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Auf Amager Bakke werden keine Olympiasieger produziert werden. Die Abfahrten spielen angesichts all der Abfälle ohnehin nur eine Nebenrolle.

© PR/Rasmus Hjortshoj

Skipiste auf Verbrennungsanlage: Abfahrten auf dem höchsten Müllberg Dänemarks

Ob man auf brennendem Abfall klimaschonend Ski fahren kann, fragt man sich nicht jeden Tag. Eine Antwort gibt es trotzdem – auf dem „CopenHill“ in Kopenhagen.

Skifahren in Dänemark? Abgesehen von ein bisschen loipenlosem Langlauf, wenn es alle paar Jahre mal schneit, wird daraus meist nichts. Denn neben dem Schnee fehlen – außer ein paar wenigen Hügeln – auch die entsprechenden Erhebungen in der Landschaft. Zumindest ein bisschen ändert sich das jetzt allerdings.

Denn in der Hauptstadt Kopenhagen, genauer an deren nordöstlichem Rand, steht jetzt eine Skipiste zur Verfügung. Sie ist 490 Meter lang, mit einem Höhenunterschied von 85 Metern. Nicht viel, aber immerhin. Und: Die Piste, mit grünen Kunststoffmatten aus biegsamen Borsten belegt, ist ganzjährig befahrbar.

„CopenHill“ ist der modisch anglisierte Name für ein Bauwerk, das auf seinen schrägen Dächern diese U-förmig verlaufende Piste trägt. Der offizielle dänische Name lautet „Amager Bakke“, also „Hügel von Amager“. Das Skivergnügen ist aber nur eine Dreingabe für Sportbegeisterte. Die eigentliche Funktion des Bauwerks ist, Müll zu verbrennen. Amager Bakke ist ein mit dem Abfall der Großstadt betriebenes Elektro- und Heizkraftwerk.

Das Prinzip ist simpel, die der Funktion folgende Form wäre es in Regel ebenfalls: Am Anfang eines linear aufgebauten Prozesses steht die Müllanlieferung, dann folgen die Speicherung und Beschickung der Verbrennungsanlage. Diese erhitzt Wasser und erzeugt Dampf, der Turbinen zur Stromerzeugung antreibt und Flüssigkeit für die Fernheizung erwärmt. Am Ende stehen Rauchreinigung sowie Schornsteine für Rauch und Wasserdampf.

"CopenHill", eine Müllverbrennungsanlage als städtisches Wahrzeichen

Müllverbrennungsanlagen an sich sind nichts Neues: In Hamburg ging die erste Anlage in Deutschland bereits 1896 in Betrieb. Schon sie nutzte die entstehende Wärmeenergie, allerdings nur für den eigenen Betrieb. Derartige Anlagen im großen Maßstab gibt es allerdings auch in Deutschland erst, seit die Entsorgung von normalem Müll auf Deponien gesetzlich fast komplett verboten ist.

Den linearen Aufbau, der gewöhnlich in einer gesichtslosen Halle verpackt wird, hat das dänische Architekturbüro Bjarke Ingels Group (BIG) in ein städtisches Wahrzeichen verwandelt. Entworfen haben die derzeit weltweit regelrecht gehypten Architekten von BIG eine Dreiecksform. Sie ähnelt einem auf eine der kürzeren Seiten gestellten, rechtwinkligen Zeichendreieck, bei dem die Hypotenuse als Schräge bis zur Gebäudespitze ansteigt, von der eine senkrechte, 90 Meter hohe Wand abfällt.

Auf dieser Schräge und nach einer 180-Grad-Kurve auch noch seitlich am Gebäude entlang führt die Skipiste, während sich hinter der senkrechten Wand Aufzüge vom Boden bis zur Spitze verbergen, um die Skibegeisterten in kürzester Zeit nach oben zu bringen. Außerdem befinden sich auf dieser Seite des Bauwerks Büros und Konferenzräume für die Verwaltung des Kraftwerks. Als markantes Zeichen ragt ein mächtiger Schornstein aus der Wand und überragt weithin sichtbar das Bauwerk.

