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Vielen Studierenden sind infolge der Pandemie Einkünfte weggebrochen.

© Andrea Warnecke/dpa-tmn

Fast jeder dritte Antrag abgelehnt: Studierende beklagen Willkür bei Bewilligung von Corona-Hilfen

Rund 140.000 Anträge auf Überbrückungshilfe haben die Studentenwerke abgelehnt. Betroffene leiden offenbar dennoch häufig finanzielle Not, wie Beispiele zeigen.

Durch die Corona-Beschränkungen haben Hunderttausende Studierende ihre Jobs verloren: Cafés und Restaurants bedienen bereits länger keine Gäste mehr, Kinos haben geschlossen und auch vor Ort Nachhilfe oder Kurse zu geben, ist nicht möglich. 40 Prozent der Studierenden haben im Zuge der Pandemie auf diese und andere Weise ihre Arbeit verloren, zeigte eine Umfrage des Personaldienstleisters Zenjob vom zurückliegenden Sommer.

Um die finanzielle Notlage der Studierenden zu mildern, gibt es seit vergangenem Juni eine sogenannte Überbrückungshilfe, verantwortet vom Bundesbildungsministerium unter der CDU-Politikerin Anja Karliczek. Pro Monat können Studierende „je nach nachgewiesener Bedürftigkeit“ zwischen 100 und 500 Euro als Zuschuss erhalten, wie es auf dem Online-Portal der Überbrückungshilfen heißt.

Für die Monate zwischen November und März konnte jeweils ein gesonderter Antrag auf die Nothilfen gestellt werden. Ein Blick in die Statistik des Bundesbildungsministeriums zeigt: Seit Beginn der Überbrückungshilfen im Juni bis zum Februar 2021 haben die Studierendenwerke rund 140.000 Anträge abgelehnt oder nicht zugesagt – das ist fast jeder dritte gestellte Antrag.

Eine aktuelle Sammlung von Fallbeispielen des Dachverbands „freier zusammenschluss von student*innenschaften“ macht deutlich, dass unter diesen rund 140.000 abgelehnten Anträgen offenbar notleidende Studierenden keine Überbrückungshilfen bekommen. Die Ablehnungsgründe reichen den Fallbeispielen zufolge von familiärer Unterstützung zu fehlenden aktuellen Bewerbungen bis zur Mitanrechnung von Geld, auf das Antragsteller:innen nach eigenen Angaben keinen Zugriff haben.

„Ich hatte einen als Darlehen gekennzeichneten Zahlungseingang“, heißt es in einem Fallbeispiel, bei dem das Kölner Studierendenwerk den Antrag bearbeitete. „Meine Mutter hat mir Geld geliehen, damit meine Miete abgebucht werden konnte – und damit [hatte ich] zu hohe ‚Einnahmen‘.“

Familiäre Unterstützung führte offenbar zur Ablehnung

In einem Fallbeispiel der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen heißt es: „Mein Antrag wurde abgelehnt, weil ich Anfang des Monats Januar mein letztes gespartes Geld eingezahlt habe, damit ich meine Autoversicherung und meine Studiengebühren zahlen konnte.“ Bei Antragstellung sei der Kontostand sehr niedrig gewesen.

Zwei Studentinnen mit Mund-Nasen-Schutz sitzen in einem Hörsaal der Universität Zürich (UZH).

© Alexandra Wey/KEYSTONE/dpa

Aus Bremen berichtet ein namentlich unbekannter Studierender in den Fallbeispielen: „Sowohl im Januar als auch im Februar wurde mein Antrag auf Überbrückungshilfe abgelehnt. Scheinbar ist [es] keine Notlage, wenn man von seiner Großmutter 100 Euro der Rente für Essen und Trinken bekommt.“ Laufende Rechnung wie Strom und Rundfunkgebühren würden von den Eltern übernommen, da die betroffene Person „sonst noch oben drauf in die Schuldenfalle getrieben“ worden wäre.

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Aus Frankfurt heißt es in einem Fallbespiel, der Antrag sei wegen einem fehlenden Nachweis über erfolglose Bewerbungen abgelehnt worden. „Dabei habe ich erläutert und anhand aktueller Abrechnungen gezeigt, dass ich in einem Beschäftigungsverhältnis in der Gastronomie stehe, aber durch die vorübergehende Schließung nicht arbeiten kann. Habe kein Geld für den Rest des Monats.“

Mehr Klagen von notleidenden Studierenden

Bereits im vergangenen Pandemiejahr häuften sich Klagen über abgelehnte Anträge auf Überbrückungshilfe von offenbar notleidenden Studierenden. Für das kommende Sommersemester hat das Bundesbildungsministerium die Überbrückungshilfen in Höhe von maximal 500 Euro pro beantragtem Monat verlängert.

