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Kiebitze weichen mangels natürlicher Brutgebiete zunehmend auf landwirtschaftlich genutzte Flächen aus, wo der Bruterfolg geringer ist.

© dpa/Patrick Pleul

Vogel des Jahres: Luftakrobaten mit Seltenheitswert

Den Kiebitz erkennt man an seinem auffälligen Federkleid und seinem Ruf: Es klingt ein bisschen, als würde er seinen Namen rufen. Könnte er in Deutschland bald verstummen?

Von Irena Güttel, dpa

Der kecke Federschopf am Hinterkopf fällt auf und auch das Gefieder. Kiebitze sind auf der Unterseite weiß, auf der Oberseite dunkel, metallisch grün und violett schimmernd. Doch wer den inzwischen selten gewordenen Wiesenbrüter Vanellus vanellus beobachten will, braucht Glück oder muss die richtigen Stellen kennen.

Das Knoblauchsland am Rande Nürnbergs, eines der größten zusammenhängenden Gemüseanbaugebiete in Deutschland, ist ein solcher Kiebitz-Hotspot. Hier lebt der zweitgrößte Bestand Bayerns auf vergleichsweise kleiner Fläche. „Ich habe noch nie so viele beieinander gesehen“, sagt Lisa Schenk vom bayerischen Naturschutzverband LBV. Vor allem zur Balzzeit sei es spektakulär. „Da machen die Männchen eine Art Luftakrobatik, um die Weibchen zu beeindrucken.“ Doch den Kiebitz so gut beobachten zu können, ist selbst für die Vogel-Expertin etwas Besonderes.

Drastischer Bestandseinbruch

Auf der Roten Liste der bedrohten Arten wird der Kiebitz als stark gefährdet eingestuft. Auf 42.000 bis 67.000 Brutpaare schätzt der Dachverband Deutscher Avifaunisten den aktuellsten Zahlen zufolge den Bestand. Demzufolge ging dieser seit 1980 um rund 90 Prozent zurück. „Das ist ein drastischer Einschnitt“, sagt Martin Rümmler vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Grund dafür sei vor allem der schwindende Lebensraum.

Die Rauchschwalbe (Hirundo rustica) bleibt Kandidat für die Wahl zum Vogel des Jahres.

© Soeren Stache/dpaZentralbild/dpa

Der Kiebitz bevorzugt feuchte Wiesen und Weiden, Moore und Sümpfe als Brutgebiete. Viele davon wurden trockengelegt, um sie landwirtschaftlich zu nutzen oder zu bebauen. „Ein Problem ist, dass die Kiebitze auf Ackerflächen ausweichen“, sagt Rümmler. Dort seien die Bruterfolge geringer, da Maschinen die versteckten Nester überrollen, weil sich dort weniger Nahrung für die Jungvögel finden lässt und weil Räuber wie der Fuchs dort leichteres Spiel haben.

Um auf die Gefährdung des taubengroßen Vogels aus der Familie der Regenpfeifer und die Bedeutung seines Lebensraums aufmerksam zu machen, haben Nabu und LBV den Kiebitz neben dem gefährdeten Rebhuhn und den voraussichtlich bald als gefährdet einzustufenden Arten Rauchschwalbe, Steinkauz und Wespenbussard als „Vogel des Jahres“ 2024 nominiert. Der Kiebitz gewann die frei zugängliche Abstimmung im Internet. Fast 120.000 Menschen haben sich nach Mitteilung des Nabu beteiligt.

Geringeres Vorkommen in Süddeutschland

Während die Art im Norden Deutschland noch weitverbreitet ist, hat sie es in Süddeutschland eher schwer. Deshalb kämpfen Fachleute wie Lisa Schenk dort um jeden einzelnen Vogel. In diesem Frühjahr hat sie gemeinsam mit Ehrenamtlichen die Felder im Knoblauchsland nach Nestern abgesucht und mehr als 120 mit Stangen markiert, sodass die Landwirte diese bei der Feldarbeit umfahren können.

