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Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Demenz.

© LIGHTFIELD STUDIOS/AdobeStock

Sind Viren eine Ursache für Demenz im Alter?: Britische Studie zur Gürtelrose-Impfung gibt Hinweise

Seit 2013 werden in Großbritannien Menschen gegen die Viren geimpft, die Windpocken und Gürtelrose auslösen. So entstand eine historisch einmalige Chance, einem lang gehegten Verdacht nachzugehen.

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Demenz, bis zum Jahr 2050 wird die Zahl voraussichtlich auf 2,8 Millionen steigen. Die Details der Erkrankung sind gut beschrieben: Die Betroffenen verlieren ihr Gedächtnis, sind verwirrt und können nicht mehr selbstständig leben.

Die häufigste Art der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Dabei produzieren die Zellen im Gehirn Ablagerungen, die das Gewebe „verkleben“. In der Folge sterben immer mehr Nervenzellen ab, das Gehirn funktioniert immer weniger gut.

Noch immer aber ist es ein großes Rätsel, was eigentlich die Auslöser für diese zerstörerischen Prozesse sind. Schon lange verdächtigt werden Infektionen mit Bakterien oder Viren, die Beweislage ist aber bislang eher dünn.

Herpesviren: Profis im Verstecken

Eine neue Studie bringt nun, dank einer historisch einmaligen Ausgangslage, einen neuen Hinweis: Möglicherweise tragen Varizella-Zoster-Viren, die Erreger der Windpocken, zur Entstehung von Demenz bei. Es wäre ein weiterer Beleg dafür, dass Viren langfristig gesundheitliche Schäden verursachen können, die wir bei Weitem noch nicht überblicken.

Die meisten Viren, denen wir in Deutschland begegnen, machen gleich nach einer Ansteckung mehr oder weniger stark krank. Danach folgt eine Phase der Gesundung, die manchmal zwar Monate bis Jahre dauert, oft aber nur wenige Tage. In den meisten Fällen ist das Virus nach einigen Tagen bis wenigen Wochen aus dem Körper verschwunden.

2,8
Millionen Demenz-Erkrankte wird es allein in Deutschland 2050 voraussichtlich geben

Ganz anders verhält sich die Gruppe der Herpesviren. Mit den meisten von ihnen steckt man sich in den ersten Lebensjahren an, danach „verstecken“ sie sich das ganze restliche Leben im Körper. Einige der neun Herpesviren, die Menschen infizieren, sind in fast der gesamten Erdbevölkerung zu finden; und das Problem ist: Manchmal und erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Ansteckung können sie schwere Krankheiten auslösen.

Schmerzhaft und unangenehm

Das bekannteste Herpesvirus ist Herpes Simplex, Auslöser der schmerzhaften und unangenehmen „Fieberblasen“ bzw. „Lippenherpes“. Ungefähr sieben bis neun von zehn Menschen tragen dieses Virus in sich – in einer schlafenden, „latenten“ Form, und zwar in den Gesichtsnerven. Bei manchen Menschen wird das Virus irgendwann reaktiviert, etwas bei Stress oder bei Infektionen mit Bakterien oder anderen Viren. Es wandert dann in die Hautzellen der Lippen, und vermehrt sich dort sehr schnell, die Fieberblase entsteht.

In seltenen Fällen (in Deutschland einige Hundert pro Jahr) findet eine solche Reaktivierung im Gehirn statt. Es kommt zu einer lebensbedrohlichen Gehirnentzündung. Auch mit einer schnellen antiviralen Behandlung leiden viele der Betroffenen danach lebenslang, etwa unter epileptischen Anfällen.

So weit sind die Wege des Virus noch nachvollziehbar. Seit Längerem wird Herpes simplex aber auch verdächtigt, zur Entstehung der Alzheimer-Krankheit beizutragen. So wurde in Gehirnen von Verstorbenen das Virus in den Bereichen gefunden, in denen die Alzheimer-Schäden beginnen.

Demnach könnte das Virus aus den Gesichtsnerven quasi in die falsche Richtung wandern und im Gehirn ankommen – dann aber keine großflächige Infektion mit spürbarer Gehirnentzündung verursachen, sondern nur kleinräumige Schäden, die dann wiederum die Auslöser für die zu Beginn erwähnten Ablagerungen wären.

