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Das Scharnier im Querschnitt: Das elastische Material in der Mitte öffnet die Schale, wenn sich die Muskeln der Muschel entspannen.

© Xiang-Sen Meng, Li-Chuan Zhou, Lei Liu, Yin-Bo Zhu, Yu-Feng Meng, Dong-Chang Zheng, Bo Yang, Qi-Zhi Rao, Li-Bo Mao, Heng-An Wu, Shu-Hong Yu

Unermüdliches Material: Die raffinierten Scharniere der Muscheln

Materialermüdung tritt auch bei Geräten auf, die zwar nur gering belastet, aber häufig genutzt werden. Für einen Klappmechanismus liefert die Natur ein nachahmbares Vorbild.

Belastet ein Vorgang ein Material auch nur geringfügig, aber viele Male, können daraus resultierende kleinste Schäden den Kunststoff eines Schnappverschlusses zerreißen, Werkzeuge brechen und sogar Brücken einstürzen lassen. Solche Materialermüdung gibt es nicht nur in der Technik, sondern auch in der Natur.

Wie die Evolution solche möglicherweise tödlichen Fehler verringert, beschreibt ein Team um Li-Bo Mao von der chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik (USTC) in Hefei in der Zeitschrift „Science“. Die Gruppe hat das raffinierte Nano-System der Fluss- und Teichmuschel Cristaria plicata untersucht, das möglicherweise auch Materialermüdung bei technischem Gerät verringern könnte.

Elastische Energie

„In der Natur gibt es schließlich einen hohen Evolutionsdruck, um solche Ermüdungsschäden zu vermeiden oder zu reparieren“, erklären Rachel Crane von der University of California in Davis und Mark Denny von der Stanford-Universität im kalifornischen Stanford ebenfalls in „Science“ den biologischen Hintergrund. Muscheln öffnen ihre Schalen, um Nahrung aus dem Wasser zu filtern, klappen sie aber wieder zu, wenn Gefahr droht.

Da manche Arten hunderte von Jahren leben und ihre Schalen jeden Tag etliche Male öffnen, sind Ermüdungsschäden eine Gefahr für diese Tiere, zumal der Mechanismus über nur ein Scharnier in Form eines Halbbogens läuft, der beide Schalen einer Muschel miteinander verbindet. Schließt das Tier seine Schalen, speichert es ähnlich wie eine Sprungfeder elastische Energie in diesem Gelenk, die ohne weitere Kraft die beiden Schalen wieder aufklappt, sobald die Muskeln sich entspannen.

Muscheln halten ihre Schalen mit Muskelkraft zusammen und schützen sich so vor Austrocknen oder Fressfeinden.

© Xiang-Sen Meng, Li-Chuan Zhou, Lei Liu, Yin-Bo Zhu, Yu-Feng Meng, Dong-Chang Zheng, Bo Yang, Qi-Zhi Rao, Li-Bo Mao, Heng-An Wu, Shu-Hong Yu

Eineinhalb Millionen Mal verkraftet ein solches Scharnier diese Belastung, hat die USTC-Gruppe an der Muschel Cristaria plicata ausprobiert, die im Osten Asiens im Süßwasser lebt. „Sollte die Muschel in jeder Minute einmal auf- und zuklappen, hält sie das mehr als drei Jahre durch“, erklären Rachel Crane und Mark Denney.

Eingebettete Streben

Mit den Mitteln der modernen Materialanalyse von Röntgenbeugungsmessungen bis zur hochauflösenden Transmissionselektronenmikroskopie untersuchte das USTC-Team die Struktur des Muschel-Gelenks. Als zentrale Einheit entdeckte sie eine Struktur in Form eines Fächers, dessen Rippen aus Aragonit-Kristallen bestehen. Dabei handelt es sich im Grunde um Kalk, den die Muscheln aus dem Wasser gewinnen. Aus solchen Aragonit-Kristallen besteht auch die Muschelschale, in der die einzelnen Elemente starr miteinander verbunden sind. Im Gelenk der Muschel bilden diese Kristalle drahtartige Strukturen, die einen Durchmesser von gerade einmal 100 bis 200 Nanometern (Millionstel Millimetern) haben und die in weiches, bewegliches Gewebe eingebettet sind.

Ziehen die Muskeln die beiden Muschelschalen zusammen, ermöglicht das weiche Gewebe, dass die Nano-Aragonit-Kristalle auf der Innenseite des bogenförmigen Gelenks näher zusammenrücken, während sie sich auf der Außenseite ein wenig voneinander entfernen. Sobald die Muskeln sich entspannen, nehmen das weiche Gewebe und die eingebetteten Nanodrähte wieder ihre frühere Form an und klappen dabei die Muschelschalen wieder auf.

Da sich so die Lage der Nanostrukturen nur wenig ändert, aber kaum mechanische Kräfte auf sie wirken, gibt es kaum Materialermüdung – und das Gelenk hält ein langes Muschelleben lang. Zudem bilden sich die Aragonit-Kristalle so, dass sehr häufig zwei direkt aneinander grenzen. Eine solche Doppelstruktur ist starrer als einzelne Kristalle und verringert die Gefahr von Ermüdungsbrüchen weiter.

In einem einfachen Experiment hat die USTC-Gruppe auch getestet, ob sich solche biologischen Strukturen auf technische Anwendungen übertragen lassen. Dazu betteten sie Glasfasern in ein elastisches Kunststoff-Gewebe ein und stellten fest, dass in dieser Struktur ähnlich wie im Biomaterial kaum Ermüdungsbrüche auftraten. Solche dauerfesten Werkstoffe könnten etwa in der Elektronik oder Luftfahrt Anwendungen finden, erklärt das USTC-Team.

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