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Gefährlicher Niederschlag. Hagel ist in einigen Regionen Mitteleuropas noch vor Überschwemmungen das schadensreichste Wetterereignis. Doch weil Hagelstürme so kleinräumig sind, können Wetterstationen sie sehr schlecht erfassen.

© AFP

Rätselhaftes Wetterphänomen: Urplötzlicher Eisregen

Kaum ein Wetterphänomen ist so schadensreich und unvorhersehbar wie Hagel. Er könnte in Zukunft häufiger auftreten - und soll nun genauer erforscht werden.

Das Jahr 2013 wird Klimaforscher Michael Kunz vom Karlsruher Institut für Technologie nie vergessen. Denn sein Spezialgebiet ist Hagel. Und Hagel in der Größe einer Grapefruit ging damals in Südwestdeutschland nieder. Bei Reutlingen las ein Wetterkundiger einen Eisklumpen mit 13 Zentimetern Durchmesser auf – ein neuer Rekord. Der Schaden hinterher belief sich den Versicherungen zufolge auf über eine Milliarde Euro.

Vor allem moderne Gebäude sind schlecht gegen die Eisgeschosse gerüstet. Lamellenstrukturen und Jalousien zersplittern leicht. Die Hagelkörner schlagen in Fassaden tiefe Krater, wenn diese von außen mit Styroporplatten gedämmt sind. Gefährdet sind auch die empfindlichen Oberflächen von Solarzellen und Sonnenkollektoren auf den Dächern.

„Weil moderne Gebäude weniger hagelrobust sind, übersteigen die Schäden im Bereich der Infrastruktur inzwischen jene der Landwirtschaft erheblich“, sagt Kunz. „Hagel ist in einigen Regionen Mitteleuropas noch vor Überschwemmungen das schadensreichste Naturereignis.“ Und dass, obwohl der Eisregen oft nur auf einem Streifen von wenigen Hundert Metern bis allenfalls 20 Kilometern Breite niedergeht. Nach wenigen Minuten sind die Wolken auch schon weitergezogen.

Arbeit an einer Hagelvorhersage

Aber Wetterdienste können bis heute Hagel nicht vorhersagen. „Wenn wir wenigstens zehn Minuten vorher warnen könnten, könnten die Leute ihr Auto in die Garage fahren und die Jalousien hochziehen. Das würde schon das Schlimmste verhindern“, sagt Ulrich Blahak aus der Abteilung Forschung und Entwicklung des Deutschen Wetterdienstes.

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„Es gibt jedoch keine anderen Wetterphänomene, die wir so schlecht verstehen wie Hagel und Tornados“, sagt Kunz. Das Unwissen fängt schon an den Wetterstationen an. Weil Hagelstürme so kleinräumig sind, erfassen diese den eisigen Niederschlag nicht systematisch und sind dafür auch nicht mit geeigneten Instrumenten ausgestattet.

Die Größe der Hagelkörner könnte im Zuge des Klimawandels künftig zunehmen, vermuten Forscher.
Die Größe der Hagelkörner könnte im Zuge des Klimawandels künftig zunehmen, vermuten Forscher.

© picture alliance/dpa

Forscher und Wetterdienste arbeiten nun erstmals an einer Hagelvorhersage. Die Schweiz baut dazu aktuell eigens ein Hagelmessnetz auf. Der Deutsche Wetterdienst arbeitet daran die Wettersimulationen zu verbessern, um kleinräumige und schnelle Phänomene wie Hagel besser vorauszusagen.

Blitze verraten den Hagel

Ein neuer Ansatz für die Vorhersage besteht darin, die Blitze aus den Gewitterzellen zu messen. Gibt es einen sprunghaften Anstieg der Blitzintensität, deutet das internationalen Forschungen zufolge auf ein unmittelbar bevorstehenden Hagelsturm hin. Denn das Anwachsen der Eiskugeln in der Wolke bewirkt eine verstärkte Ladungstrennung und damit mehr Blitze. „Ob das verlässlich genug ist, erforschen wir im Moment“, sagt Blahak.

Selbst wenn Blitze den Hagel verraten sollten, dürfte eine treffgenaue Vorhersage die Kür der Meteorologie bleiben. Bisher spucken die Rechner des Deutschen Wetterdienstes alle drei Stunden eine neue Simulation der Wetterlage über Deutschland aus. Aber Hagel entsteht in Zeiträumen von Minuten.

