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Eine LArve der in Mitteleuropa verbreiteten Geflecktflügeligen Ameisenjungfer lebt zwei Jahre unterirdisch, bevor sie sich verpuppt.

© George Wilkinson

Wartungsmechanismus für tödliche Fallen: Die schlimmen Kinder der Ameisenjungfern

Sie sind plump gebaut, hinterhältig und werfen auch noch mit Sand. Dabei zielen Ameisenlöwen nicht immer auf Beute.

Dem grazilen Insekt ist sein Larvenstadium nicht mehr anzusehen. Der Körper ist lang gestreckt und dunkel gefärbt, die großen Flügel, zwei auf jeder Seite, sind von einem filigranen Netz durchzogen und hier und da braun gefleckt. Es erinnert auch wegen seiner Kopfform an eine Libelle und wird wegen der bevorzugten Flugzeit auch so genannt: Nachtlibelle.

Ameisenjungfern, so der richtige Name, gehören aber zur Gruppe der Netzflügler. Als Ausgewachsene (Adulte) kümmern sie sich um den Fortbestand ihrer Art. Sie fliegen in Mitteleuropa von Juni bis September, und das meist nur für wenige Wochen. Die Tiere sind dann jedoch schon zwei oder sogar drei Jahre alt.

Ihre Larven, Ameisenlöwen genannt, bauen trichterförmige Fallen im Sand, um Beutetiere zu fangen. Der rundliche Körper ist meist im Boden im Zentrum des Trichters vergraben, nur der kleine Kopf mit überproportional groß erscheinenden Beißwerkzeugen ist bisweilen zu sehen. Benannt sind sie nach ihrem räuberischen Verhalten. Anders als Löwen sind sie jedoch Lauerjäger und Fallensteller. Außerdem tun sie etwas, das unter Menschen auf Spielplätzen gemeinhin als inakzeptabel gilt: Sie werfen mit Sand.

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Steil und möglichst instabil

Wenn Ameisen oder andere Insekten über den Rand des Trichters treten, gibt es oft kein Entkommen: Die Wände sind steil und der lockere Boden bietet keinen Halt, sodass die Tiere zum Boden des Trichters abrutschen, wo die aufgeklappten Beißwerkzeuge des Ameisenlöwen auf sie warten. Die Zangen schnappen zu und die Beute wird ausgesaugt. Unverdauliche Reste werden anschließend über den Rand des Trichters geworfen.

Die Trichter können zwei bis drei Zentimeter tief sein und einen Durchmesser von bis zu acht Zentimetern haben. Beim Bau sorgen die Tiere dafür, dass nur feiner Sand die Innenwände auskleidet, größere Partikel werden entfernt, fanden Forscher der Universität Bristol heraus. Es sind effiziente Fallen, denn Ameisenlöwen müssen teilweise lange auf Beute warten. Sie haben den Sandtrick entwickelt, um die Effektivität ihrer Fangmethode noch zu steigern, wenn einmal Beute in Wurfweite gerät.

Sie werfen den Sand auf die Hänge, um die Beute zu irritieren und kleine Sandrutsche auszulösen, berichten Wissenschaftler um Sebastian Büsse von der Universität Kiel im Fachmagazin „Journal of the Royal Society Interface“. Die Sandwürfe sorgten dafür, dass die Trichterwände stets steil und möglichst instabil bleiben.

Sandwerfen auch zum Eigenschutz

Die Wissenschaftler fingen in einem brandenburgischen Garten nahe Oranienburg Ameisenlöwen der Art Euroleon nostras und setzten sie im Labor in spezielle Terrarien, in denen sie ihre Fallen bauen konnten. Dann setzten sie Heimchen oder Ameisen dazu und filmten, was geschah. Zudem modellierten sie den Einfluss des Sandwerfens auf die Steilheit und die Stabilität der Trichterwände.

Mit dem Sandwerfen begannen die Ameisenlöwen, sobald ein Beutetier auftauchte. Tatsächlich lösten die Würfe Sandrutsche aus, die die Beutetiere irritierten und sie ins Zentrum der Falle schlittern ließen. Zudem erhielten die Sandwürfe die Steilheit der Wände, berichten die Forscher. Denn sie würden durch die Fluchtversuche der Beute und Bewegungen des Ameisenlöwen selbst ansonsten immer flacher.

Beim Werfen sortieren die Ameisenlöwen die Sandkörner wieder nach Größe, sodass hauptsächlich kleine Körner die Hänge bedecken, schreiben die Forscher weiter. „Wir konnten zeigen, dass das Sandwerfen während des Beutefangs als Wartungsmechanismus fungiert, um den kritischen Neigungswinkel und damit die Effizienz der Falle konstant zu halten.“ Zudem verhinderten die Wartungsarbeiten, dass der Ameisenlöwe in seiner eigenen Falle begraben wird.

Weltweit gibt es rund 2000 Ameisenjungfern-Arten, in Mitteleuropa sind es neun, alle in ihrem Bestand gefährdet. Vier davon bauen Trichter.

Schnappkieferameisen können ihre Mandibeln mit 40 Metern pro Sekunde zuschnappen lassen, um Beute zu fangen, aber auch um zu graben.
Schnappkieferameisen können ihre Mandibeln mit 40 Metern pro Sekunde zuschnappen lassen, um Beute zu fangen, aber auch um zu graben.

© Larabee et al.

Gibt es für Ameisen denn wirklich kein Entrinnen, sobald sie in die Trichterfalle tappen? Doch, berichteten Fredrick Larabee und Andrew Suarez von der University of Illinois im Fachmagazin „PLOS ONE“. Schnappkieferameisen der in den südlichen USA und in Mittelamerika heimischen Art Odontomachus brunneus nutzen ihre namengebenden Beißwerkzeuge für die Flucht. Es war bekannt, dass die Ameisen das Zuschnappen ihrer Mandibeln nutzen können, um zu springen.

Larabee und Suarez warfen sie im Labor in die Trichterfallen von Ameisenlöwen, um zu prüfen, ob die Ameisen diesen Fluchtweg nutzten. „Die Ameisen sprangen in 15 Prozent der Versuche aus den Trichtern“, berichtete Larabee. Mit zusammengeklebten Mandibeln gelang ihnen die Sprungflucht nicht mehr und ihre Überlebensrate halbierte sich – zum Nutzen der Ameisenlöwen und ihrer grazilen Erwachsenenstadien. (mit dpa)

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