Carlotta Kühnemann, Vorstandsmitglied im „freien Zusammenschluss der student*innenschaften“ (fzs), schreibt auf Anfrage in einer Mail: „Täglich spreche mit verzweifelten Studierenden, die eine Ablehnung bei der Überbrückungshilfe erhalten haben und nicht mehr weiterwissen. Sie fühlen sich allein und von der Politik vergessen.“ Einer der häufigsten Ablehnungsgründe sei die nicht nachgewiesende pandemiebedingte Notlage.

Die Anträge auf Überbrückungshilfe für Studierende lassen sich über ein Online-Portal stellen.

© picture alliance/dpa

Mittlerweile müssten Studierende nachweisen, dass sie durch die Folgen der zweiten und nicht der ersten Coronawelle ihren Nebenjob verloren haben. „Eine Situation, die vollkommen absurd ist, da die meisten bereits vor einem Jahr oder im November gekündigt wurden“, sagt die 25-jährige Studentin der Wirtschaftssoziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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„Abgesehen davon, dass allen in einer Notlage geholfen werden sollte, ist die Diffenzierung von pandemie- und nicht pandemiebedingt nach einem Jahr nicht mehr nachvollziehbar“, findet Kühnemann. Es brauche dringend eine Änderung der Richtlinien zur Überbrückungshilfe und eine grundlegende Reform im Bundesausbildungsförderungsgesetz (kurz: BAföG). „Allen, die auf Unterstützung angewiesen sind, muss der Zugang zu Bildung unabhängig von sozioökonomischen Ressourcen gesichert werden.

Frist für Nachbesserungen verstrichen

Das Bundesbildungsministerium weist den Vorwurf bei der Willkür zurück: „Die 57 Studierendenwerke prüfen und bearbeiten die Anträge eigenständig. Sie tun dies mit großem Erfolg und haben seit dem Start im Juni 2020 fast 280.000 Anträge zugesagt“, antwortet eine Sprecherin des Ministeriums in einer Mail auf Anfrage.

Aus Datenschutzgründen habe das Bildungsministerium keinen Zugriff auf einzelne Anträge „und kann daher keine Einzelfälle beurteilen“. Bei der Hälfte der abschließend entschiedenen Fälle hätten Studierende um Nachbesserung gebeten. Allerdings sei „bei rund einem Viertel aller bisherigen, nicht zugesagten Anträge die Frist für Nachbesserungen ergebnislos verstrichen.“

In Pandemiezeiten legen Studierende ihre Klausuren teilweise in Messehallen wie hier in Köln ab.

© Federico Gambarini/dpa

Zur bisherige Handhabe der Ansprüche auf Überbrückungshilfe schreibt das Bundesbildungsministerium: „Da der Zuschuss aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird und nicht zurückgezahlt werden muss, muss belegt werden, dass die Notlage pandemiebedingt entstanden ist.“

Zahl der Anträge gesunken, dafür mehr Zusagen

Die Zahl der Anträge auf Überbrückungshilfen ist von mehr als 80.000 im Juni 2020 auf rund 48.000 im Februar 2021 gesunken, wie aus den Zahlen des Bundesbildungsministeriums hervorgeht. Gleichzeitig ist der Anteil der bewilligten Anträge von 54 Prozent im Juni auf 76 Prozent im Februar 2021 gestiegen.

Die Höhe der gezahlten Überbrückungshilfen richtet sich nach dem Kontostand der antragstellenden Studierenden. „Entscheidend ist der Kontostand am Vortag der Antragstellung“, heißt es auf der Webseite der Studentenwerke. Hat ein Antragsteller weniger als 100 Euro auf dem Konto, können bei Bewilligung 500 Euro Überbrückungshilfe fließen.

Die geringste Auszahlungsstufe beträgt 100 Euro und fließt bei Bewilligung, wenn der Kontostand zwischen 400 Euro und 499,99 Euro beträgt. Bei 500 Euro und mehr auf dem Kontostand sind keine Nothilfen seitens des Bundesbildungsministeriums vorgesehen.

Neben den Zuschüssen bewirbt das Bundesbildungsministerium als Überbrückungshilfe auch die Möglichkeit für einen zinsbefreiten Studienkredit der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

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