„Wir arbeiten daran, diesen Takt zu verkürzen und uns mehr auf die Echtzeit zuzubewegen“, erklärt Blahak. Das alleine reicht aber noch nicht. Die Vorhersage liefert auch nur alle zwei Kilometer Ergebnisse. Diese Maschenweite ist für kleinräumige Hagelstürme zu grob.

17 Radarsensoren des Deutschen Wetterdienstes detektieren schon heute vom Boden aus, wenn Hagel in einigen Kilometern Höhe die Radarstrahlung reflektiert. „Wenn wir dort oben Hagel sehen, warnen wir – also das ist im Grunde, wenn es schon hagelt“, sagt Blahak. Es ist sozusagen keine Vorhersage, sondern nur eine Wettermeldung, die noch dazu falsch sein kann. Wenn das Eiskorn in der Luft schmilzt, kommt nämlich am Boden manchmal Regen an.

Die Erderwärmung führt zu wärmeren und feuchteren Luftmassen über dem Hagelhotspot Zentraleuropa. Dadurch nimmt die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter zu.
Die Erderwärmung führt zu wärmeren und feuchteren Luftmassen über dem Hagelhotspot Zentraleuropa. Dadurch nimmt die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter zu.

© DPA

Um Hagel besser zu verstehen, werde der Deutsche Wetterdienst künftig auch Bürger zur Meldung aufrufen, kündigt Blahak an. MeteoSchweiz praktiziert das schon seit 2016 erfolgreich. Eidgenossen melden, wenn es hagelt, und können die ungefähre Größe der Körner mitteilen.

Die Schweizer Kollegen treiben nun ebenfalls eine Hagelvorhersage voran. Aktuell werden in der Schweiz 80 Messstationen für Hagel am Boden errichtet. Sie tragen eine Membran, die Hagel in Schwingung versetzt. Ein Mikrophon zeichnet das Trommeln der Eiskörner auf und übermittelt es an MeteoSchweiz. Aus den Daten lassen sich unter anderem die Größe der Körner und die Wucht ihres Aufpralls ermitteln.

Extremer Hagel könnte häufiger werden

Gewöhnlich kommen die Eisgeschosse mit 100 bis 200 Kilometern pro Stunde ähnlich schnell wie ein Autobahnfahrer daher. Aus den Geräuschen lassen sich auch die Dauer des Hagels und seine Häufigkeit ableiten.

Der Ruf nach mehr Hagelprävention wird auch deshalb lauter, weil Klimaforscher befürchten, dass extremer Hagel künftig häufiger auftritt. „Klar ist, dass die Erderwärmung zu wärmeren und feuchteren Luftmassen über dem Hagelhotspot Zentraleuropa führt. Dadurch nimmt mindestens die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter zu“, sagt Kunz. Aber bedeutet das auch mehr Hagel?

Während Forscher der Münchner Rückversicherung bereits eine Zunahme erwarten, ist der Karlsruher Klimaforscher zurückhaltend. „Das können wir momentan noch nicht sicher sagen.“

Die Körner werden immer größer

In den Nachbarländern Frankreich und Spanien detektieren Hagelsensoren schon seit den 80ern das seltene Wetterereignis. Dort kamen die Kollegen um José Luis Sanchez von der Universität Leon zu dem Ergebnis: Hagel selbst wird nicht häufiger. Aber die Körner werden immer größer. Solche Hinweise liefern auch italienische Forscher.

Das letzte Wort ist trotzdem noch nicht gesprochen. Dafür ist die Entstehung des Hagels in den Kumuluswolken zu kompliziert. Dieser kann nur dann entstehen, wenn die richtige Anzahl an Eiskeimen zugegen ist, erläutert Kunz. Reines, destilliertes Wasser würde erst bei etwa minus 38 Grad Celsius gefrieren. Befinden sich aber einige Bakterien in der Wolke, gefriert das Wasser schon bei etwa Null Grad.

Mikroben sind also ein echter Hagelkatalysator. Feinstaub in der Atmosphäre erzeugt den Hagel ab minus 10 Grad Celsius, Pollen bei minus 15 Grad Celsius. Was zu Boden fällt, ist also auch eine Frage der atmosphärischen Verschmutzung.

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