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Anschaulich. Durch intensiven Kontakt zur neuen Sprache wird intuitiv gelernt.

© dpa

Sprachen lernen mit der Immersionsmethode: Hoppla, I speak English

Ab ins Sprachbad: Mit der Immersionsmethode sollen alle Kinder Sprachen beiläufig lernen – ohne Vokabel-Stress.

Etepetete, fremdschämen, überfragt sein und Gemütlichkeit. Das sind die liebsten deutschen Vokabeln der US-Amerikanerin Helena Curtain. Sie transportieren starke Bedeutungen, die sich nur schwer ins Englische übersetzen lassen. Sprachreichtum, den sich kleine amerikanische Kinder noch mühelos aneignen können – je früher, desto besser. Aber halt: Ist das hier etwa die alte Leier davon, dass Erstklässler noch mehr Englisch- und Chinesischvokabeln pauken sollen? Eben nicht, sagt Curtain: Sie glaubt, dass alle Kinder Sprachen intuitiv lernen sollten. Und zwar ohne es auch nur zu merken.

Curtain, eine kleine, gut gelaunte Frau im roten Blazer, ist Expertin für bilinguale Erziehung. Sie entwickelt Sprachlehrprogramme für Schulen, schreibt Bücher über Zweisprachigkeit. In Berlin, an der englisch-deutschen Phorms Grundschule in Zehlendorf, hat sie jetzt erklärt, was bilinguales Lernen für Kinder bedeutet.

„Versetze Kinder in echte Situationen, in denen sie die Sprache wirklich brauchen, und sie lernen automatisch“, doziert Curtain. „Immersion“ heißt die Methode, an die sie glaubt. „Sprachbad“ auf Deutsch. Das Konzept: Die Kinder werden ins kalte Wasser der neuen Sprache geworfen. Im Kindergarten wird auf Englisch gespielt, in der Grundschule sind alle Fächer auf Englisch, außer dem Fach Deutsch. Das Verblüffende: Nach sechs Wochen in der Kita können Kinder die muttersprachlichen Erzieher verstehen. In der Grundschule können sie die Sprache schon gut sprechen. Zwar sind sie zunächst ein bisschen schlechter in Fächern wie Geschichte und Mathe. Doch etwa ab Klasse 7 überflügeln sie ihre einsprachigen Altersgenossen in allen Fächern, einschließlich ihrer eigenen Muttersprache.

Warum ist das so? Und warum bleibt die Muttersprache nicht auf der Strecke, wenn Kinder diese in der Schule kaum sprechen? „Das ist ein Mythos“, sagt Curtain. „Bei Kindern unter zehn unterstützt die neue Sprache das Gefühl für die Muttersprache und umgekehrt.“ Tatsächlich belegen Studien, dass bilinguale Kinder flexibler denken und ein besseres Sprachgefühl haben. Die Universität Edinburgh und das Nizam’s Institute of Medical Sciences im indischen Hyderabad wollen sogar herausgefunden haben, dass Menschen, die eine zweite Sprache sprechen, bis zu fünf Jahre länger vor Altersdemenz geschützt sind. Zwei Sprachen stimulieren offenbar das Hirn mehr als eine. „Und nicht nur, wenn die Eltern das Kind zweisprachig erziehen – auch die Schule kann das leisten“, sagt Curtain.

Einzige Voraussetzung dafür: Eine der Sprachen muss die Rolle der Muttersprache übernehmen. Die Kinder müssen diese fehlerfrei und häufig hören, vor allem im Elternhaus. Dann bildet die Muttersprache die Säule, an der sich auch die andere Sprache aufrichtet. Bei den Geschichten von dreisprachigen Erwachsenen, die keine einzige ihrer Sprachen perfekt können, hat es vielleicht daran gehapert, dass keine dieser Sprachen in ihrem Alltag fehlerfrei zu hören war.

Sollen also schlecht Deutsch sprechende türkische Kinder lieber Türkischstunden bekommen als Deutsch-Nachhilfe? Und verpflichtender Kitabesuch für alle Kinder, statt Betreuungsgeld? Da ist auch Curtain „überfragt“. Ja, vielleicht könnten solche Maßnahmen tatsächlich das Sprachgefühl stärken. Fest steht für sie: „In den Klassenzimmern werden die Erkenntnisse über Immersion oft ignoriert, in Deutschland wie Amerika“, sagt Curtain. „Im Englischunterricht wird auf Deutsch über Englisch gesprochen, zweimal die Woche. Und die Gehirne der Kinder sagen: Das brauche ich nicht, dem werde ich zu selten ausgesetzt.“

Doch so leicht und erfolgreich das Lernen durch Immersion für die Schüler sein mag – für Lehrer bedeutet der Unterricht doppelte Arbeit. Zusammenhänge müssen viel anschaulicher erklärt, Lehrmaterial ganz neu erfunden werden. Im Idealfall sind auch noch alle Lehrer Muttersprachler. Das Immersionsprinzip ist deswegen kaum flächendeckend für alle Schulen zu verwirklichen. Die Rolle der Eltern immerhin wird mit dem Konzept leichter. Curtain rät: „Machen Sie, was Sie wollen – aber lernen Sie auf keinen Fall mit Ihrem Kind Vokabeln!“

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