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Zurück im Hörsaal. Bundesbildungsministerin Annette Schavan 2011 an der Universität Münster.

© dapd

Stimmen zum Fall Schavan: „Rufmord“ an der Pädagogik

In der Debatte um die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Schavan ist der Eindruck entstanden, ungenaues Zitieren sei in den 70er und 80er Jahren in der Erziehungswissenschaft üblich gewesen. Dagegen wehren sich Fachvertreter in einer Umfrage.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) kämpft um ihren Doktorgrad. Die Universität Düsseldorf untersucht ihre 1980 veröffentlichte erziehungswissenschaftliche Dissertation zum Thema „Person und Gewissen“ auf Plagiate. Schavan kritisiert das Verfahren der Uni, weil daran keine externen Erziehungswissenschaftler beteiligt sind. Damit insinuiert Schavan, in der Erziehungswissenschaft hätten zur Zeit ihrer Promotion eigene Zitierstandards gegolten, so dass ihre Arbeit nur von Pädagogen angemessen beurteilt werden kann. Mehrere Professoren, auch Erziehungswissenschaftler, haben Schavan diesbezüglich in den Medien unterstützt. In der Öffentlichkeit ist so der Eindruck vermittelt worden, an Schavans Arbeit könnten im Plagiatsverfahren Maßstäbe angelegt werden, die nicht den Maßstäben der Fachkultur zur damaligen Zeit entsprachen. Wir haben darum einige Erziehungswissenschaftler befragt: Waren die Zitierstandards in der Erziehungswissenschaft der siebziger Jahre tatsächlich anders als heute? Oder war Schavans Doktorvater nicht so streng, weil er von einer Pädagogischen Hochschule an die Uni gekommen war?

Hans Brügelmann, emeritierter Professor für Grundschulpädagogik und -didaktik der Universität Siegen, zuvor Uni Bremen:

„Das ist völlig absurd. Ich selbst bin 1975 promoviert worden, darum bin ich mir sicher: Die Zitierregeln in der Erziehungswissenschaft waren damals die gleichen wie heute auch und nicht anders als in anderen Fächern – und wir kannten sie schon von der Schule. Darum braucht man auch keine Erziehungswissenschaftler, um zu beurteilen, ob die Zitierregeln in einer Dissertation von 1980 eingehalten wurden oder nicht. Wie zitiert wurde, hing damals auch nicht vom Gattungstyp einer Dissertation ab, also davon, ob es eine empirische oder eine literaturbasierte Arbeit war. Die Regeln galten immer. Auch wenn es häufig passiert, dass jemand ein paar Mal beim Zitieren schludert.“

Hermann Giesecke, Erziehungswissenschaftler, Emeritus der Universität Göttingen und früherer Professor an der Pädagogischen Hochschule Göttingen, die 1978 in die Uni integriert wurde:
„Die Maßstäbe für die Bewertung von Dissertationen unterliegen zeittypischen Verschiebungen. So hat sich die Erziehungswissenschaft seit den 70er Jahren deutlich verändert. Im Unterschied zur heute führenden empirisch orientierten Erziehungswissenschaft gehört Frau Schavan mit ihrer Dissertation wohl eher in die geisteswissenschaftliche Tradition der wissenschaftlichen Pädagogik. Diese berief sich nicht auf empirische Daten, sondern auf die Interpretation von Texten etwa der pädagogischen Klassiker. Auch hier ging es natürlich um exaktes Zitieren fremder Texte, aber weniger, um ,geistiges Eigentum’ zu schützen, als vor allem aus internen wissenschaftlichen Gründen: Wörtliche Zitate wurden oft zur Pointierung von Interpretationen benutzt und entsprechend ausgewählt. Dafür konnten kürzere Übernahmen ohne Quellennachweis bleiben, wenn klargestellt war, welcher fremde Text auf den nächsten Seiten bearbeitet wird. Generell muss eine wissenschaftliche Arbeit so angelegt sein, dass sie jederzeit überprüft werden kann. Dafür muss auch klar sein, wo die Quelle aufhört und der Text des Autors anfängt. Leitender Gesichtspunkt für die Bewertung ist aber die Konstruktion der gesamten Dissertation: Ist die Argumentation überzeugend aufgebaut und gegliedert und kommt am Schluss etwas heraus, was ,neu’ ist und dem ,Fortschritt des Faches’ dient? Und ist diese Leistung zweifelsfrei als eine des Autors oder der Autorin zu erkennen?“

