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Ein Blaukinn-Smaragdkolibri bestäubt Blüten am Caquetá-Fluss im kolumbianischen Nationalpark Cahuinarí.

© Daniel Rosengren/FZS

30 Prozent Schutzgebiete auf der Erde: So viel Naturschutz braucht der Mensch

Dutzende Regierungen wollen 30 Prozent des Planeten unter Schutz stellen. Ein Umweltforscher bezweifelt, dass diese Maßnahme das Artensterben abwenden könnte.

Wie lässt sich das weltweite Artensterben aufhalten? Die Politik will eine erste Antwort gefunden haben: Knapp ein Drittel des Planeten, Land und Meer, soll bis 2030 unter Schutz gestellt und so die Lebensgrundlagen erhalten werden. Diese radikal klingende Forderung unterstützen nun 50 Staaten, darunter auch Deutschland. 

Auf dem Pariser Umweltgipfel „One Planet Summit“ Mitte Januar sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Blick auf die Maßnahme: „Wenn Menschen jetzt nicht handeln, um das Artensterben aufzuhalten, wird der Schaden unumkehrbar sein.“

Dass es genug Nahrung, saubere Luft und Medikamente auf der Welt gibt, verdanken Menschen auch der Vielfalt von Millionen Tier- und Pflanzenarten. Anders gesagt: Verschwindet dieser biologische Reichtum, kann der Mensch zum Beispiel bei zunehmenden Dürren nicht mehr auf trockenresistente Pflanzen für die Ernte zurückgreifen oder das Obst und Gemüse wird knapper, weil immer weniger Insekten Blüten bestäuben.

Bislang sind etwa 15 Prozent der Landflächen wie Wälder oder Moore unter Schutz gestellt, wie aus den Zahlen des Weltbiodiversitätsrates hervorgeht. Würde sich der Rest der Weltgemeinschaft hinter die Forderung stellen, müsste diese Fläche also auf das Doppelte ihrer bisherigen Größe anwachsen. Doch können 30 Prozent Schutzgebiete an Land und im Meer die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich vor dem ökologischen Kollaps bewahren?

„Mehr Schutzgebiete sind ein Schritt in die richtige Richtung, um das Artensterben zu aufzuhalten“, sagt der französische Umweltforscher David Leclère dem Tagesspiegel . „Dies kann dazu beitragen, die Zerstörung wertvoller Lebensräume zu verhindern.“ Neben dem Klimawandel ist diese Zerstörung einer der Hauptgründe für das Artensterben. 

Umweltforscher sieht Moore und Wälder als Klimaschützer

Der Wissenschaftler sagt aber auch: „Es braucht weit mehr als 30 Prozent Schutzgebiete auf der Welt, um das Artensterben zu stoppen. Und wir müssen der Natur mit Wiederaufforstungen und Vernässungen helfen, damit genügend CO2-speichernde Wälder und Moore den Klimawandel bekämpfen können.“

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Eine Wildbiene fliegt in einem Gewächshaus der Heidelberger Stadtgärtnerei.
Eine Wildbiene fliegt in einem Gewächshaus der Heidelberger Stadtgärtnerei.

© Foto: Uwe Anspach/dpa

Unter welchen Umständen mehr Naturschutzgebiete das Ruder rumreißen können, hat Leclère anhand unterschiedlicher Szenarien berechnet. Im vergangenen Jahr hat der Forscher sich dafür zusammen mit einem Wissenschaftsteam den Zustand der Natur an Land angeschaut. Zeigt die Kurve in diesen Szenarien nach unten, sterben immer mehr Tier- und Pflanzenarten. 

Zeigt sie nach oben, nimmt die Artenvielfalt zu. Mit welchen Maßnahmen die Menschheit diese Kurve wieder nach oben „biegen“ kann, war das Thema ihrer im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie. In den Szenarien, wo die Menschheit das Artensterben langfristig abwendet, setzen Leclères Berechnungen gleich mehrere Bedingungen voraus: Eine Ernährung auf mehr pflanzlicher Basis, weniger Lebensmittelverschwendung, nachhaltige Landwirtschaft – und 40 Prozent Schutzgebiete an Land, zusammen mit der Wiederherstellung von Lebensräumen wie Wäldern und Mooren.

Ärmere Länder benötigen Geld für Naturschutz 

„Viele Reservate heutzutage können bisher wenig gegen das Artensterben ausrichten, weil Sie entweder falsch bewirtschaftet oder nicht besonders ökologisch wertvoll sind." Uneinig sind sich Ökolog:innen bei der Frage nach dem ‚richtigen‘ Naturschutz: Reicht es, einfach nur einen grünen Fleck einzäunen und die „Natur in Ruhe zu lassen“? 

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Bodenbrütende Vögel wie Kiebitze brauchen zum Beispiel Graslandschaften, die hauptsächlich durch weidende Kühe oder andere Nutztiere geschaffen werden. Um Vogelarten wie Kiebitze zu erhalten, müsste der Mensch also auch in Naturschutzgebieten stellenweise als umsichtiger Landwirt auftreten.

