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Ein Mann wird am 05.12.2012 in Berlin im Seniorenpflegeheim pro vita Haus Rheingold von einem Pfleger gefüttert.

© Jens Kalaene/dpa

Warnende Prognose der WHO: Die Zahl der Demenzkranken wird stark steigen

Mit dem Anteil der Hochbetagten in der Bevölkerung nimmt auch die Zahl der von Demenz Betroffenen zu. Therapien gibt es kaum, aber Vorbeugemöglichkeiten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine neue Prognose zur Entwicklung bei Demenzerkrankungen vorgelegt. Der Studie zufolge werden diese durch Gedächtnisverlust und zunehmende Hilfsbedürftigkeit in allen Lebensbereichen charakterisierten Leiden in den kommenden Jahren zahlenmäßig stark zunehmen.

Bis 2030 dürften demnach etwa 40 Prozent mehr Personen als heute betroffen sein. 2019 hätten weltweit etwa 55 Millionen Menschen mit der Diagnose Demenz gelebt, teilte die WHO in Genf mit. In Deutschland sind es derzeit nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums etwa 1,6 Millionen Menschen.

Viel Forschung, fast keine Therapien

Die Möglichkeiten, das Leiden zu lindern und zumindest manche Symptome langsamer fortschreiten zu lassen, haben sich verbessert. Aber trotz intensiver jahrzehntelanger Forschung und trotz immer wieder als „vielversprechend“ vermeldeten Ansätzen gibt es bislang fast keine Therapien, die die häufigsten Demenzformen, vor allem die des Alzheimer-Typs, bei vielen Menschen heilen, stoppen oder auch nur deutlich verlangsamen könnten.

(Lesen Sie hier und hier vertiefende Artikel zu neuen Forschungsansätzen sowie zu Frauen als besonderer Risikogruppe und deren Vorbeugemöglichkeiten.)

Aus epidemiologischen Studien aber ist bekannt, dass die meisten Menschen – sofern bei ihnen Demenz nicht stark genetisch bedingt ist - die Möglichkeit hätten, ihr Demenzrisiko deutlich zu reduzieren beziehungsweise das Einsetzen stark beeinträchtigender Symptome um Jahre oder gar Jahrzehnte zu verschieben. Ein Lebensstil mit ausgewogener, nicht zu zuckerreicher Ernährung gehört dazu, Bewegung und Erhaltung der Muskelmasse, aber auch gute Schulbildung und ein intakten Sozialleben. Auch dafür, dass regelmäßige berufliche und private Weiterbildung und „lebenslanges Lernen“ generell das Einsetzen Demenz und ihre Symptome hinauszögern können, gibt es klare Anhaltspunkte.

Früh schützt sich...

«Schulbildung baut Hirnreserven auf», sagte die australische Demenzexpertin Katrin Seeher in Genf. Bei Personen, die zweisprachig aufwachsen, gibt es ebenfalls Hinweise auf eine geringere - oder spätere - Demenzanfälligkeit, was auf die Bedeutung einer schon frühen Forderung und Förderung der Hirnleistung und -kapazität spricht. Als Risikofaktoren für Demenz nannte Seeher Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen und soziale Isolation.

Rauchen und Alkohol trinken gehören nach WHO-Angaben ebenfalls dazu. Allerdings gehen viele Fachleute davon aus, dass Rauchen an sich außer bei sehr starkem jahrzehntelangen Tabakkonsum meist keine bedeutsame direkte Ursache ist, sondern eher mit einem auch ansonsten demenzgefährdenden Lebensstil einhergeht. Auch ein mechanischer Schutz des Gehirns, etwa durch das Tragen von Helmen in bestimmten Kontexten, dämme das Risiko ein, sagte Seeher.

Mehr Alte, mehr Demenz

Einer der Hauptgründe für die erwarteten steigenden Zahlen ist, dass die Lebenserwartung in vielen Teilen der Welt dank besserer Lebensbedingungen und medizinischer Versorgung nach wie vor steigt. Damit wächst auch der Anteil der Betagten und Hochbetagten ebenso wie ihre absolute Zahl. Mit dem Alter steigt generell das Risiko nicht übertragbarer Krankheiten, darunter Demenz. Als Ursache gelten Verschleiß- und Schädingungsprozesse auf zellulärem Niveau, die sich über die Jahrzehnte summieren. Diese schreiten aber eben auch abhängig etwa vom Lebensstil meist unterschiedlich schnell fort.
«Demenz raubt Millionen Menschen das Gedächtnis, die Unabhängigkeit und die Würde, aber sie raubt uns anderen auch die Menschen, die wir kennen und lieben», zitiert die Deutsche Presseagentur den Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Ursachen in den Zellen

Demenz ist meist eine fortschreitende Krankheit, in deren Verlauf Betroffene kognitive Fähigkeiten verlieren, etwa beim Gedächtnis, der Orientierung und der Sprache, dem Verstehen, Lernen, Planen und Einschätzen. Doch Erkrankungen können mit sehr unterschiedlichem Tempo fortschreiten. Neben dem erwähnten Lebensstil und im Verlauf des Lebens aufgebauten Hirnkapazitäten scheint hier auch Veranlagung eine Einfluss zu haben. Ein Beispiel für einen langsamen Verlauf bei der Zunahme der Symptome, welcher noch über viele Jahre nach der Diagnose ein aktives Leben erlaubte, war der ehemalige britische Premier Harold Wilson (Labour Party).
Als wichtig gilt eine rechtzeitige Diagnosestellung - auch, weil es bestimmte Demenzformen gibt, die zwar insgesamt seltener sind, aber besser therapierbar als etwa Alzheimer.
Die meisten Länder seien auf die wachsende Zahl von Demenzkranken jedenfalls nicht genügend vorbereitet, so die WHO. «Die Welt lässt Menschen mit Demenz im Stich», sagte Tedros. Es müsse mehr getan werden, um Betroffene bei einem Leben in Würde zu unterstützen und Betreuerinnen und Betreuer nicht allein zu lassen.

Tedros: Stigmatisierung und Ausgrenzung verhindern

«Menschen mit Demenz sowie ihre Familien und Betreuerinnen und Betreuer erleben Diskriminierung aufgrund des Alters, Stigma und soziale Ausgrenzung. Das darf in unseren Gesellschaften keinen Platz haben», so die WHO in ihrer Mitteilung. Die Organisation stellte diesbezüglich die seit 2019 in Deutschland entwickelte nationale Demenzstrategie als gutes Beispiel vor. Die Initiative soll, so zumindest der Anspruch, dafür sorgen, dass Menschen mit Demenz «in der Mitte der Gesellschaft» bleiben. Zudem hätten regionale Alzheimer-Gesellschaften konkret während der Corona-Pandemie wichtige Arbeit geleistet. Informationsmaterial, Podcasts und Videos seien erstellt worden, was geholfen habe, Menschen mit Demenz und ihre Betreuer und Betreuerinnen in der Zeit zu unterstützen.

Das Interesse an der Erforschung von Medikamenten gegen Demenz sei nach vielen enttäuschenden klinischen Studien gesunken, schreibt die WHO. Allerdings hätten die USA ihre jährlichen Investitionen in die Alzheimer-Forschung von 631 Millionen Dollar 2015 auf 2,8 Milliarden Dollar (rund 2,4 Milliarden Euro) 2020 ausgeweitet. (mit dpa)

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