Kopenhagen will die Recyclingquote auf 70 Prozent anheben

Kopenhagen hat sich in Sachen Klimapolitik ehrgeizige Ziele gesetzt. Bis 2025 will die Stadt CO2-neutral sein. Dass sie zudem die Recyclingquote auf 70 Prozent anheben will, lässt das Kraftwerk eher als Brückentechnologie für die verbleibenden 30 Prozent erscheinen.

Kopenhagen - hier der Nyhavn - will bis 2025 klimaneutral sein.
Kopenhagen - hier der Nyhavn - will bis 2025 klimaneutral sein.

© picture alliance / dpa/Lars Halbauer

Die Fahrt mit dem Aufzug zur Gebäudespitze ist nicht anders als in irgendeinem Hochhaus. Aber dann tritt man ins Freie, an den Anfang der Skipiste, und wird eines Skiliftes gewahr, der die Könner, die sich von ganz oben trauen, heraufziehen soll. Die mit Silikongel präparierte Kunststoffpiste ist rutschig! An ihr entlang führt eine schier endlos scheinende Treppe abwärts, für diejenigen, die sich keine Ski unterschnallen. Tatsächlich ist Amager Bakkes Außenbereich auch nicht rein als Skigebiet gestaltet, sondern auch für Spaziergänge und dergleichen.

Das eigentliche Erlebnis ist aber das Innere des Gebäudes. Hinter Tür und Klimaschleuse tut sich ein ingenieurtechnisches Wunderwerk auf. Stahlstreben in alle Richtungen, zwischen denen Rauchgasreiniger, Turbinen und Öfen als stählerne Gebilde sichtbar werden. Und Stege, mit Gitterrosten belegt, die durch sie hindurchführen. Auf diese Weise von Absatz zu Absatz und in Gegenrichtung zum technischen Ablauf der Müllverbrennung, kommt der Besucher, angetan mit Helm und Warnweste, in den Steuerraum der Müllverarbeitung.

Die seitliche Anlieferung durch Müllfahrzeuge führt in einen Silo hinein, in dem zwei, aus dem verglasten Steuerraum per Joystick weniger geführte als allenfalls korrigierte Greifarme den Müll gleichmäßig aufhäufeln und den beiden Öfen zuführen. In die kann man an anderer Stelle durch ein kleines Sichtfenster hineinblicken – und die Temperatur von um die 1000 Grad zum Glück nur erahnen. Dort verbrennt der gesamte Hausmüll bis auf etwa 15 Prozent Restschlacke.

Bis zu 300 Müllfahrzeuge kommen täglich nach Amager Bakke

Im Inneren des gewaltigen Kraftwerkgebäudes ist es beinahe still. Man meint, das Geräusch des unentwegten Feuers als leises Summen zu hören. Oder sind es die Turbinen? Dann geht es durch eine weitere Tür auf eine Galerie hoch oben in der Vorhalle, in der die unterschiedlichsten Müllfahrzeuge ankommen und ihre Fracht in schräge Rutschen kippen, in den Silo hinein, wo die erwähnten Greifer die Müllmasse in Empfang nehmen.

Täglich kommen bis zu 300 Müllfahrzeuge nach Amager Bakke und entleeren ihre meist schon komprimierte Fracht in den Müllsilo, der auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern und bei 36 Meter Höhe bis zu 22.000 Tonnen Müll aufnehmen kann. Insgesamt werden in CopenHill jährlich 440.000 Tonnen Abfall verwertet. Die Greifbagger sorgen für eine gleichmäßige Durchmischung des Mülls. Der Silo steht unter leichtem Unterdruck, damit kein Gestank entweichen kann.

Jährlich werden in dem Kraftwerk 440.000 Tonnen Müll verwertet.
Jährlich werden in dem Kraftwerk 440.000 Tonnen Müll verwertet.