Solide Beweise für diese These fehlen aber. Das liegt auch daran, dass zwischen der Ansteckung mit dem Virus (im Kleinkindalter) und dem Ausbruch der Krankheit viele Jahrzehnte vergehen und eine Verbindung damit schwierig herzustellen ist.

Einzigartige Möglichkeit

Neben Herpes simplex werden auch andere Herpesviren auf einen möglichen Beitrag zu Alzheimer, oder allgemeiner zu Demenz untersucht. Ein naher Verwandter von Herpes simplex ist das Varizella-Zoster-Virus, das bei Kindern Windpocken beziehungsweise Gürtelrose bei Erwachsenen auslöst.

Um die Reaktivierungen im Alter und damit Gürtelrose zu reduzieren, gibt es seit gut zehn Jahren eine Impfung gegen das Varizella-Zoster-Virus – und die Einführung dieser Impfung hat eine einzigartige Möglichkeit geboten, das Verhältnis von Virus und Demenz zu untersuchen.

Denn in Wales, einem Teil von Großbritannien, wurde die Impfung 2013 eingeführt – allerdings nur für alle Menschen unter 80. Das bedeutet, dass alle Menschen, die vor dem 2. September 1933 geboren wurden, nicht geimpft wurden, alle danach schon.

Die häufigste Art der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Ablagerungen verkleben dabei das Gewebe; in der Folge sterben immer mehr Nervenzellen ab.

© mauritius images / Science Photo Library

Damit gab es zwei vergleichbare Gruppen, mit und ohne Varizella-Zoster-Impfung, um zu prüfen, ob die Impfung einen Einfluss auf neu auftretende Demenz-Fälle hat. Und das war tatsächlich der Fall: Die Impfung reduzierte die Häufigkeit davon – unter Einbezug des unterschiedlichen Alters der beiden Gruppen – um 20 Prozent. Bei Frauen war der Effekt deutlich größer als bei Männern.

Im ähnlichen Ausmaß ging die Häufigkeit von Gürtelrose zurück. Da das Virus alle Menschen in sich tragen, scheint die Impfung also „nur“ die Reaktivierung zu verhindern. Die Erklärung für die Beobachtung könnte also sein, dass wegen der Impfung das Varizella-Zoster-Virus seltener reaktiviert und damit weniger zur Entstehung einer Demenz beitragen kann.

Besserer Impfstoff erhältlich

Auch wenn dies erst mal schlüssig klingt, sind die Daten noch mit Vorsicht zu genießen. Denn durch das Stichdatum vergleicht man Gruppen mit unterschiedlichem Alter, und je älter die Menschen, desto häufiger tritt Demenz auf. Auch wenn dieser Effekt in der Studie herausgerechnet wurde, abschließend beurteilen kann man den Beitrag des Virus auf die Entstehung von Demenz damit noch nicht – und dass die Impfung vor allem Frauen vor Demenz schützt, gibt gleich das nächste Rätsel auf.

Angenommen, dass das Virus wirklich ein wichtiger Faktor ist zur Entstehung von Demenz: dann wird man, in vielen Jahrzehnten, vielleicht auch einen Einfluss der Impfung gegen Varizella Zoster im Kleinkindalter sehen, die in Deutschland 2006 begonnen hat, und relativ schnell zu deutlich weniger Windpocken geführt hat. Wenn diese Impfung bewirken könnte, dass sich das Virus gar nicht erst im Körper einnistet, kann es Jahrzehnte später auch keine Demenz auslösen.

Für Erwachsene ist seit 2018 ein deutlich besserer Impfstoff erhältlich; in Zukunft wird es interessant, zu untersuchen, ob auch dadurch ein Effekt auf die Häufigkeit von Demenz gemessen werden kann.

Herpesviren sind unsere lebenslangen Begleiter. Ob und wie in welchem Ausmaß sie tatsächlich Demenzerkrankungen wie Alzheimer verursachen, ist schwierig zu prüfen; günstige Gelegenheiten wie die Impfregeln in Wales sind selten. Sie sind aber auf jeden Fall ein Beispiel dafür, wie sehr uns Viren auch ohne Pandemie lästig werden können.

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