zum Hauptinhalt
Eine junge Dozentin spricht im Seminarraum mit einem Studierenden.

© mauritius images / Jacob Lund / Alamy

Update

Streit um Dauerstellen für Postdoktoranden: Parlamentsgutachter sehen grobe Fehler im Berliner Hochschulgesetz

Verfassungsrechtliche Entscheidungen stehen noch aus, aber jetzt haben Juristen des Abgeordnetenhauses §110 angeschaut - und sehen zwei kritische Punkte.

Das neue Berliner Hochschulgesetz, nach dem bestimmte wissenschaftliche Mitarbeitende nach der Promotion eine Dauerstelle bekommen sollen, widerspricht der im Grundgesetz garantierten Wissenschaftsfreiheit. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses.

Die in Paragraf 110, Absatz 6, Satz 2 getroffene Regelung erschwere es "den nachrückenden Jahrgängen wegen der insgesamt begrenzten Kapazitäten der Hochschulen, Qualifikationsstellen zu finden", heißt es in dem Gutachten, das die Juristen des Abgeordnetenhauses auf Antrag der CDU-Fraktion erstellten. Dies beeinträchtige die "Fluktuation des wissenschaftlichen Personals".

Damit bestätigt der Parlamentsdienst, der das Abgeordnetenhaus insbesondere bei Gesetzgebungsverfahren in juristischer Hinsicht unterstützt, die Auffassung, die Berliner Postdoc-Verstetigung drohe das im Mittelbau auf permanente Fluktuation ausgerichtete Wissenschaftssystem auf Dauer zu verstopfen.

Die Regelung gilt zwar nur für Promovierte, die sich etwa für eine Professur weiterqualifizieren und deren Stellen aus Haushaltsmitteln der Unis finanziert werden. Doch der Parlamentsdienst sieht trotzdem eine kritische Zahl von Personen im Mittelbau betroffen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das hatten die Berliner Hochschulleitungen von Anfang an kritisiert und damit hatte die ehemalige Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, im Oktober 2021 ihren Rücktritt zum Jahresende begründet. Kurz zuvor war die Novelle unter dem Titel "Gesetz zur Stärkung der Berliner Wissenschaft" mit den Stimmen der damaligen Rot-rot-grünen Regierungskoalition beschlossen worden.

Freie wissenschaftliche Betätigung darf nicht gefährdet werden

Zum Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit heißt es im Parlamentsgutachten: Nach Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes dürfe der Staat "keine ungerechtfertigten Eingriffe in die akademische Selbstverwaltung und die Lehre vornehmen". Das gelte auch für "organisatorische Regelungen, die die freie wissenschaftliche Betätigung strukturell gefährden".

Genau das sei aber der Fall, wenn die "Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses" beeinträchtigt werde, indem nachkommende Generationen weniger Chancen auf jeweils freiwerdende und wiederum befristete Stellen hätten. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst beruft sich hier auf das Bundesverfassungsgericht.

Zwar würden Arbeitsgerichte meist anders entscheiden. Für sie stelle die Bildung des wissenschaftlichen Nachwuchses keinen Grund für befristete Arbeitsverhältnisse dar. Doch das Bundesarbeitsgericht habe festgestellt, "durch die Befristungen würde die Überalterung des wissenschaftlichen Mittelbaus vermieden" - und die Hochschulen blieben funktionsfähig.

Angezweifelt wird auch die Berliner Gesetzgebungskompetenz

Viel Rückenwind also für die CDU-Fraktion, die im Frühjahr zu diesen Fragen bereits eine Normenkontrollklage beim Berliner Verfassungsgericht angestrengt hat. Zumal die Hausjuristen des Parlaments auch jenen Kritikern Recht geben, die eine Berliner Gesetzgebungskompetenz für §110 anzweifeln.

Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen stehen in Warnwesten und mit Rasseln vor dem Berliner Abgeordnetenhaus.
Vor dem Abgeordnetenhaus demonstrierte die GEW Mitte Mai für mehr Dauerstellen.

© Tsp/Burchard

Es gebe „erhebliche Bedenken gegen eine Zuständigkeit des Landes Berlin", heißt es im Gutachten: Vorrangig sei das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) des Bundes. Mit den darin getroffenen Befristungsregelungen wolle der Bund "die Erneuerungsfähigkeit der Hochschulen" sichern, was die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes nicht berücksichtige.

Adrian Grasse, der hochschulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, sieht seine Positionen denn auch bestätigt: "Ich hatte nicht erwartet, dass das Gutachten in dieser Deutlichkeit ausfällt", so Grasse in einem Statement für den Tagesspiegel. "Es lässt sich ableiten, dass Berlin mit der Regelung zwingender Anschlusszusagen für Postdoktoranden unzulässig in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Arbeitsrecht und zur Befristung von Arbeitsverträgen eingreift."

