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Methadon-Studie an Patienten mit Dickdarmkrebs gestartet: Unterstützt ein Heroinersatz die Wirkung von Chemotherapien?

Vor zwei Jahren entbrannte ein heftiger Streit um das Schmerzmittel Methadon, ob es die Krebsbehandlung unterstützen kann. Eine Studie soll das nun ergründen.

Als Schmerzmittel und Heroinersatz ist Methadon weltweit etabliert - doch nicht als Therapeutikum gegen Krebs. 2017 kam die Substanz ins Gerede, als eine ARD-Fernsehsendung suggerierte, Methadon könne Krebszellen sensibler für Chemotherapien machen, werde aber wegen fehlender Profitaussichten für die Pharmaindustrie nicht als Therapieoption erforscht. Unterstützer verwiesen auf vereinzelte Hinweise auf Besserungen bei Tumorpatienten, Gegner bezeichneten das als zufällige Ausnahmen, die nichts mit dem Wirkstoff zu tun haben.

Nun soll eine klinische Studie wissenschaftlich belastbare Fakten liefern, ob Methadon die Chemotherapie unterstützen kann oder nicht. Die Deutsche Krebshilfe fördert eine Therapiestudie an der Universitätsklinik Ulm mit 1,6 Millionen Euro, in der Patienten mit metastasierendem Dickdarmkrebs, bei denen die Chemotherapie nicht anschlägt, zusätzlich mit Methadon behandelt werden.

„Die Krebszellen dieser Patienten sind unempfindlich gegen diese Medikamente geworden“, erläutert Studienleiter Professor Thomas Seufferlein, der Ärztliche Direktor der Klinik für Innere Medizin I der Ulmer Uni. „Unsere Hypothese ist, dass Methadon den Tumor wieder empfindlich für Chemotherapeutika machen kann.“

Ergebnisse aus der Zellkultur am Menschen testen

Die Annahme stützt sich auf experimentelle Forschungen der Chemikerin Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm. 2008 kam sie zu dem Schluss, dass Blutkrebszellen vermehrt absterben und ihre Widerstandskraft gegen die Chemotherapie abnimmt, wenn sie mit Methadon behandelt werden. Spätere Forschungen mit Zellkulturen anderer Tumoren schienen die Vermutung zu erhärten.

„Wir wollen untersuchen“, so Professor Seufferlein, „ob Methadon bewirken kann, dass auch bei Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs bestimmte Chemotherapeutika besser in die Krebszellen eindringen und dadurch effektiver wirken können“. Die Betonung liegt für den Mediziner auf „ob“: „Ich sehe die Studie wirklich komplett ergebnisoffen.“ Zudem würden Resultate allein für die Situation eines fortgeschrittenen Dickdarmkrebses und nicht für andere Tumorarten sowie allein für das konkrete Chemotherapeutikum und die konkrete Dosierung von Methadon gelten. „Man kann die Ergebnisse dann weder in die eine noch in die andere Richtung generalisieren.“

Die Studie soll im ersten Quartal 2020 starten. Seufferlein rechnet längerfristig mit jeweils etwa 30 Patienten, die neben der Chemotherapie auch Methadon erhalten, im Vergleich zu anderen, die – wie bislang üblich – mit Chemotherapie sowie bei Bedarf mit Morphium oder anderen Schmerzmitteln behandelt werden. Erste belastbare Resultate könnten frühestens Anfang 2022 vorliegen.

Unseriöser „Methadon-Hype“

Zu einem Ansturm auf Methadon und einer Welle der Hoffnung auf Heilung war es 2017 gekommen, nachdem Claudia Friesen im Fernsehen von ihren Laborergebnissen berichtet hatte und zudem in Medien auf Fälle hingewiesen worden war, in denen Krebspatienten nach Methadon-Einnahme eine Besserung erfahren haben sollen. Klar war damals schon, dass Einzelfälle in der Medizin nicht als Beweis für die Wirksamkeit eines noch weitgehend unerprobten Mittels gelten können.

Entsprechend deutlich war – und ist teils heute noch – die Kritik einiger Kollegen von Friesen. Vor einem unseriösen „Methadon-Hype“ warnte etwa Professor Wolfgang Wick, Direktor der Neurologischen Uniklinik Heidelberg und Leiter einer Forschungsabteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Wenn Vermutungen ohne gesicherte Datenlage in der Öffentlichkeit diskutiert würden, könnten Patienten leicht das Gefühl bekommen, von bereits bestehenden Möglichkeiten abgeschnitten zu werden, mahnte er.

Die Langfrist-Studie in Ulm begrüßt Wick: „Die Idee, dass man da mit einer zusätzlichen Behandlung eine gewisse Chemosensibilisierung erreicht, finde ich beim Darmkrebs plausibler als bei Hirntumoren.“ Wünschenswert wäre es, so der Professor, dass auch entsprechende Forschungen zu Hirntumoren sowie zu anderen Krebsarten stärker gefördert würden.

So oder so ist der Geist einer neuen Hoffnung namens Methadon längst aus der Flasche: Rund 53.000 Menschen unterzeichneten eine Petition mit der Forderung nach weiterführenden Studien zur Wirksamkeit der Substanz. Im Petitionsausschuss des Bundestages erklärten Vertreter des Forschungsministeriums, die Bundesregierung stehe „der Förderung klinischer Studien zum Einsatz von Methadon in der Krebstherapie offen gegenüber“.

Noch gibt es keinen endgültigen Beschluss zur staatlichen Finanzierung. Aber mit der Entscheidung der gemeinnützigen Stiftung Deutsche Krebshilfe zur Förderung einer ersten klinischen Studie zu einer möglichen Methadon-Wirkung bei Darmkrebs ist ein Anfang gemacht. „Wir brauchen mehr klinische Studien, um prüfen zu können, ob sich das Wachstum von Tumoren oder die Bildung weiterer Metastasen mit Methadon auch bei anderen Krebsarten besser eindämmen lassen als allein mit Chemotherapeutika“, sagt Friesen. „Ergebnisse bei einer Krebsart können nicht auf andere übertragen werden. Deshalb ist die staatliche Finanzierung dringend nötig.“ (dpa)

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