"Selbstverständlich, dass Texte anderer Leute angegeben werden"

Sabine Reh, Professorin für Historische Bildungsforschung an der Humboldt-Universität und Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft:

„Was in der Erziehungswissenschaft damals üblich war, ist eine empirisch-historische Frage, die einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung harrt. Ich bin deshalb vorsichtig mit verallgemeinernden Äußerungen. Meine Mutmaßung ist die, dass es immer wieder Einzelne in der Erziehungswissenschaft – wie aber auch in anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen – gegeben hat, die den Ursprung einer Interpretation oder einer Idee nicht korrekt nachgewiesen haben. Aber dass dieses eine übliche Vorgehensweise war, wage ich zu bezweifeln. Dass man angibt, woher eine Idee stammt, war auch in der Erziehungswissenschaft nicht unbekannt; dass man wörtliche Zitate kennzeichnet und genau angibt, woher – aus welchem Buch, aus welchem Aufsatz von wem etwas entnommen ist und auf welcher Seite es steht –, habe ich, als ich Ende der 70er Jahre studierte, sowohl in der Germanistik, der Geschichtswissenschaft wie in meinen erziehungswissenschaftlichen Seminaren gelernt. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass sich im Einzelnen nicht immer einfach entscheiden lässt, wer die Autorschaft für eine Idee hatte und wann diese ausreichend nachgewiesen ist.“

Klaus-Jürgen Tillmann, emeritierter Professor für Schulpädagogik der Universität Bielefeld und ehemaliger wissenschaftlicher Leiter der Laborschule Bielefeld, der 1974 an der PH Dortmund promoviert wurde:
„Auch in den siebziger Jahren war es selbstverständlich und nicht strittig, dass die Texte anderer Leute adäquat bearbeitet und angegeben werden mussten. Wer Interpretationen aus der Sekundärliteratur referierte, musste diese Sekundärliteratur auch angeben. Schon während meines Studiums an einer Pädagogischen Hochschule (PH) Ende der sechziger Jahre hat es Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten und zum richtigen Zitieren gegeben. Das Argument, PH-Professoren könnten mit universitären Standards nicht vertraut gewesen sein, halte ich nicht nur deshalb für wenig stichhaltig. Die Professoren, die damals an den PHs lehrten, hatten doch auch alle selber an einer Universität studiert.“

"Schon damals galten die Gesetze des Zitieren"

Renate Valtin, emeritierte Professorin für Grundschulpädagogik der Humboldt-Universität und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben:
„Ich bin entsetzt, dass die wissenschaftlichen Standards meines Faches so gering eingeschätzt werden. Ich habe meine Dissertation 1968 an der Universität Hamburg bei den Erziehungswissenschaftlern eingereicht – und schon damals galten die Gesetze des Zitierens. Das haben wir schon in den Proseminaren gelernt.“

Michael Winkler, Professor für Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik an der Universität Jena:
„Meine Dissertation ist 1979 von der Philosophischen Fakultät I der Erlanger Universität angenommen werden. Ich kann darum in aller Deutlichkeit versichern, dass zu diesem Zeitpunkt in der wissenschaftlichen Pädagogik selbstverständlich die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens in aller Strenge gegolten haben; es gab keine Unterschiede zu anderen Fächern. Selbst bei Seminar- und Hausarbeiten wurde strikt auf die Einhaltung der Regeln geachtet. Wer sagt, dass bei Doktorarbeiten in der Erziehungswissenschaft aus den siebziger Jahren nachlässig mit den Standards wissenschaftlichen Arbeitens umgegangen worden ist, begeht Rufmord an dem Fach. Das ist ungehörig und unanständig – und: Es ist schlicht falsch.“ (Tsp)

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