Leclère mahnt jedoch: „Gerade die ärmeren Länder brauchen mehr Geld, um Schutzgebiete einzurichten.“ Außerdem müsste die Weltgemeinschaft die Rechte und die Rolle der indigenen Völker in wertvollen Lebensräumen wie im Amazonas anerkennen – diese betreiben nämlich laut Leclére wirksamen und nachhaltigen Naturschutz. 

Monokulturen wie große Maisfelder sind ein Problem für die Artenvielfalt.
Monokulturen wie große Maisfelder sind ein Problem für die Artenvielfalt.

© Jan-Philipp Strobel/dpa

Darüber hinaus müssen sich Politiker laut Leclère den Fragen der Landschaftsplanung stellen: Wo sollen Schutzgebiete errichtet und wo Lebensräume wiederhergestellt werden? Wo sollen Landwirte weiter Mais anbauen dürfen? Am ehesten sinnvoll ist es laut Leclère, die artenreichsten Lebensräume zu schützen und den Rest bei Bedarf für nachhaltig wirtschaftende Landwirt:innen freizugeben. „Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass die Nahrungsmittelpreise wegen Flächenknappheit steigen und Menschen in Zukunft deshalb Hunger leiden müssen.“

In weniger als zehn Jahren müsste sich die geschützte Fläche verdoppeln

Für viele Naturschützer:innen ist die Forderung nach 30 Prozent der Erde als Schutzgebiet nur ein Zwischenschritt zu noch mehr Reservaten. Dass bereits dieser Schritt eine gewaltige Anstrengung bedeuten würde, sieht auch Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt: „Der erste offizielle Nationalpark ist der Yellowstone-Nationalpark in den USA, der vor knapp 150 Jahren gegründet wurde.“ 

In diesem Zeitraum habe die Menschheit 15 Prozent der Flächen an Land unter Schutz gestellt. „Jetzt haben wir weniger als zehn Jahre Zeit, um die Fläche der Schutzgebiete auf 30 Prozent zu verdoppeln. Das ist sehr ambitioniert, aber unbedingt nötig“, so Naturschützer Schenck. 

30 Prozent der Erde als Schutzgebiet sind laut dem Biologen allerdings ein sehr pauschaler Wert. Es sei entscheidend, wo diese Gebiete liegen. „Es bringt wenig, Schutzgebiete in riesigen Wüsten oder an den Polen herzurichten. Viel wichtiger sind die tropischen Regenwälder, weil dort die größte biologische Vielfalt zu finden ist.“ In Mitteleuropa seien 30 Prozent Schutzgebiete anders als in Südamerika oder Afrika nicht realistisch, denn dafür gebe es schlicht nicht genug Platz. 

Amazonas-Regenwald steht unter Druck

Nach Daten des Bundesamts für Naturschutz lag der Anteil der Schutzgebiete an der Gesamtfläche Deutschlands bei 4,4 Prozent im Jahr 2016. „Deswegen müssen wir als besonders wohlhabendes Land Geld in die Hand nehmen und dazu beitragen, anderswo auf der Erde Schutzgebiete zu schaffen“, fordert Schenck.

Rauch steigt über einem brennenden Teil des brasilianischen Amazonas-Regenwald auf. 
Rauch steigt über einem brennenden Teil des brasilianischen Amazonas-Regenwald auf. 

© REUTERS/Bruno Kelly

Ähnlich wie beim Klimaschutz sei Artenschutz ein globales Problem, das am Ende jedoch von nationalen Regierungen wie in Brasilien abhänge. Diese lässt es laut Schenck zu, dass der Amazonas-Regenwald massiv abgeholzt wird. „Ein so entscheidendes Ökosystem wie der Amazonas-Regenwald sollte deshalb nicht weiter in der Obhut einzelner Staaten sein, sondern unter der der Weltgemeinschaft.“ 

Andernfalls fürchtet Schenck, dass der Regenwald langfristig kollabiert und austrocknet – „und wenn das passiert, wird sich unsere Erde fundamental zum Schlechten verändern, denn der Regenwald speichert Unmengen an CO2 und stabilisiert unser Klima.“

In den vergangenen zehn Jahren hat die Weltgemeinschaft jedes ihrer 20 Ziele für den Natur- und Artenschutz verfehlt, wie die Vereinten Nationen im zurückliegenden Jahr feststellen mussten: Der Mensch rodet demnach immer noch zu viele Wälder, verwüstet Böden mit zu viel Dünger und Pestiziden und überfischt die Meere. 

Wie die Menschheit in diesem Jahrzehnt die Natur schützen will, wollen 196 Staaten im Mai auf der Weltbiodiversitätskonferenz im chinesischen Kunming beschließen. Ob dabei auch der Wille zu 30 Prozent der Erde als Schutzgebiet erkennbar sein wird, bleibt offen.  

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