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Halbtages-Tierbestatter: Erwin Schrödinger.

© IMAGO / United Archives International

Tagesrückspiegel – Heute vor 87 Jahren: Das halbtote Heimtier des Star-Physikers

„Schrödingers Katze“ ist legendär. Dabei blieb sie zunächst Jahrzehnte lang fast völlig unbemerkt in ihrer Kiste.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Sie befindet sich in einer sehr dichten Kiste, die Katze. Und sie ist mit gleicher Wahrscheinlichkeit tot und lebendig. Denn mit Miezi zusammen wurde in die Kiste auch eine Portion Giftgas gelegt. Das tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent aus, weil der zu 50 Prozent wahrscheinliche Zerfall eines hypothetisches Atoms dies auslöst - was die Katze tötet. Wir sind draußen und wissen es nicht, ohne nachzusehen.

Der Physiker Erwin Schrödinger veröffentlichte dieses Gedankenexperiment, in dem die Katze gewissermaßen gleichzeitig tot und lebendig ist, am 29. November 1935. Er wollte damit wohl Kritikern der Quantenphysik an sich entgegentreten, kritisierte aber gleichzeitig selbst die Absurdität der damaligen Sicht der Quantenmechanik. In ihr werden manche Dinge simultan in völlig unterschiedlichen Zuständen postuliert, und ihren tatsächlichen Zustand kann man demnach nur kennen, wenn man sie direkt beobachtet, wobei bei die Beobachtung wiederum das Ergebnis beeinflussen kann.

Die gleichsam simultan tote und lebendige Katze ist damit - verkürzt gesprochen - auch ein Beispiel dafür, dass solche dualen Zustände auch in der Makrowelt denkbar, aber trotzdem absurd sind.

Wissenschaft ist, die Kiste aufzumachen und nachzugucken.
Wissenschaft ist, die Kiste aufzumachen und nachzugucken.

© Gambarini/dpa

Es war nicht das letzte Mal, dass der Physiker einen Ausflug in die Biologie machte. Im Gegenteil. Sein bekanntesten Buch heißt „Was ist Leben?“. Inhaltlich gilt es als ein Klassiker der unausweichlich oft fehlerhaften Exkursion eines Experten in ein anderes Fach.

Nachdenken über das Leben

Doch der Einfluss auf eine ganze Generation von Forschern und Forscherinnen war in den Jahren nach Erscheinen des Buches immens. Sie waren auch oft fachfremd. Es waren vor allem Physiker wie Francis Crick, die sich nach dem Krieg, als nicht mehr so viele von ihnen beim Militär gebraucht wurden, der Molekulargenetik verschrieben.

Und an manchen Stellen erwies sich Schrödinger als hellsichtig, etwa in seiner Voraussage, das Erbmaterial müsse eine Art „aperiodischer Kristall“ sein. „Ungemein treffend“ sei dies Postulat gewesen, schrieb in einem Brief an Schrödinger voller Bewunderung kein anderer als jener Crick, Mitentdecker der DNA-Doppelhelixstruktur.

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Das war 1953. Schrödinger war ein Star seiner Zunft, seinen halbtoten Stubentiger dagegen kannte auch da noch kaum jemand. Erst 1965 erweckte ihn der Philosoph Hilary Putnam in einem Buchartikel wieder zum Leben. Das Buch bekam im „Scientific American“ eine vielgelesene Rezension. Prominent erwähnt auch dort: die Katze. Erst von da an schlich sie sich auf leisen Pfoten in die Populärkultur, die Science Fiction und in gebildete Konversationen auf Cocktailpartys.

Dabei war sie in Schrödingers Originaltext nur ein kleiner Exkurs. Aber Ähnliches passiert ja öfters. Und offenbar nicht selten bei Zitaten, die etwas mit dem Leben zu tun haben. Auch der wohl berühmteste Satz Theodor W. Adornos etwa, dass es „kein richtiges Leben im Falschen“ gebe, war im Original eher eine kleine Randbemerkung - in einem Aphorismus zum Thema Wohnungsmöblierung. Unter Katzen soll er, leicht abgewandelt, als „Es gibt kein richtiges Leben in der Kiste“ bekannt sein.

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