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Die Römer hatten ein, heute verschollenes, Betonrezept, das Bauten wie den Pantheon in Rom Jahrhunderte überdauern ließ.

© REUTERS / Tony Gentile

Selbstheilender Beton: Regen schließt die Risse

Beton aus dem antiken Rom ist besonders haltbar. Nun konnten Forschende ein Rezept für den Baustoff rekonstruieren, der ihm Selbstheilungskräfte verleiht.

Fast 2000 Jahre alt ist das Pantheon in Rom. Mehrere Erdbeben haben sein Fundament in dieser Zeit erschüttert. Und doch: Im Gegensatz zu jüngeren Bauwerken brachen seine Mauern nie ein. Auch andere altrömische Bauwerke sind heute noch verblüffend gut erhalten.

Das Geheimnis liegt in dem antiken Beton, aus dem sie gebaut sind. Der Baustoff verfügt über eine attraktive Eigenschaft: Er kann Risse selbst heilen lassen, die mit der Zeit in ihm entstehen. Gerät rissiger Beton mit Wasser in Kontakt, schließen sich feine Schäden, bevor sie zu großen Rissen auswachsen und Mauern einstürzen lassen.

Antiker Beton ist für die moderne Baustoffforschung deshalb sehr attraktiv. Nicht nur, weil er Gebäude haltbarer machen würde: Seine Herstellung ist auch wesentlich CO₂-ärmer als die von modernem Beton. Allein die Herstellung von Zement verursacht heutzutage acht Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes.

Jäger des verlorenen Rezepts

Doch wie genau im antiken Rom Beton angemischt wurde, ist heute unbekannt. Alle Aufzeichnungen gingen mit dem Untergang des römischen Reichs verloren. Analysen haben ergeben, dass für seine Herstellung Materialien wie Vulkangestein, Vulkanasche und mineralische Zutaten verwendet wurden, die unter anderem weiße Kalkbröckchen entstehen ließen. Nun wollen Forschende aus den USA, der Schweiz und Italien herausgefunden haben, wie diese Zutaten einst vermengt wurden, um Beton die gewünschten Eigenschaften zu verleihen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachblatt „Science Advances“.

Das Team um Admir Masic und Linda Seymour vom MIT untersuchte für seine Studie Proben der rund 2000 Jahre alten Stadtmauer von Privernum, einer archäologischen Stätte nahe Rom. Mithilfe verschiedener mikroskopischer Methoden analysierten sie die Zusammensetzung des Gesteins. Anschließend mischten sie die gefundenen Materialien so an, dass die im Vorbild beobachteten Strukturen entstanden.  

Neben dem Pantheon stehen noch zahlreiche andere antike Gebäude in Rom und außerhalb noch – nicht zuletzt wegen des besonderen Betons.
Neben dem Pantheon stehen noch zahlreiche andere antike Gebäude in Rom und außerhalb noch – nicht zuletzt wegen des besonderen Betons.

© AFP / FILIPPO MONTEFORTE

Masic, Seymour und ihr Team berichten, dass demnach für die Herstellung von Beton damals Calciumoxid, auch Branntkalk genannt, verwendet wurde. Branntkalk gewann man im antiken Rom, indem Kalkgestein bei mehr als 600 Grad Celsius erhitzt wurde. Auch bei diesem Prozess wurde CO₂ freigesetzt, jedoch wesentlich weniger als bei der modernen Herstellung von Zement, bei der Kalk zusammen mit Tonmineralien bei rund 1450 Grad Celsius erhitzt wird.

Gerät Branntkalk mit Wasser in Kontakt, entsteht sehr viel Wärme und Löschkalk. Frühere Studien nahmen an, dass im antiken Rom dieser Löschkalk anschließend mit weiteren Substanzen vermischt wurde, um Beton herzustellen. Doch entstehen bei diesem Verfahren nicht jene typischen weißen Kalkklümpchen, die römischer Beton enthält.

Branntkalk, Vulkanasche und Wasser

Das Team um Masic und Seymour ging daher anders vor. Sie mischten zunächst den Branntkalk mit Vulkangestein und -asche und fügten erst im letzten Schritt der Mischung Wasser bei. In der darauf folgenden chemischen Reaktion entstanden tatsächlich weiße Kalkbröckchen im Beton. Sie waren möglicherweise kein Zufallsprodukt, sondern ein erwünschtes Ergebnis der Herstellung.