© Bernhard Schulz

Die Abluft wird den Öfen zugeführt. Die beiden bauartgleichen Öfen verarbeiten zwischen 25 und 35 Tonnen Müll pro Stunde. Der Boden eines Ofens wird durch einen leicht abwärts geneigten, stählernen Rost gebildet, durch den die unverbrennbare Schlacke in Krümeln oder Brocken hindurchfällt. Sie wird gesondert abgeführt, während darüber die komprimierte Müllmasse auf ihrem Weg über das abschüssige Rost nach und nach bei möglichst konstanter Temperatur verbrannt wird. Am Ende des Stahlrosts ist dem Müll weitgehend alle Energie entzogen. In der Schlacke bleiben noch diverse Metalle zurück, die anderenorts herausgelöst und wenn möglich neuer Nutzung zugeführt werden.

Das Rauchgas der Verbrennung wird vollständig gereinigt

Im anschließenden Dampfkessel wird die Hitze zum Verdampfen von Wasser genutzt. Der Dampf steht unter einem Druck von 70 bar und erreicht so eine Temperatur von 440 Grad. Er treibt, während er sich ausdehnt und thermische sich in kinetische Energie wandelt, eine Turbine an. Die elektrische Leistung beträgt bis zu 63 Megawatt. Damit nicht genug, wird der immer noch sehr heiße Wasserdampf im anschließenden Wärmetauscher genutzt, um das Wasser des Fernwärmenetzes zu erwärmen. Je nach Bedarf kann der Heißdampf stärker zum Antrieb der Turbinen oder stärker zur Erzeugung von Fernwärme gelenkt werden. Glaubt man den Betreibern, versteht es sich von selbst, dass das Rauchgas der Verbrennung vollständig gereinigt wird, bevor es über jenen Schlot in die Atmosphäre entweichen kann.

Das "CopenHill"-Kraftwerk versorgt 72.000 Haushalte mit Strom und 140.000 mit Fernwärme.
Das "CopenHill"-Kraftwerk versorgt 72.000 Haushalte mit Strom und 140.000 mit Fernwärme.

© Bernhard Schulz

Als Besucher kann man sich den Prozess nur vorstellen, nicht unmittelbar wahrnehmen, abgesehen von der Sammlung des Mülls und dem erwähnten Blick in die Höllenkammern der Öfen. Das ist auch angesichts der hohen Temperaturen und Drücke ganz gut so. Durchaus erleichtert treten die Besucher aus dem Kontrollraum durch eine weitere Tür ins Freie und finden sich nun auf dem letzten, am Gebäude entlanggeführten Teilstück der Skipiste wieder.

Wintersport im Flachland

Die ist allerdings an diesem Tag menschenleer. Und auch für eine Berg- beziehungsweise Bakke-Wanderung auf der von sorgfältig angepflanzten Gebirgsgewächsen gesäumten Treppe ist es nicht das beste Wetter. Die Bepflanzung der Fassaden in rasterartig versetzten Aluminiumkästen hat bislang noch nicht Gestalt angenommen. Unten angekommen, schiebt einen der heftige Wind, der sich um die gerundeten Ecken des Bauwerks nochmals beschleunigt, von selbst in das Café eines benachbarten Flachbaus. Da wird schon Après-Ski gefeiert, auch ohne vorherige Abfahrt. Wie man sich halt im Flachland den Wintersport vorstellt.

Und das mit gutem Umweltgewissen, werden doch aus „CopenHill“ 72.000 Haushalte mit Strom und etwa 140.000 mit Fernwärme versorgt. Jacob Simonsen, der Chef der Betreibergesellschaft ARC, bezeichnet „CopenHill“ als „energieeffizientestes Müllkraftwerk der Welt“.

Ein Bauwerk dieser Dimension ist nur am Rand einer Stadt denkbar, auch wenn sich Wohnbauten des wachsenden Kopenhagen bereits in die Nähe des Energieriesen geschoben haben. Amager Bakke – oder „CopenHill“ – macht deutlich, dass zwar eine einigermaßen umweltverträgliche Bewältigung des Müllproblems möglich ist. Man sieht aber auch, wie erschreckend viel Müll die Haushalte einer Stadt tagtäglich ausscheiden.

Konsequente Müllvermeidung jedenfalls hätte eine noch einmal deutlich bessere Ökobilanz als jede noch so gute Verbrennungsanlage – mit oder ohne Skilift.

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