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Ein Hauch von Orient: Vom Koran bis zum Gangsta Rap

Am Seminar für Semistik und Arabistik werden Sprachen und Literatur des Vorderen Orients erforscht.

Das Seminar für Semitistik und Arabistik vereint zwei Fachrichtungen unter einem Dach: Die Semitistik erforscht sowohl die semitischen Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients als auch die Geschichte und Gegenwartslage verschiedener religiöser Minderheiten. Die Fachrichtung Arabistik untersucht arabische Texte von der vorislamischen Zeit bis heute. Dabei interessieren sich die Forscherinnen und Forscher für alle Textgattungen – vom Koran über die Liebeslyrik bis hin zum Gangsta Rap.

SEMITISTIK

Die semitischen Sprachen werden heute von mehreren hundert Millionen Menschen gesprochen. Der größte Teil der Sprachen gehört dem Arabischen an, gefolgt von den äthiopischen Sprachen und dem Hebräischen. Es gibt allerdings noch viele weitere regionale Sprachen und unzählige Dialekte, die kaum einer kennt – etwa das Neuaramäische, das vor allem von Christen und einigen Juden gesprochen wird.

Mit all diesen Sprachen beschäftigen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Seminars, das 1963 an der Freien Universität gegründet wurde. „Uns unterscheidet von den anderen Fächern, dass wir uns vorwiegend mit den Sprachen des Vorderen Orients beschäftigen, ohne dabei das kulturelle Umfeld aus dem Blickwinkel zu verlieren“, sagt der Leiter des Seminars, Professor Shabo Talay. Während das Syrisch-Aramäische den zweitgrößten Literaturkorpus des Vorderen Orients besitze und auch Liturgiesprache der syrisch-aramäischen Kirchen ist, seien die neuaramäischen Sprachen vom Aussterben bedroht. Hier liegt deshalb ein besonderer Forschungsschwerpunkt des Seminars. Dazu dient auch das von Professor Talay kürzlich konzipierte Aramaic Online Project, das das Ziel verfolgt, Online-Kurse in den aramäischen Sprachen anzubieten. An diesem Projekt, das von der EU gefördert wird, sind namhafte Wissenschaftler aus ganz Europa beteiligt.

Die arabische Dialektologie ist ein weiterer Teil des Curriculums. Viele altertümliche arabische Dialekte werden zudem von Minderheiten gesprochen etwa von Juden und Christen. Die Studierenden des Bachelorstudienganges werden mit den linguistischen und kulturellen Grundlagen bekannt gemacht. Im Masterstudium geht es um eine philologisch-linguistische Vertiefung – vor allem bezüglich der Sprachen des Christlichen Orients.

Zum Spektrum der Berliner Semitistik gehört auch die Wissenschaft vom Christlichen Orient, die im Masterstudiengang einen wichtigen Raum einnimmt. Dabei steht die heutige Situation der Christen im Fokus. Inzwischen hat sich von studentischer Seite eine Initiative entwickelt, die unter dem Titel „Stimmen im Gespräch“ regelmäßig Podiumsdiskussionen zu solchen politischen Themen organisiert.

ARABISTIK

Das arabische Schrifttum umfasst weit mehr als religiöse Texte: Es gibt Dichtungen, Fabeln, Anekdoten, biografische Nachschlagewerke, Reiseberichte, Essays und Liebesgeschichten aus allen Epochen, die bis heute weder vollständig gesichtet noch untersucht worden sind. Um dies zu ändern und ein besseres Verständnis gegenüber der arabischen Kultur zu entwickeln, befasst sich die Arabistik innerhalb des Seminars mit der ganzen Breite der arabischen Literatur.

Geleitet wird die Fachrichtung von Beatrice Gründler, die 2014 als Professorin für arabische Sprache und Literatur an die Freie Universität berufen wurde und dafür ihre Professur an der amerikanischen Yale University aufgab. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die arabische Literatur in ihrer Vielfalt zu erforschen. Dabei liegt ihr die Lehre besonders am Herzen. „Mir geht es vor allem darum, den Studierenden die vielen Interpretationsmöglichkeiten zu zeigen und einen umfassenden Zugang zur arabischen Kulturgeschichte zu entwickeln“, sagt die Arabistin. Im Bachelor wird Arabistik im Rahmen des Studienganges Geschichte und Kultur des Vorderen Orients angeboten. Die Studierenden besuchen neben den Arabistik-Kursen auch Seminare in Semitistik, Islamwissenschaft, Iranistik und Turkologie.

Beatrice Gründler achtet darauf, dass sowohl Texte aus klassischer als auch aus moderner Zeit gelesen werden: „Am Institut haben wir drei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, die sich mit Gegenwartskultur wie muslimischem Gangsta Rap befassen, sowie mit Folklore und Literatur der mündlichen Überlieferung und der Literatur aus Al-Andalus, dem im frühen Mittelalter arabisch beherrschten Teil der iberischen Halbinsel. Außerdem wird zu moderner arabischer Dichtung gearbeitet – unter anderem entsteht gerade eine Dissertation zu zeitgenössischen arabischen Pop-Songtexten.“ Zwei Juniorprofessuren widmen sich unter anderem der mittelalterlichen didaktischen Literatur und klassischer und moderner Koranexegese sowie der arabischen Literatur und Philologie der mittleren Periode 1400 bis 1800. „Das wird sonst selten im Fach gelehrt“, sagt Gründler.

Sie selbst spezialisiert sich auf die klassische arabische Literatur von der vorislamischen Zeit bis zu den Mamluken (etwa 600 bis 1500), die arabische Sprachgeschichte, die Buchrevolution des 9. Jahrhunderts, Mediengeschichte und arabische Paläographie. „Ich will den Studierenden auch zeigen, wie die Menschen im arabischen Raum mit Information umgegangen sind“, sagt Beatrice Gründler. Sie interessiere sich deshalb besonders für Buchgeschichte: „Ich schreibe momentan ein Buch zur Buchrevolution im 9. Jahrhundert. Für mich ist wichtig, dass die Studierenden wissen, was die Literatur im richtigen Leben bewirkt hat. Die arabische Literatur hatte sehr oft eine politische oder soziale Funktion. Dichtung war eine öffentliche Kunst.“

Es gibt noch viel zu erforschen. Denn viele arabische Dokumente in den Archiven sind noch nicht ausgewertet. Daher ermutigt Gründler ihre Studierenden, Manuskripte zu lesen. „Sie haben bei uns die Möglichkeit, kritisch über Texte zu diskutieren – und die arabische Literatur aus allen Perspektiven zu beleuchten. Denkverbote gibt es dabei nicht.“

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