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Zurück ins Leben. Bei Schlaganfallpatienten sind oft bestimmte Bewegungsabläufe, aber auch die Fähigkeit zu sprechen gestört. Therapeuten versuchen, diese Fertigkeiten zurückzugewinnen. Eine Stimulation des Gehirns mit Gleichstrom könnte ebenfalls helfen.

© imago/UIG

Nach dem Schlaganfall: Stimulation des Gehirns soll bei Sprachstörungen helfen

Wen "der Schlag" trifft, der leidet danach oft unter Sprach- und Bewegungsstörungen. Die Stimulation des Gehirns mit Gleichstrom könnte helfen, die Sprachfähigkeit zu verbessern.

Mit dem überraschenden Tod des Jazzmusikers Roger Cicero in der vergangenen Woche gelangte das Thema Schlaganfall wieder ins öffentliche Bewusstsein. Gerade 45 Jahre alt ist Cicero geworden – ein Hirnschlag kann auch Jüngere treffen. Dennoch gibt es auch hoffnungsvolle Nachrichten: Weil Risikofaktoren wie zu hoher Blutdruck, Herzrhythmusstörungen oder Typ-2-Diabetes heute häufiger früh erkannt und effektiv behandelt werden, bleiben viele, die eigentlich besonders gefährdet sind, heute vom gefürchteten „Schlag“ verschont. Und wen es dennoch trifft, der stirbt seltener daran, weil auch die Therapie in den letzten Jahrzehnten effektiver geworden ist. Das belegten jüngst erst wieder die Daten der American Heart Association.

Was sie aber auch zeigen: Neben Krebs und Herzinfarkt ist der Schlaganfall nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen. Und es wächst die Zahl der Menschen, bei denen vom Verschluss eines Blutgefäßes oder einer Blutung im Gehirn für längere Zeit oder sogar für immer „etwas zurückbleibt“. Die sich nicht mehr so bewegen können wie vorher, deren räumliche Orientierung gelitten hat, die im täglichen Leben Hilfe brauchen, die der Sprache nicht mehr mächtig sind. Schlaganfälle sind deshalb bei Erwachsenen heute die führende Ursache für dauerhafte Behinderungen. Reha-Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte versuchen den Betroffenen zu helfen, oft in vorbildlicher Kooperation. Angesichts des individuellen Leids sind neue, zusätzliche Wege aber höchst willkommen.

Bereits nach acht Tagen konnten sie Objekte besser benennen

Die nicht invasive Stimulation des Gehirns mit Gleichstrom könnte einer dieser Wege sein. Dass sie bei Bewegungseinschränkungen helfen kann, belegen bereits einige kleinere Studien, eine Untersuchung mit einer größeren Patientenzahl läuft. Nun macht eine Untersuchung im Fachblatt „Brain“ aber auch Hoffnung auf eine Wirkung bei Sprachstörungen.

Agnes Flöel, Neurologin an der Charité Berlin, und Marcus Meinzer, Psychologe an der Universität Queensland, wandten die transkranielle Gleichstromstimulation (transcranial direct current stimulation, tDCS) bei Patienten mit Sprachstörungen (medizinisch: Aphasie) an. Für die Untersuchung wurden die Köpfe von 26 Patienten, die nach einem Schlaganfall schon längere Zeit unter einer Aphasie litten, acht Tage lang für jeweils zwei mal 20 Minuten mit Elektroden versehen. Die Hälfte der Studienteilnehmer bekam in dieser Zeit die tDCS, die andere zu Vergleichszwecken nur eine Scheinbehandlung. Die war allerdings besonders ausgefeilt und imitierte sogar das anfängliche leichte Kribbeln unter den Elektroden. Wer zu welcher Gruppe gehörte, wussten deshalb weder Patienten noch Untersucher.

Was alle bekamen, war allerdings ein gezieltes Sprachtraining, in dem das Benennen von Objekten geübt wurde, und zwar an jedem Tag für zweimal anderthalb Stunden. Dadurch machten alle Teilnehmer erwartungsgemäß Fortschritte. Von Sitzung zu Sitzung sei aber der Vorsprung der Teilnehmer, die die echte Stimulation bekommen hatten, beim Benennen von gezeigten Objekten und der Übertragung auf Alltagssituationen gewachsen, berichtet Flöel. „Nach acht Tagen war der Unterschied schon recht groß.“ Bemerkenswert sei, dass er sich auch ein halbes Jahr nach der Behandlung noch erkennen ließ, hebt die Neurologin hervor. Die Fortschritte wirkten sich zudem auf Alltagssituationen wie die Auswahl der Brötchen beim Bäcker und das Gespräch mit dem Arzt aus, und sie wurden von den Angehörigen bestätigt.

Durch die "Hintertür" zum Sprachzentrum

Pluspunkte der kleinen Studie sind auf jeden Fall darin zu sehen, dass sie einen echten Vergleich mit der „Placebo“-Stimulation erlaubt und dass sie auch nach dem Langzeiterfolg gefragt hat. Spannend ist aber auch, dass die Neurologen für die Stimulation den primären motorischen Cortex der linken Hirnhälfte ansteuerten. Sie näherten sich dem – in der Nähe gelegenen und auch entwicklungsgeschichtlich nahestehenden – Sprachzentrum also quasi „durch die Hintertür“, über einen Bereich, der für Bewegung zuständig ist. In der Hoffnung, dass es sich auch auf das Wiederfinden von Wörtern und sprachlichen Strukturen auswirkt, wenn diesem Areal ein Anstoß gegeben und damit die Weiterleitung von Informationen verändert wird, ersparten sich die Mediziner aufwendige Bildgebung mit dem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) auf der Suche nach einem gezielteren Ansatzpunkt. „Wir hoffen damit einen Weg gefunden zu haben, der in Zukunft im Alltag praktikabel sein könnte“, sagt Flöel. Beim jüngsten Fachkongress der Neurologen bezeichnete Präsident Alfons Schnitzler von der Universität Düsseldorf ihre Studie als einen „Meilenstein“, was den Einsatz der nicht invasiven Stimulation von Hirnarealen beim Schlaganfall betrifft.

Ob aus dem hoffnungsvollen Weg, der bereits bei der Behandlung besonderer Formen von Epilepsie, bei Schmerzen, im Einzelfall auch bei Depressionen und in einer weiteren Charité-Studie bei Gedächtnisstörungen im Alter eingeschlagen wird, wirklich ein gangbarer Behandlungsweg für Aphasien nach Schlaganfall werden kann, müssen allerdings größere Studien zeigen. Eine Untersuchung mit 150 bis 200 Teilnehmern aus mehreren Kliniken planen Flöel und Meinzer bereits.

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