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Klimaforschung: Wenn Mode biologisch abbaubar ist

Start-ups krempeln die Kleidungs-und Designbranche um. Mit ihren Kreationen aus biobasiertem Material wollen sie eine „modische“ Kreislaufwirtschaft etablieren.

Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft“ dann gibt es in dieser Zukunft, so wie Vlasta Kubušová und Miroslav Král sie sich vorstellen, keine erdölbasierten Kunststoffe mehr. Diese sind vollständig ersetzt durch Biokunststoffe, die zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Wie zum Beispiel ein Raumteiler, der anmutet wie ein Korallenriff und den Duft von Karamell, Marzipan und Zucker verströmt, weil er auf der Basis von Maisstärke angefertigt wurde. Dieser Raumteiler ist längst nicht nur pure Fiktion, sondern noch bis zum 3. Oktober im Museum für Angewandte Kunst in Wien auf der Vienna Biennale for Change 2021 zu sehen. Der Satz „Stellen wir uns vor, unser Planet hat Zukunft“ war so etwas wie der Arbeitsauftrag für die ausstellenden Künstler, Designer und Architekten.

Eine Kreislaufwirtschaft ohne Mikroplastik

Der Raumteiler, hergestellt im 3D-Druck im Rahmen des Designforschungsprojektes „BREATHE In/BREATHE OUT“, ist das neueste Objekt aus dem Ideenpool des Start-ups „crafting plastics! studio“ und des Architekturbüros „Office MMK – Urban Technologies“. 2016 gründete die Produktdesignerin Vlasta Kubušová, Absolventin der Universität Bratislava und der Universität der Künste Berlin, zusammen mit dem Produktionsdesigner Miroslav Král das Start-up. Und „Office MMK“ ist eine Gründung von Moritz Maria Karl, der am Fachgebiet Städtebau und nachhaltige Stadtentwicklung der TU Berlin forscht.

Die Vision von „crafting plastics! studio“ ist es, mit seinen Biokunststoffen, die nur aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren – ohne Mikroplastik und ohne Abfall, der nicht abbaubar ist.

Experimentiert wird unter anderem mit einer Grundkombination der pflanzlichen Biopolymere PLA und PHB. Die pflanzlichen Rohstoffe dafür sind Mais- und Kartoffelstärke sowie Zucker. Seine Biokunststoffe mit fossilen Zusatzstoffen zu versetzen, um die Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften zu verbessern, ist für „crafting plastics! studio“ keine Option. Damit unterscheiden sich seine Biomaterialien von herkömmlichen Biokunststoffen fundamental. „Wir designen unsere Biomaterialien trotzdem so, dass sie sich mit allen Standardtechnologien der Kunststoffindustrie wie Spritzgießen, 3D-Druck, Extrudieren, CNC-Fräsen, Laserschneiden, Vakuumformen verarbeiten lassen. In den Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und die Nutzerfreundlichkeit stehen sie den fossilen Kunststoffen, die seit über einem Jahrhundert unser Leben komplett durchdrungen haben, in nichts nach“, so Vlasta Kubušová.

Ein systemischer Wandel

„Crafting plastics! studio“ möchte vor allem den Mode- und den Designsektor umkrempeln. Aus seinem biobasierten Material unter der Marke „Nuatan“ entstehen Modeaccessoires wie Brillen, Einrichtungsgegenstände wie Vasen, Scheiben für Regale, Spielzeug und Haushaltsgegenstände. Auch an der Universität Potsdam forscht ein Start-up an Biopolymeren für den Einsatz in der Modebranche.

Einen systemischen Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft zu vollziehen – dies treibt das Start-up „circular.fashion“ von Ina Budde und Mario Malzacher voran. „In Deutschland wird etwa eine Milliarde Kleidungsstücke nicht länger als drei Monate getragen und nur 13 Prozent der Textilien werden recycelt, 87 Prozent werden verbrannt. So emittiert die globale Textilproduktion mit 1,2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr mehr als die internationale Luft- und Schifffahrt zusammen“, sagt Ina Budde, die Modedesign an der HAW Hamburg studierte.

Ziel von „circular.fashion“ ist es, die ressourcenvergeudende Modeindustrie in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen. Das Team hat dafür eine Software entwickelt, die Modelabels befähigt, zirkuläre Kleidung herzustellen. Zirkulär bedeutet: Die Materialien sollen immer wieder aufs Neue zu neuen Ressourcen recycelt werden können. Die Software beinhaltet unter anderem eine „Circular Material Library“, „Circular Design Guidelines“ und einen „Circular Product Check“.

Die „Circular Material Library“ ist eine Materialdatenbank mit Hunderten von Stoffen, Garnen und Zutaten, die alle von „circular.fashion“ auf ihre Recyclingfähigkeit hin geprüft worden sind, und die Auskunft gibt, für welche Recyclingtechnologie der Stoff geeignet ist. „Bei der Recyclingtechnologie prüfen wir, ob es ein Faser-zu-Faser-Recycling ist. Das meint, dass aus der recycelten wieder eine neue hochwertige Faser wird und keine in ihrem Wert geminderte, was bei zwölf Prozent der recycelten Textilien leider geschieht. Da werden die Fasern geschreddert und landen als Füllstoff in Autositzen“, erklärt Ina Budde. Nur ein Prozent der wiederverwerteten Textilien seien bislang Faser-zu-Faser recyclelt und nur diese Materialien bekommen von „circular.fashion“ das Siegel „zirkulär“.

Vom ersten Entwurf bis zur Herstellung

Die „Circular Design Giudelines“ bieten Anleitungen und praktische Beispiele, wie eine Kollektion vom ersten Entwurf bis zur Herstellung zirkulär entwickelt werden kann, und der „Circular Product Check“ prüft, ob das gelungen ist. Kleidungsstücke werden dann mit der „circularity.ID“ versehen. Dieser Produktpass weist das Kleidungsstück als rundherum zirkuläres Produkt aus und enthält für Konsumenten sowie Sortier- und Recylingunternehmen alle wichtigen Produktinformationen aus der Datenbank.

Da erst ein Bruchteil der Kleidung zirkulär produziert wird, forscht das Start-up zusammen mit der TU Berlin und der FU Berlin in dem Projekt „CRTX – Circular Textile Intelligence“ daran, wie die 87 Prozent der bislang nicht recycelten Textilien wiederverwertet werden können. Mit Hilfe der Spektroskopie werden Faserzusammensetzung und chemische Belastung analysiert und mit Methoden der künstlichen Intelligenz zur Bilderkennung Kleidungsstücke klassifiziert, um sie Produktgruppen wie Jacke, Hose, Bluse zuzuordnen oder nach Modestilen oder Abend- und Freizeitkleidung zu sortieren.

Sybille Nitsche

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