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Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

© IMAGO/Political-Moments

„Das Vertrauen ist nachhaltig erschüttert“: Scharfe Kritik an Stark-Watzinger von Forschenden

Förderzusagen würden nicht eingehalten, Programme unvermittelt eingestellt: Es gibt Kritik an der Ministerin. Betroffen ist etwa Forschung zur Pandemie.

Es sind mehrere offene Briefe, die in diesen Tagen bei Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) eingehen. Der Absender sind Wissenschaftler:innen verschiedener großer Forschungsvorhaben, der Tenor ist derselbe.

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Von einer „unbegründeten Verschwendung wissenschaftlicher Arbeit“ ist da die Rede, von „zynischen“ Kürzungen und von „problematischen Tendenzen“, die exzellente und notwendige Forschung „erschweren“ würden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) „beschädige“ Wissenschaftler:innen und ihrer Reputation sowie nationale und internationale Forschungsbeziehungen.

Förderlinien droht die Einstellung

Der Hintergrund ist derselbe: Stark-Watzingers Ministerium hat kurzfristig längst zugesagte Bewilligungsbescheide gestoppt, teils von hohen Summen. Gesamte Förderlinien drohen unvermittelt eingestellt zu werden oder wurden bereits kurzfristig gestoppt, bei internationalen Kooperationen ist der deutsche Beitrag gefährdet.

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„Das Vertrauen in das BMBF ist nachhaltig erschüttert“, sagt Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Universität, von der ein Forschungsprojekt in der Förderline „Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Krise“ betroffen ist. „Es herrscht viel Frustration bei allen Beteiligten.“

„So etwas habe ich noch nicht erlebt“

Marianne Braig, ehemalige Vizepräsidentin der Freien Universität, äußert sich auf FU-Webseite mit den Worten: „So etwas habe ich als Wissenschaftlerin noch nicht erlebt.“ Braig gehört zum Projekt „BioTip“, das Kipppunkte, Dynamik und Wechselwirkungen von sozialen und ökologischen Systemen erforscht. Das Vorhaben wurde jetzt vom BMBF zwei Jahre vor dem offiziellen Ende und mitten im laufenden Verfahren abrupt beendet.

Wie viele Programme genau betroffen sind, ist unklar – teilweise organisieren sich Forschende auf Twitter und in Zoom-Calls, um einen Überblick zu erhalten. Nach Tagesspiegel-Informationen geht es neben den Themenbereichen „Gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie“ und Bio-Ökologie unter anderem auch um Rechtsextremismus-Forschung und innovative Frauenprogramme.

Aber nicht nur die Geisteswissenschaften seien betroffen, heißt es aus der Technischen Universität, wo ebenfalls vermehrt Aufforderungen zu Mittelkürzungen eintreffen: „Wir beobachten diesen Trend mit Sorge und hoffen, dass im Sinne einer stabilen und nachhaltigen Forschungslandschaft Mittelkürzungen vermieden werden können“, heißt es aus der TU.

„Neue Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen“

Ein Beispiel ist besagtes Programm „Biotip“: Seit 2019 arbeiten rund 130 Wissenschaftler:innen daran, international vernetzt. Die Projekte seien „international beispielgebend für die Frage der planetaren Grenzen und des Verlustes der Artenvielfalt“, heißt es in dem Offenen Brief der „Biotip“-Forschenden an Stark-Watzinger, der dem Tagesspiegel vorliegt. Schon Mitte 2021 habe das BMBF alle Projekte aufgefordert, Skizzen für eine planmäßige zweijährige Verlängerung einzureichen. Die Anträge seien bereits im Februar eingereicht worden.

Umso überraschender die Mitteilung am 9. Juni, dass die gesamte Verlängerungsphase gekippt wird. Begründet wurde dies vom BMBF laut offenem Brief mit „aktuell geringeren zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und neuen Schwerpunktsetzungen hinzu Forschungsaktivitäten, die einen schnellen Impact erzeugen“.

