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Holzköpp-Wagen mit Populisten, Autokraten und Diktatoren beim letztjährigen Kölner Karneval.

© picture alliance / Geisler-Fotop

Meinungsbildung in Coronazeiten: Volksfreund, Expertenfeind

Die Forschung zum Populismus erklärt dessen Scheitern in der Pandemiebekämpfung – und warum er dennoch von der Krise profitieren könnte.

Es war die „Stunde der Exekutive“: Als das Ausmaß der Covid-19-Pandemie deutlich wurde, war schnelles Handeln gefragt. Regierungen standen im Rampenlicht, als sie Grenzen schlossen, Ausgangssperren verhängten und Krankenhauskapazitäten erweiterten. Das war oft politisch vorteilhaft, viele Regierungen gewannen in Umfragen an Popularität. Doch nicht in allen Ländern ist der gute erste Eindruck geblieben. Sowohl der inzwischen abgewählte US-amerikanische Präsident Donald Trump als auch der britische Premierminister Boris Johnson mussten für ihr Krisenmanagement bald heftige Kritik einstecken; die Zustimmung zur Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sinkt seit Beginn der Pandemie.

Schlechte Noten sind kein Zufall

Dass die Noten für drei der prominentesten populistischen Politiker schlecht ausfallen, ist kein Zufall. Das zumindest ist der Konsens in der sozialwissenschaftlichen Forschung zu populistischen Bewegungen. „Populistische Regime verbreiten grundsätzlich einfache Botschaften. Komplexen Krisen wie der Coronavirus-Pandemie können sie nicht gerecht werden“, sagt Jessica Gienow-Hecht. Die Geschichtsprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin ist Wissenschaftlerin im Exzellenzcluster SCRIPTS der Universität, an dem Herausforderungen für das Modell der liberalen Demokratie – dem liberalen „Skript“ – erforscht werden.

Trumps Tweets als direkter Draht

Eine solche Herausforderung ist der Populismus, da er die Institutionen gefährdet, die die liberale Demokratie stützen. „Populisten haben schon immer versucht, eine direkte Kommunikationslinie zwischen Führungspersönlichkeit und Wählerschaft herzustellen“, sagt Jessica Gienow-Hecht. Das sei zum Beispiel schon bei Andrew Jackson so gewesen. Der siebte US-Präsident gilt als der erste amerikanische Populist und war Vorbild Donald Trumps, der Jacksons Porträt prominent im Oval Office des Weißen Hauses platziert hatte. Über den direkten Draht zum Volk würden die vermittelnden Institutionen umgangen, darunter Parteien, Parlamente und die Presse, sagt die Historikerin. „Trumps Tweets haben diese Entwicklung auf die Spitze getrieben.“

Gespaltene Gesellschaft

Besonders folgenreich sei es, wenn überparteiliche Institutionen ihre Autorität verlieren, sagt Michael Zürn. Der Professor für Politikwissenschaft am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der Freien Universität ist Ko- Sprecher von SCRIPTS. Die für populistische Rhetorik typische Elitenkritik und vermeintliche Volksnähe führe zu einer Politisierung von Teilen der Gesellschaft, die als neutral galten. „Wenn man die einfache, hart arbeitende Bevölkerung den liberalen Kosmopoliten gegenüberstellt, dann geschieht es schnell, dass Wissenschaft und Qualitätspresse als parteiisch angesehen werden“, sagt der Politologe.

