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Das Abwärmepotenzial der U-Bahn speist sich auch aus dem Anfahren und Abbremsen der Züge.

© imago/Marius Schwarz

Viel warme Luft: Mit Abwärme könnte Berlin seine Klimabilanz aufbessern

Rechenzentren, Abwasser und U-Bahnschächte geben ihre Wärme ungenutzt an die Umwelt ab. Wie viel davon könnte Berlin nutzen, um damit etwa Wohnungen zu heizen?

Das Ziel ist ambitioniert: Innerhalb der nächsten zwanzig Jahre will Berlin klimaneutral werden. Vor allem im Wärmesektor ist viel zu tun, schließlich fallen dort fast die Hälfte der CO₂-Emissionen an. Neue Heizungen und bessere Dämmung werden kaum reichen. Es braucht weitere Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen. Eine davon: Abwärme besser nutzen.

Das, was heute oft ungenutzt in die Umwelt entweicht, könnte künftig bis zu zehn Prozent des Wärmbedarfs der Stadt decken. Zu diesem Fazit kommt eine Analyse des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu). Sie wurde für die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) erstellt.

EinzeIne Vorhaben wie die Wärmegewinnung aus Abwasser für einen Bürokomplex am Ostbahnhof gibt es etliche. Die neue Analyse zeigt nun erstmals die gesamten Abwärmepotenziale der Stadt. Sie wurden mittels einer Unternehmensbefragung und Experteninterviews ermittelt und dabei Akteure der Berliner Wärmebranche eingebunden.

Energie entweicht einfach

Die Zahlen sind beeindruckend. Im verarbeitenden Gewerbe fallen derzeit mindestens 339 Gigawattstunden im Jahr (GWh/a) an, vor allem bei der Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse sowie von Nahrungs- und Futtermitteln. Hinzu kommen 120 GWh Abwärme aus Rechenzentren, 460 GWh aus U-Bahn-Stationen sowie 50 GWh aus Umspannwerken. Zudem fallen 225 GWh Restwärme in der Müllverbrennungsanlage an.

460
Gigawattstunden pro Jahr Abwärme produziert allein die U-Bahn.

Doch nur ein Teil werde sich nutzen lassen, schreiben die Autoren. Beispielsweise weil die Abwärme ganzjährig oder gar sommerlastig kommt, der Heizbedarf aber im Winter am größten ist. Weiteres Manko: „Ein Großteil der Abwärme fällt im Niedertemperaturbereich bis 65 Grad an“, sagt Sebastian Blömer vom ifeu, einer der Studienautoren. Es braucht Wärmepumpen, um ein höheres Temperaturniveau zu erreichen, wie es in Wärmenetzen nötig ist, teils deutlich über 100 Grad. Daher sei es sehr sinnvoll, Gebäude auf einen Niedrigtemperaturstandard zu bringen, sagt der Forscher. Dann könnte die Temperatur in den Wärmenetzen verringert werden, was die Abwärmenutzung erleichtert.

Großheizung U-Bahn

Zwei Trends kommen dem Ziel entgegen. Zum einen schätzen die Experten, dass der jährliche Wärmebedarf insgesamt zurückgeht von schätzungsweise 37 Terawattstunden (TWh) auf rund 20 TWh bis 2040. Und dass durch den erwarteten Zubau von Rechenzentren deren Abwärmepotenzial um ein Vielfaches steigen dürfte. Die Restwärme aus der Datenverarbeitung ließe sich noch besser nutzen, wenn statt der üblichen Luft- auf Wasserkühlung umgestellt würde, sagt Blömer. „Damit würde Wasser auf mehr als 50 Grad erwärmt, was sich gut nutzen lässt.“ Allerdings sei die Technologie teurer und es bestünden Fragen, etwa zur Sicherheit der Anlagen.  

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Überraschend hoch ist das Abwärmepotenzial der U-Bahn. Es speist sich aus der Erdwärme des Untergrunds, aus dem Anfahren und Abbremsen der Züge, aus der Reibung sowie durch die Passagiere selbst. Die BVG will dazu Wärmetauscher am U-Bahnhof Hermannplatz errichten. Das Projekt befinde sich derzeit noch in der Planungsphase, teilt ein Sprecher mit.

Ein weiteres Vorhaben war für den Bahnhof Turmstraße angedacht. Dort „stellte sich heraus, dass der angedachte Aufstellplatz der Wärmepumpe ungeeignet ist“, heißt es. Es seien keine Luftöffnungen vorhanden, die jedoch notwendig wären, um die Wärmepumpe mit neuer Luft zu versorgen und alte Luft abzuführen. „In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Abwärmepotenziale der Abwasserleitungen deutlich einfacher nutzbar sind als die Nutzung eines U-Bahntunnels, welche eine Vielzahl von Auflagen erfüllen müssen“, schreibt der Sprecher. „Dazu gehören unter anderem Brandschutz, Statik, Bauphysik und das Temperaturbefinden der Fahrgäste.“

Abwärme aus Abwasser

Tatsächlich ist die Wärmenutzung bei Abwasser deutlich weiter. 17 Projekte sind laut Berliner Wasserbetriebe (BWB) in Betrieb beziehungsweise stehen kurz davor. Sie unterstützen die Heizung in Schwimm- und Sporthallen, einem Möbelmarkt sowie öffentliche Einrichtungen. Darüber hinaus, so ein Sprecher, sind etwa ein Dutzend weitere Projekte in unterschiedlichen Planungs- und Umsetzungsstadien. Darunter am Ablauf des Klärwerks Ruhleben mit Überleitung zum Heizkraftwerk Reuter West und die Gelände der ehemaligen Flughäfen Tempelhof und Tegel, wo Wärme aus Abwasserdruckleitungen gewonnen werden soll.

Verglichen mit anderen Technologien wie Erdgas sind die Investitionskosten für neue Vorhaben oft hoch.

Sebastian Blömer, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg

Dennoch scheint die „Abwärme-Wende“ noch nicht in Sicht. „Verglichen mit anderen Technologien wie Erdgas sind die Investitionskosten für neue Vorhaben oft hoch“, sagt ifeu-Experte Blömer. Auch die Betriebskosten seien durch den Einsatz von Strom hoch. Das Problem verschärfe sich noch, da die Erdgaspreise wieder gesunken seien, während Elektroenergie teurer wird. „Da tut sich eine Wirtschaftlichkeitslücke auf.“

Um Abhilfe zu schaffen, schlagen die Autoren vor, weitere Angebote zur besseren Finanzierung von Abwärmeprojekten zu entwickeln. Zudem sollten Genehmigungsverfahren erleichtert und Steuerungs- und Planungsinstrumente so entwickelt werden, dass neue Unternehmen mit relevanten Abwärmemengen gezielt an Standorten mit guter Abnahmemöglichkeit angesiedelt werden.

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