Kitagebühren auch für reichere Familien abgeschafft. Aber erst dann.

Noch mehr Chuzpe wäre bei den Hochschulen vonnöten. Die Politik müsste ihnen wieder erlauben, Studiengebühren zu erheben. Diese aber dürften, anders als früher, erst nach dem Abschluss fällig werden – und ohne dass bis dahin Zinsen anfielen. Zahlen sollten dann nur Absolventen, die ein relativ hohes Einkommen erreicht haben. Nein, das ist nicht das skandinavische Modell. Aber auch nicht das britische. Am wenigsten Verständnis habe ich jedenfalls dafür, wenn die Politik rhetorisch ständig Anleihen nimmt an skandinavische Bildungsideale, tatsächlich selbst aber sogar weniger Geld auszugeben bereit ist als Großbritannien – und dann auch noch jede Debatte über private Bildungsfinanzierung scheut.

Am Ende ein Mutmacher: Bei einer repräsentativen Umfrage des Ifo-Instituts sagten neulich gut 62 Prozent der Erwachsenen, dass sie derart nachgelagerte Studiengebühren unterstützen würden.

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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