In den Bewegungen der vergangenen Jahre sieht Michael Zürn eine autoritäre Form des Populismus. Denn die Populisten in Brasilien und den USA hätten mit denjenigen um Ungarns Viktor Orbán, Polens Jarosmaw Kaczynski und Frankreichs Marine Le Pen nicht nur ihre Rhetorik gegen vermeintlich korrupte Eliten gemein. Wesentlich sei ebenso ihr Verständnis des Volkes als eine definierte, homogene Gruppe, deren Willen durch eine einzige Führungsperson verkörpert und ausgeführt werde. „Das ist eine verfahrensfreie Vorstellung von Mehrheitsherrschaft: Der Regierungschef weiß am besten, was das Volk will, und braucht dessen Willen nur noch umzusetzen“, sagt Michael Zürn und verweist auf einen Slogan des österreichischen Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache: „ER will, was WIR wollen.“

Fakten und Argumente zählen nicht

Populistische Regierungen stünden daher der Gewaltenteilung in Demokratien und insbesondere der Kontrolle durch unabhängige Gerichte feindselig gegenüber. Antipluralistisch, verfahrensfrei, den Rechtsstaat aushöhlend: Das sei eine gefährliche Mischung für die Demokratie – und verhindere auch eine effektive Pandemiepolitik: „Im Populismus geht es darum, den vermeintlichen Mehrheitswillen unmittelbar zu realisieren. Es geht nicht um einen Entscheidungsprozess, in dem Fakten und Argumente zählen“, sagt Michael Zürn. Wenn die Wissenschaft darüber hinaus dem feindlichen Establishment zugerechnet werde, fänden Epidemiologen in der Politik kein Gehör mehr.

In der Forschung bleibt umstritten, ob autoritäre Elemente Wesensmerkmale des Populismus sind. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Geschichte ist Jessica Gienow-Hecht skeptisch. „In keinem Land der Welt hat der Populismus eine solch lange Geschichte und ist so vielfältig wie in den USA“, sagt die Amerikanistin. Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Zentralregierung sei in der amerikanischen Kultur fest verankert. Das habe oft autoritäre Züge angenommen, etwa bei der Verfolgung vermeintlicher Kommunisten in der McCarthy-Ära der 1950er-Jahre. Nicht in dieses Schema passe hingegen der „African American Populism“ des späten 19. Jahrhunderts. Wenige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg hatte die Schwarze Bevölkerung guten Grund zu Misstrauen gegenüber den herrschenden Eliten, von denen sie mit den Jim-Crow-Gesetzen systematisch ihrer Rechte beraubt wurden. „,Der African American Populism‘ hat sich gerade gegen den Antipluralismus gewendet, der für Donald Trump so kennzeichnend ist“, sagt Jessica Gienow-Hecht.

Die Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig fundierte Expertise in der Politik ist. Vielen Populisten habe ihr schlechtes Krisenmanagement zumindest kurzfristig geschadet, ist sich Michael Zürn sicher. „Ohne die Pandemie wäre Trump höchstwahrscheinlich wiedergewählt worden“, sagt der Politologe. Langfristig könnte die Coronavirus-Pandemie jedoch genau die Bedingungen verschärfen, die den Populismus erst haben erstarken lassen: wachsende ökonomische Ungleichheit, zu Sparpolitik gezwungene überschuldete Staaten und eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen von Parlamenten hin zu internationalen und europäischen Organisationen.

Wissenschaft in der Vertrauensfrage

„Wir erleben immer häufiger grenzüberschreitende Krisen, im Finanzsystem, in der Migration, in der globalen Gesundheit“, sagt Michael Zürn. In diesen Krisen werde deutlich, dass die großen Entscheidungen nicht mehr in Parlamenten, sondern in der europäischen Kommission, in Zentralbanken oder in der Weltgesundheitsorganisation getroffen werden – Institutionen, die allenfalls über Umwege demokratisch legitimiert sind.

„Der Nationalstaat ist nicht mehr in der Lage, globale Probleme eigenständig zu lösen“, sagt auch Jessica Gienow-Hecht, daher stehe das Vertrauen in internationale und wissenschaftliche Institutionen derzeit auf dem Spiel wie kaum je zuvor. Je dringender Expertise benötigt wird, desto drängender stellt sich die Frage nach demokratischer Beteiligung – und umso größer wird die populistische Versuchung, guten Rat in den Wind zu schlagen.

Jonas Huggins

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