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Autonome Fahrzeuge sollten untereinander kommunizieren können, doch das dürfte in der Realität schwer umzusetzen sein.

© mauritius images / Alamy / Carloscastilla

Wenn die Autos selbst fahren: Experten erwarten Rückgang von Unfällen

Autonomes Fahren erscheint inzwischen realistisch und könnte den Straßenverkehr sicherer machen. Eine Welt ohne Crashs bleibt jedoch eine Illusion.

Autonomes Fahren galt lange als Science-Fiction. Legendär sind die künstlerischen Bilder, auf denen Menschen lesend in ihren Fahrzeugen lümmeln und entspannt am Ziel aussteigen. Eine Zukunftswelt so realitätsfern wie Reisen zum Mars. Zumindest beim Fahren auf der Erde geht es inzwischen jedoch spürbar voran. 

„Noch bis vor zehn Jahren war nicht klar, ob das technisch möglich ist“, sagt Christoph Stiller vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Jetzt sei die Antwort eindeutig: ja. Zwar nicht auf sämtlichen Straßen und Gassen, aber doch auf ausgewählten Strecken.

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„Bereits im nächsten Jahr werden mehrere deutsche Hersteller Autos auf den Markt bringen, in denen Fahrer auf der Autobahn beispielsweise E-Mails bearbeiten können und rechtzeitig informiert werden, wenn er oder sie das Steuer wieder übernehmen soll.“

Die Schritte, dieses hochautomatisierte Fahren – in den fünf Stufen des automatisierten Verkehrs Level 3 entsprechend – in weitere Fahrzeugklassen sowie untergeordnete Straßen mit „Mischverkehr“ zu bringen, sind nur konsequent.

Höchste Zeit, dass der Gesetzgeber den nötigen Rahmen fürs autonome Fahren setzt. Ein entsprechender Entwurf existiert bereits. Am Montag, 3. Mai 2021, will der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Bundestages hierzu Experten anhören.

Sensoren können Fußgänger und Radfahrer erkennen

Auf technischer Seite sind die Fahrzeuge schon weit entwickelt, verschiedenste Sensoren wie optische Kameras und Radargeräte können die Umgebung gut beobachten und Fußgänger oder Radfahrer erkennen. „Bei schlechter Sicht durch Nebel oder Schneebedeckung kann es aber immer noch Probleme geben“, sagt Maximilian Geißlinger, Gruppenleiter Intelligent Vehicle Systems an der TU München. Hier sei weitere Entwicklungsarbeit nötig.

Ein weiteres Forschungsthema sind Algorithmen der Künstlichen Intelligenz. Sie arbeitet nicht regelbasiert wie bei herkömmlicher Programmierung nach dem Prinzip: Wenn Ereignis X eintritt, starte Aktion Y. 

„Sie lernt datenbasiert und das sehr schnell und gut“, sagt Geißlinger. Allerdings sei nicht in jedem Fall klar, wie sie Entscheidungen treffe. „Die Frage ist, ob sie in extremen Situationen, auf die sie nicht trainiert wurde, immer noch so reagiert wie ich es erwarte.“

Die Kommunen sind für den ÖPNV sehr an der autonomen Mobilität interessiert, weil es die Verkehrswende beschleunigen könnte.
Die Kommunen sind für den ÖPNV sehr an der autonomen Mobilität interessiert, weil es die Verkehrswende beschleunigen könnte.

© Oliver Berg/picture alliance/dpa

Daher ist es aus seiner Sicht sehr wichtig, dass die Daten, die autonome und automatisierte Fahrzeuge erheben, gesammelt und ausgewertet werden. „Je breiter die Datengrundlage ist, umso besser funktioniert das maschinelle Lernen“, sagt der Forscher. „Zugleich trägt sie zur Validierung bei, denn um die Gesamtsoftware zuzulassen, benötigen wir viele Daten.“

Umstritten ist unter Fachleuten, inwiefern sich die Infrastruktur ändern muss, um das autonomen Fahren zu unterstützen – von standardisierten Fahrbahnbegrenzungen bis zu einer gesicherten Netzabdeckung, damit die Fahrzeuge untereinander sowie mit einer Leitzentrale, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, kommunizieren können. „Solche 100-Prozent-Lösungen sind in der Realität schwierig umzusetzen, man denke nur an Tunnel“, sagt Geißlinger.

