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Der neue Fossilfund zeigt erstmals, wie sehr Archaeopteryx gefiedert war.

© Nature

Urvogel Archaeopteryx: Der Federhosenträger

Anders als bisher angenommen war Archaeopteryx fast am ganzen Körper gefiedert – aber die Federn dienten zunächst nicht dem Flug, zeigt ein neuer Fossilfund.

Federn sind zum Fliegen da, das sagt schon der gesunde Menschenverstand. Aber so wie Fledermaus und Libelle sich auch ohne Federn in die Lüfte erheben, so könnten Federn ursprünglich einem anderen Zweck gedient haben und erst später zum Fliegen benutzt worden sein. Diese Annahme legt die Analyse eines erst 2011 gefundenen Fossils des Urvogels Archaeopteryx nahe. Es zeigt in bisher unerreichter Genauigkeit das Federkleid des krähengroßen Urvogels. Anders als bislang angenommen war Archaeopteryx danach fast völlig gefiedert.

Nach Ansicht des Forscherteams um Oliver Rauhut von der Bayrischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München belegt das Federkleid des Archaeopteryx und verwandter Arten, dass dessen Entwicklung zunächst nichts mit Fliegen zu tun hatte. Vermutlich dienten die Federn eher zum Wärmen und Brüten, zum Imponieren und Aufplustern etwa bei der Balz, zum Halten des Gleichgewichts und zur Tarnung, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“. Für den Vogelflug brauchte es dann neben einem entsprechenden Gefieder weitere evolutionäre Veränderungen, etwa bei Knochenbau und Muskeln.

Wappentier der Evolution

Die spätere „Zweckentfremdung“ der Federn zum Fliegen ist ein Beispiel für „Exaptation“. Dieser von dem Paläontologen Stephen Jay Gould geprägte Ausdruck bezeichnet das Phänomen, dass bestimmte Merkmale (wie Federn) plötzlich neben ihrem eigentlichen Zweck (dem Wärmen) eine weitere Aufgabe erfüllen (das Fliegen). Der Vorgang erfolgt ungerichtet, der Vogelflug war von der Evolution nicht als Zweck vorgesehen.

Archaeopteryx, von dem nur elf versteinerte Exemplare bekannt sind, ist das berühmteste Fossil überhaupt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der erste Urvogel-Fund von 1861 eindrucksvoll eine Vorhersage Charles Darwins bestätigte. Darwin hatte 1859 in seinem Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ geschrieben, dass es gemäß der von ihm vorgestellten Evolutionstheorie Übergangsformen zwischen alten und neuen Arten geben müsse, „missing links“ genannt. Archaeopteryx verkörperte den „missing link“ perfekt. Schon gefiedert wie ein Vogel, zugleich aber noch mit dem Skelett eines zweibeinig laufenden Sauriers ausgestattet, eines Theropoden. Welch besseren Beleg konnte es geben, dass die Vögel von den Sauriern (und damit den Reptilien) abstammten? Der 150 Millionen Jahre alte Urvogel wurde zum Wappentier der Evolution.

Den Urvogel Archaeopteryx stellte man sich bisher als bezahnte Krähe vor.
Bezahnte Krähe. So stellte man sich bisher den Urvogel Archaeopteryx vor.

© picture-alliance/Mauritius

Über viele Jahrzehnte blieb die Einzigartigkeit des Archaeopteryx unangetastet. Das änderte sich in den vegangenen 15 Jahren durch Aufsehen erregende Fossilfunde in China. Paläontologen entdeckten dort etliche vogelähnliche Saurier und frühe Vogelarten mit gut erhaltenen Gefiederabdrücken aus der Archaeopteryx-Ära. So stellte sich heraus, dass Federn bei Sauriern verbreiteter waren als gedacht. Und das Fliegen – oder zumindest das Gleiten – entstand unter den Raubsauriern gleich mehrfach, wie etwa das Beispiel des 130 Millionen Jahre alten Microraptors zeigt, der vier Schwingen besaß. Die Vielfalt der Evolution lässt die Kategorien-Frage „Noch Saurier oder schon Vogel?“ eher zweitrangig erscheinen.

Gleiten, hüpfen oder flattern

Angesichts eines ganzen versteinerten Zoos von geflügelten Dinosauriern am Übergang zu den „eigentlichen“ Vögeln musste der legendäre Ruf des Archaeopteryx notgedrungen leicht verblassen. Dennoch hält es der Archaeopteryx-Experte Rauhut für legitim, diesen weiterhin als „Urvogel“ zu bezeichnen. „Er ist der älteste Vertreter der gefiederten Raubsaurier, von dem wir annehmen können, dass er fliegen konnte“, sagt Rauhut. Wie gut er das anstellte, ob er glitt, in die Höhe hüpfte oder gar flatterte, ob er eher auf Bäumen oder dem Boden lebte, darüber streiten die Forscher noch.

Das neue Archaeopteryx-Fossil stammt wie die anderen Exemplare aus den Lagerstätten des Solnhofener Plattenkalks. Es gehört einem Privatsammler und wurde den Münchner Paläontologen zur wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung gestellt. Sein Wert dürfte in die Millionen gehen, denn vor 15 Jahren wurde ein anderer Urvogel, das „Münchner Exemplar“, bereits für umgerechnet 1,2 Millionen Euro einem Steinbruch abgekauft, berichtet Rauhut. Zwar hat das jetzt in „Nature“ präsentierte Exemplar keinen Kopf mehr, aber mithilfe seiner detaillierten Gefiederabdrücke haben die Wissenschaftler einen ganzen Stammbaum rund um den Urvogel und andere „fortschrittliche“ Raubsaurier konstruiert. Schwungfedern und Steuerfedern finden sich bei Archaeopteryx ebenso wie eine Befiederung der Beine (mit Ausnahme der Krallen/Füße). Diese „Federhosen“ könnten dem Urvogel beim Landen geholfen haben, während verlängerte seitliche Steuerfedern am Schwanz das Fliegen erleichterten.

Im Bereich der Federabdrücke fanden die Forscher zudem organische Überreste, möglicherweise versteinerte Überbleibsel von Originalfedern. Eine elektronenmikroskopische Untersuchung könnte Rückschlüsse auf die Farbe der Federn erlauben. Vielleicht wird man noch von Urvogel Nummer elf hören.

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