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Die Bekanntgabe am 10. August 2023 ist das zweite Ergebnis des Experiments am Fermilab und ist doppelt so genau wie das erste Ergebnis, das am 7. April 2021 bekannt gegeben wurde. Aufgrund der großen Menge an zusätzlichen Daten, die in das jüngste Ergebnis der Myon g-2 Kollaboration einfließen, ist neueste Ergebnis mehr als doppelt so genau wie das erste Resultat, das 2021 bekannt gegeben wurde.

© Ryan Postel, Fermilab

Tanz der Myonen: Der „ultimative Showdown zwischen Theorie und Experiment“ der Teilchenphysik naht

Stimmt die Theorie der Elementarteilchen mit der Realität überein? Forschende des Myon g-2 Experiments haben das Standardmodell erneut auf die Probe gestellt – und die Zweifel verstärkt.

Eine der ungewöhnlichsten Erkenntnisse der Quantenphysik ist, dass der leere Raum nicht existiert. Stellen Sie sich einen winzigen Raum vor, entfernen sämtliche Luft, Moleküle, Atome, gar die Elementarteilchen. Trotzdem ist der Raum niemals leer. Ständig und überall bilden sich Teilchenpaare und zerfallen wieder. Schuld ist die fundamentale Unschärfe, die die Quantenwelt fest im Griff hat.

Bei diesem Tanz im leeren Raum, der Vakuumfluktuation, entstehen Paare aller denkbaren Teilchen: die bereits bekannten, die im Standardmodell aufgelistet sind, aber auch die noch unbekannten. Forschende des internationalen Myon g-2 Experiments nutzen den Tanz im Vakuum, um herauszufinden, ob ihre Theorie vollständig ist, oder ob es womöglich neue Physik jenseits des Standardmodells gibt. Am Donnerstag gaben sie nun neue, präzisere Messergebnisse bekannt, die mit ihren Ergebnissen von 2021 vereinbar sind. Ihre Ergebnisse deuten auf neue Physik hin, bestätigen sie jedoch noch nicht.

Rennbahn für Myonen

Die Myon g-2 Kollaboration besteht aus fast 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 33 Einrichtungen und 7 Ländern. Im Zentrum der aktuellen Experimente steht der Teilchenbeschleuniger des Fermilab im US-amerikanischen Batavia, Illinois. Durch den Speicherring mit 14-Meter Durchmesser sausen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit sogenannte Myonen.

Myonen sind fundamentale Teilchen und eng mit den Elektronen verwandt, aber 200 Mal so schwer. Im Gegensatz zu Elektronen, den Grundbausteinen von Atomen und damit all unserer Materie, leben Myonen aber nur für den millionstel Bruchteil einer Sekunde.

Die Experimentalphysiker Martin Fertl (links) und Simon Corrodi forschen am Myonenspeicherring des Fermilab.
Die Experimentalphysiker Martin Fertl (links) und Simon Corrodi forschen am Myonenspeicherring des Fermilab.

© Martin Fertl

Wie Elektronen besitzen Myonen besondere Quanteneigenschaften, die dazu führen, dass sie sich in einem Magnetfeld wie winzige Kreisel verhalten. Ähnlich wie ein Spielzeugkreisel, der nicht senkrecht steht und langsam umkippt, rotiert die Drehachse von Myonen um das Magnetfeld: sie präzedieren. Die Geschwindigkeit der Präzession hängt von einer Größe ab, die magnetisches Moment heißt. In der Physik wird sie mit dem Buchstaben g abgekürzt und hat laut der einfachsten, quantenphysikalischen Theorie den Wert 2.

Tanz im Vakuum

Myonen werden allerdings von dem allgegenwärtigen Tanz im Vakuum beeinflusst. Wie subatomare Tanzpartner reichen die flüchtig entstehenden Teilchen den Myonen für Sekundenbruchteile „die Hand“ und verändern ihre Eigenschaften, oder, genauer gesagt: ihr magnetisches Moment.

Mithilfe des Standardmodells können Physiker:innen berechnen, wie stark g von 2 abweicht – daher der Name der g-2 Kollaboration. Sie können den Wert aber auch im Teilchenbeschleuniger messen. Falls die Berechnungen von den Messungen abweichen, ist das ein Hinweis darauf, dass das zur Berechnung verwendete Model – das Standardmodell – fehlerhaft ist.

Doppelt so genau wie 2021

Bereits 2021 veröffentlichte die Myon g-2 Forschergruppe einen experimentellen Wert für g. Am Donnerstag gab das Team nun einen neuen Wert bekannt: 2,00233184110. Der Wert unterscheidet sich von dem vor zwei Jahren nur in der zehnten Nachkommastelle. Der Fehler ist hingegen nur halb so groß. Die Physiker:innen berechneten den Wert aus Daten der ersten drei Messrunden seit 2018, aus insgesamt mehr als 40 Milliarden Myonen. Die Ergebnisse wurden zur Veröffentlichung bei der renommierten Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ eingereicht.

Der neue Wert bringt die Teilchenphysik näher an den ultimativen Showdown zwischen Theorie und Experiment. Hierauf warten wir seit über 20 Jahren.

Martin Fertl, Professor für Niederenergieteilchenphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

„Der neue Wert, den wir heute verkünden konnten, untermauert das erste Ergebnis, das wir im April 2021 bekannt gegeben haben“, sagt Martin Fertl, Professor für Niederenergieteilchenphysik am Exzellenzcluster PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Seine Gruppe ist als einzige in Deutschland mit experimentellen Beiträgen an der Myon g-2 Kollaboration beteiligt. „Er bringt die Teilchenphysik näher an den ultimativen Showdown zwischen Theorie und Experiment, der neue Teilchen oder Kräfte aufdecken könnte. Hierauf warten wir seit über 20 Jahren.“

Der experimentelle Wert weicht von der theoretischen Vorhersage der „Myon g-2 Theorie Initiative“, die diese 2020 gab, ab, wie auch schon der experimentelle Wert 2021. Dies ist ein starker Hinweis auf neue Physik jenseits des Standardmodells. Doch um dies zu bestätigen, bedarf auch die Theorie genauerer Prüfung, meint Fertl. Daran will die Initiative innerhalb der nächsten Jahre arbeiten, um endgültig beweisen zu können, dass Myonen im Vakuum mit noch unbekannten Teilchen tanzen.

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