Das sei aber nur ein Bruchteil der Nester in dem 4000 Hektar großen Gebiet, sagt Schenk. Im kommenden Jahr wollen sie und ihr Team nicht nur den Nestschutz ausweiten, sondern auch untersuchen, aus wie vielen Eiern überhaupt Jungvögel schlüpfen. „Auch schon für die Eier besteht die Gefahr, dass sie nicht durchkommen.“ Rund 100 junge Kiebitze hat der LBV im Knoblauchsland außerdem mit farbigen Ringen markiert, um mehr über ihr Zugverhalten und die Treue zum Schlupfort erfahren zu können.

Kiebitznester sind nur eine Mulde im Boden, meist umgeben von kurzer Vegetation. Kiebitze legen meist vier Eier.

© Sina Schuldt/dpa

Der Kiebitz gehört zu den sogenannten Kurzstreckenziehern. Im Herbst verlässt er sein Brutgebiet, um in milderen Regionen zu überwintern, zum Beispiel in Frankreich, Spanien, Großbritannien und den Niederlanden. „Ein paar bleiben hier in Deutschland, ein Teil zieht weg“, erläutert Nabu-Experte Rümmler. Das hänge auch von der Witterung ab.

Sender liefern Erkenntnisse zum Vogelzug

Doch wie viele Kiebitze kehren überhaupt von der gefahrvollen Reise im Frühjahr in ihre Brutgebiete in Deutschland zurück? Um das herauszufinden, hat Martin Boschert acht junge Kiebitze in diesem Jahr erstmals in Baden-Württemberg mit Sendern ausstatten lassen. Der Biologe ist für den Schutz der Wiesenvögel wie des Großen Brachvogels und des Kiebitzes am badischen Oberrhein verantwortlich.

Wenn Boschert Kiebitznester entdeckt, die bei Feldarbeiten zerstört werden würden, bringt er die Gelege in den Zoo in Karlsruhe. Dort werden sie ausgebrütet und die Jungvögel später ausgewildert. Acht davon tragen nun einen Sender. „Die sind alle nach Westen und Südwesten abgeflogen“, sagt Boschert. „Wir sind gespannt, was passiert, wenn der Winter einbricht.“

An ihren Brutplätzen kann man Kiebitze bei auffälligen Flugmanövern beobachten, bei denen sie Schleifen über dem Revier drehen und auch Sturzflüge bis kurz über den Boden einlegen. 

© Philipp von Ditfurth/dpa

Einst sei der Kiebitz in Süddeutschland flächendeckend vorgekommen, sagt Boschert. „Da müssen wir wieder hin.“ Dafür zäunt er zum Beispiel Nester der Wiesenbrüter ein, um Eier und Küken vor Fuchs, Iltis, Marder und Waschbär zu schützen. Beim Großen Brachvogel seien dadurch schon Erfolge erzielt worden, sagt er. „Wir sehen, dass immer mehr Jungvögel hochkommen.“

Freizeitdruck gefährdet Bruterfolg

Manche Gebiete werden in der Brutzeit per Allgemeinverfügung der Gemeinde außer für die Landwirtschaft, Jägerinnen und Jäger sowie die Naturschutzvereine sogar ganz gesperrt, berichtet Boschert. Dadurch soll verhindert werden, dass Menschen beim Spazierengehen oder Joggen die Vögel aufscheuchen und frei laufende Hunde die Küken töten. Dank der verschiedenen Maßnahmen habe der Kiebitzbestand im Hauptgebiet wieder zugenommen. „Er ist auf dem Niveau von vor zehn, 15 Jahren“, sagt Boschert.

Schutzprojekte wie in Baden-Württemberg und Nürnberg sind nach Ansicht des Nabu-Experten Rümmler sinnvoll, um lokale Populationen zu stabilisieren. „Was die Gesamtpopulation betrifft, ist das aber ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Die „große Stellschraube“ sei die Agrarpolitik. Um den Kiebitz zu retten, müssten mehr Flächen unter Schutz gestellt und wiedervernässt werden. In der Landwirtschaft müssten außerdem weniger Pestizide zum Einsatz kommen, damit der Kiebitz wieder ausreichend Insekten als Nahrung findet.

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