Vor allem letzteres ist bei den beteiligten Unis fast ungläubig aufgenommen worden. „Während in Deutschland Extremwettersituationen wie Hitzewellen und Dürren mit immer größerer Regelmäßigkeit auftreten, werden zeitgleich wegweisende sozialökologische Forschungsprojekte gekappt“, kritisiert FU-Präsident Günther M. Ziegler auf Anfrage.

Der Ärger ist bei vielen Betroffenen groß

Die Unis wüssten um die angespannte Haushaltslage, „aber wichtige Forschung zu kürzen, weil man sich von ihr keinen schnellen Impact verspricht, das ist besorgniserregendes Kurzfristdenken“. Nach dieser Logik gäbe es in Deutschland weder Entwicklungen zu Quantencomputer noch Künstlicher Intelligenz, von Covid-Impfstoffen ganz zu schweigen. „Wenn wir auf kurzfristige Wirkungsoptimierung setzen, werden wir nicht weit kommen.“

Die Verärgerung ist bei vielen Betroffenen groß, vor allem, weil die Zusagen oft seit Monaten feststehen und die Projekte längst startklar sind. HU-Psychologin Jule Specht etwa hatte für ihr Verbundprojekt, das Teil des Förderbereichs zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ist, bereits im Januar eine Förderzusage erhalten. Es geht dabei um immerhin 700.000 Euro in drei Jahren.

Eigentlich sollte es spätestens zum 1. Juli losgehen. Doch Mitte Juni, knapp zwei Wochen vor dem Start, war der Förderbescheid immer noch nicht eingetroffen. Im Telefonat mit dem Projektträger wird Specht zwar mitgeteilt, dass eigentlich alles vorbereitet sei – dass es aber Probleme mit dem Bundeshaushalt gebe.

Auch könne es sein, dass die Regierung „Altlasten“ der Vorgängerregierung nicht mehr mittragen wollen, wozu offenbar die Corona-Forschung gehöre. Am 29. Juni erhielt Specht dann eine Mail, dass es „noch keine Entscheidung des BMBF“ bezüglich der infrage stehenden Projekte gebe. Auch jetzt, zwei Wochen später, ist immer noch nichts passiert.

„Manche stehen vor dem Nichts“

In einem Zoom-Call trafen sich vor Kurzem 60 Wissenschaftler:innen, die bundesweit von nicht ausgestellten Förderbescheiden betroffen sind, erzählt Specht. Sie spricht von einer „krassen Situation“ und teilweise dramatischen Folgen für die Betroffenen. Ausgeschriebene Stellen könnten nicht angetreten werden. „Manche sind mit Kind und Kegel in eine andere Stadt gezogen. Die stehen vor dem Nichts“, sagt Specht.

Viel Arbeit sei offenbar völlig vergeblich gewesen, allein in ihrer Förderlinie gehe es um 400 Anträge, die geschrieben, gestellt und von vielen Forschenden dann auch begutachtet wurden. Specht fordert, das BMBF müsse an den Förderungen festhalten, die es in Aussicht gestellt habe. Es brauche jetzt zeitnahe Entscheidungen – und vor allem auch eine transparente Kommunikation.

BMBF verweist auf veränderte Rahmenbedingungen

Eine Sprecherin des BMBF teilte auf Anfrage mit, das Ministerium könne „gut nachvollziehen“, wenn Forscherinnen und Forscher bei geringerer oder ausbleibender Förderung von Anschlussprojekten enttäuscht sind. Leider sei dies den „Rahmenbedingungen“ geschuldet.

Dazu gehörten unter anderem die „besonderen Bedingungen“ des Haushaltsjahres, wie die Folgen des russisches Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Schuldenbremse, die ab 2023 wieder gilt. Tatsächlich hat auch bereits das Auswärtige Amt Mittel für den Deutschen Akademischen Austauschdienst gestrichen.

Laut BMBF seien es jetzt jedoch nur Einzelfälle, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden. Aktuell laufende Forschungsvorhaben müssten aus Kostengründen nicht abgebrochen werden.

Das Ministerium verwies auch darauf, dass eine Projektförderung immer zeitlich begrenzt sei. „Das Auslaufen der Projektförderung ist somit der Regelfall.“ Ein Hinweis, der die Betroffenen kaum trösten würde.

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