Trifft Wasser auf jene Kalkbröckchen, wird zunächst Kalzium ausgewaschen, das anschließend Kalziumkarbonat entstehen lässt. Es reagiert mit dem Vulkangestein im Beton, was vorhandene Risse auffüllt – und schließt, bevor sie sich weiter fortpflanzen könnten.

„Über diese Klümpchen habe ich mich schon immer gewundert“, sagt Studienleiter Masic in einer Pressemitteilung. „Im antiken Rom war der Baustoff über viele Jahrhunderte optimiert worden. Warum sollten die Bauleute dann bei der Mischung nachlässig gearbeitet haben?“

Um den selbstheilenden Effekt der Kalkbröckchen zu belegen, formte das Team anschließend den gewonnenen Beton zu zylinderförmigen Säulen, denen sie Risse zufügten. Dann ließ das Team Wasser durch die entstandenen Lücken rinnen. Nach zwei Wochen war der Strom versiegt – die Risse hatten sich geschlossen.

Waren tonartige Mineralien entscheidend?

„Die Studie liefert eine gute Teilerklärung für die lange Haltbarkeit von altrömischem Beton“, sagt Volker Thome. Er ist Abteilungsleiter für Mineralische Baustoffe und Baustoffrecycling am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Valley. Dort forscht er zu antiken Baustoffen und beschäftigt sich ebenfalls mit dem Geheimnis des römischen Betons. Obwohl im Fall der Studie sogar versuchsweise ein Beton angemischt wurde, der entstandene Risse selbst heilt, zweifelt Thome daran, dass es sich um eine exakte Rekonstruktion der antiken Rezeptur handelt. Der Grund dafür liegt in der chemisch-physikalischen Zusammensetzung des Baustoffs: den Mineralphasen. So werden die Substanzen genannt, die beim Erstarren vom Beton entstehen und die letztlich Sand und Kies in dem Baustoff zusammenhalten.

„Wir haben festgestellt, dass die bisherigen Strukturmodelle von Mineralphasen, die man im römischen Beton entdeckt hat, zu einfach sind und nicht den realen Strukturen entsprechen“, sagt Thome. In echtem antiken Beton lassen sich demnach Strukturen finden, deren Entstehung auch durch die aktuelle Studie nicht erklärt werden können.

Allein die Zugabe von Branntkalk reicht deshalb vermutlich nicht, um die Selbstheilungskräfte des römischen Betons zu erklären, vermutet Thome. Er nimmt an, dass etwas anderes dem Beton seine Resilienz verleiht: noch unbekannte tonartige Mineralien, die bei der Mischung des Baustoffs ebenfalls hinzugefügt wurden. Derartige Mineralien im Nanometerbereich haben er und sein Team bereits in altrömischem Beton nachweisen können.

Im Sommer wollen sie den Baustoff mittels Synchrotron-Strahlung genauer untersuchen. Dabei wird das Gestein mit hochenergetischer Röntgenstrahlung beschossen, was Einblicke bis in die atomaren Strukturen eines Materials ermöglicht. Thome und sein Team erhoffen sich davon Aufklärung über die realen Mineralstrukturen, die in römischem Beton vorliegen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Forschende den Selbstheilungskräften von antikem Beton nähern und sogar versuchen, sie zu rekonstruieren. 2015 entwickelte ein niederländischer Forscher einen Beton, der ebenfalls selbstheilende Eigenschaften hat – jedoch auf lebendige Weise. Hendrik Jonkers präsentierte eine Mischung, die Tonpellets mit eingeschlossenen Bakterien und Nährstoffe enthält. Trifft Wasser auf die Tonpellets, bilden die Mikroorganismen ebenfalls Kalk, der feine Risse im Beton verschließt. In den Niederlanden wurde diese Technik bereits beim Bau eines Wasserbeckens angewendet.

Auch Masic und Seymour arbeiten nun an der Vermarktung ihrer Betonmischung. Ließe sich selbstheilender Beton beim Bau anwenden, würde das Reparaturkosten verringern und die Lebensdauer von Gebäuden verlängern – und letztlich Betonbauten nachhaltiger machen.

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