„Wir versuchen deshalb unsere Software so zu entwickeln, dass sie möglichst mit der vorhandenen Infrastruktur zurechtkommt“, so der Münchner TU-Forscher. Auch bei der Kommunikation zwischen den Autos sowie mit technischen Leitstellen ist er skeptisch. Denn die erfordert einheitliche Schnittstellen. „Hier müssten sich die Hersteller auf einen Standard einigen und dieser müsste zudem weltweit gelten – beides erscheint wenig realistisch.“

Immenser Aufwand für Technik im Straßennetz

Aufseiten der Kommunen dürfte die „Wir-kümmern-uns-lieber-selbst“-Einstellung der Entwickler gut ankommen. Es bedeute einen immensen Aufwand, das gesamte Straßennetz mit standardisierten Fahrbahnbegrenzungen, Funkkontakten zu Ampeln und Verkehrszeichen und weiteren Features auszustatten, erklärt Timm Fuchs Beigeordneter im Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Das wäre eine Fehlallokation von Geldmitteln, sämtliche Straßen in Städten und dem ländlichen Raum entsprechend auszustatten. Wir müssen daher vor allem auf intelligente Fahrzeuge setzen.“

Die Praxis zeige zudem, dass der ÖPNV mit seinen Projekten zum vollautomatisierten und autonomen Fahren (Level 4 und 5) gar nicht so hohe Anforderungen an die Infrastruktur stelle. Grundsätzlich seien die Kommunen sehr an dieser künftigen Form der Mobilität interessiert, weil es die Verkehrswende beschleunigen könne.

Auch Fuchs verspricht sich viel von den erhobenen Daten und hält es für sinnvoll, dass diese für die kommunale Verkehrsplanung verfügbar gemacht werden. „Wir wollen nicht wissen, wer wohin fährt, sondern wie gut Strecken ausgelastet sind und wie die Verkehrsflüsse optimiert werden können.“

Es genügt allerdings nicht, wenn ein autonomes Fahrzeug mittels neuronaler Netze eine Genauigkeit von 99 Prozent erzielt.
Es genügt allerdings nicht, wenn ein autonomes Fahrzeug mittels neuronaler Netze eine Genauigkeit von 99 Prozent erzielt.

© Arne Dedert/dpa-Bildfunk

Nach Ansicht des KIT-Forschers Christoph Stiller sind neben den Verbesserungen an den Fahrzeugen und ihrer Software zudem digitale Karten hilfreich, die auf autonome Fahrzeuge zugeschnitten sind. Das heißt etwa, dass die Fahrstreifen bis auf wenige Zentimeter Genauigkeit vermessen und verzeichnet sind. 

Und sie sollte Vorfahrtsregelungen enthalten, damit das Auto weiß, ob es sich um eine öffentliche Straße oder die Zufahrt zu einem Supermarktparkplatz handelt. „Es genügt nicht, wenn das Fahrzeug mittels neuronaler Netze eine Genauigkeit von 99 Prozent erzielt“, sagt Stiller. „Das hieße, in einem von hundert Fällen liegt es falsch.“

Damit schließen sich zwei Kernfragen der Entwickler an: Welches Sicherheitslevel wollen wir erreichen und wie kann das nachgewiesen werden? Mit ausreichend Daten aus Tests und der Wirklichkeit dürfte der Nachweis noch relativ einfach sein. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach dem Sicherheitsanspruch. 

Eine Welt ohne Crashs, wie sie von Verfechtern des autonomen Verkehrs mehrfach geschildert wurde? Stiller bringt das ein wenig in Rage: „Jeder, der beim autonomen Fahren von ,Zero Accident’ spricht, weiß nicht, was er sagt oder will es nicht sagen.“ Es werde weiterhin Unfälle geben, Fußgängerinnen, Radfahrer und andere Autos werden angefahren werden, sagt der Wissenschaftler.

Wie schnell darf ein autonomes Fahrzeug sein?

Er skizziert eine typische Situation im Stadtverkehr mit parkenden Autos am Straßenrand. „Ich weiß, dass dort ein Kind verborgen sein könnte, das plötzlich auf die Straße läuft.“ Wollte man das Risiko minimieren, dürfte man 10, höchstens 20 Stundenkilometer fahren. „Das macht keiner, zumindest nicht dauerhaft, man akzeptiert ein gewisses Risiko.“ Wie schnell darf nun ein autonomes Fahrzeug sein, fragt Stiller ein wenig provokant.

Er hält es für realistisch, die Zahl der menschgemachten Verkehrsunfälle durch autonomes Fahren auf ein Zehntel zu reduzieren. Bei rund 3000 Verkehrstoten hierzulande pro Jahr wäre das ein gewaltiger Fortschritt. 

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass automatisches Fahren bereits in einigen Jahren viel sicherer sein wird als unser heutiger Straßenverkehr“, sagt Stiller. „Insofern muss eine Zulassung verantwortungsbewusst vorangetrieben werden, denn sowohl eine verfrühte als auch eine verspätete Einführung kostet unnötig Menschenleben.“

Die Frage, wann autonome Fahrzeuge wirklich praxistauglich sind und Menschen ohne deren Zutun an einen bestimmten Ort in einer anderen Stadt chauffieren, beantwortet Stiller zuversichtlich mit „etwas mehr als zehn Jahre“. Der Münchener Forscher Geißlinger zögert. „Es gab dazu schon so viele grandiose Fehleinschätzungen, da wage ich lieber keine Prognose.“

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