CDU-Experte sieht "letzten Warnschuss" für Rot-Grün-Rot

Das Gutachten legt aus Grasses Sicht ebenfalls dar, dass die Befristung der Stellen nicht willkürlich erfolge. Sie sei vielmehr notwendig, "damit die Hochschulen ihrer Aufgabe der Nachwuchsförderung weiterhin nachkommen können". Die Befristungsregelungen abzuschaffen, würde die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen gefährden, erklärt Grasse.

Ein Porträtbild Grasses vor dem Türschild des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin.
Die Anfrage beim Wissenschaftlichen Parlamentsdienst stellte der CDU-Abgeordnete und Hochschulexperte Adrian Grasse.

© Hannes Heine/TSP

Insofern sei es auch nicht gerechtfertigt, ihnen eine "Blockadehaltung" gegen das neue Berliner Hochschulgesetz vorzuwerfen. "Rot-Grün-Rot sollte das Gutachten als letzten Warnschuss verstehen, den Paragrafen zu streichen und die Gesetzesänderung zurückzunehmen, um weiteren Schaden vom Wissenschaftsstandort abzuwenden", so Grasse.

[Lesen Sie dazu auch einen Gastbeitrag aus der Humboldt-Universität zum Thema: Schafft endlich Lecturer-Stellen!]

Es sei absehbar, "dass es sonst die Gerichte tun werden", erklärt der CDU-Abgeordnete mit Blick auf die auch von der FPD-Fraktion vertretene Normenkontrollklage sowie eine Klage beim Bundesverfassungsgericht, die HU-Präsidentin Sabine Kunst im Dezember 2021 kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt eingereicht hatte.

In anderen Punkten allerdings gibt der Wissenschaftliche Parlamentsdienst der Opposition nicht Recht. So stelle die späte Änderung des Gesetzentwurfs, durch die die Postdoc-Regelung erst im letzten Moment eingefügt wurde, keinen Verfassungsverstoß dar. Dass nur eine Lesung zum Änderungsantrag stattgefunden habe, sei ausreichend, das Gebot zweier Lesungen beziehe sich nur auf Gesetze im Ganzen.

Auch gegen das "Hausberufungsverbot" verstößt Paragraf 110 offenbar nicht: Die im Grundgesetz verankerte Bestenauslese könne nicht allein durch die öffentliche Ausschreibung von Stellen erfüllt werden, heißt es. Analog zum Tenure Track bei Juniorprofessuren, die bei erfolgreicher Arbeit auf dauerhafte Professuren übergeleitet werden, seien die Promotion und vertragliche Vereinbarungen über spätere Qualifikationen etwa in der Lehre "als Äquivalent zur Bestenauslese" anzusehen.

Andere Gutachten kamen zu anderen Ergebnissen

Ein verfassungsrechtliches Gutachten, das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Auftrag gegeben hatte, kam unlängst insgesamt zu vollkommen anderen Ergebnissen. Unter anderem wird darin sehr wohl eine Berliner Gesetzgebungskompetenz beim Arbeitsrecht für die Hochschulen gesehen.

Aus der Wissenschaftsverwaltung hieß es auf Anfrage, die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen seien "überaus komplex" und am Ende verbindlich nur durch die dafür zuständigen Verfassungsgerichte zu beantworten. Das gelte es abzuwarten. Die Verwaltung verwies nicht nur das GEW-Gutachten, sondern auch darauf, dass der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Bundestages das Klärungsverfahren als "offen" bezeichnet habe. Die gerade laufende Reparaturnovelle des Gesetzes sieht die Verwaltung nicht tangiert.

Tobias Schulze: Befristung bis zur Qualifikation unberührt

Dezidierter äußert sich Tobias Schulze, Hochschulexperte der Linken-Fraktion und einer der "Väter" der Postdoc-Regelung. "Dass den Ländern kein Spielraum bei der Gestaltung der universitären Personalstrukturen zukommt, kann ich nicht nachvollziehen." Das WissZeitVG regele die Befristungsmöglichkeiten "bis zur Qualifikation", stellt Schulze in einem Statement für den Tagesspiegel klar.

Diese blieben vom Berliner Hochschulgesetz unberührt. "Paragraf 110, Absatz 6 regelt die Frage, was nach dem befristeten Vertrag und der vollzogenen Qualifikation geschieht. Hier fällt den Ländern eindeutig die Kompetenz zu, dieses Prinzip ist auch etwa bei Juniorprofessuren mit Tenure Track bisher nicht rechtlich angegriffen worden", so Schulze.

Auch das Argument, durch eine Anschlusszusage werde die Wissenschaftsfreiheit angegriffen, weil die notwendige Fluktuation nicht gegeben sei, weist der Linken-Vertreter zurück. Die Wissenschaftsfreiheit würde gerade "durch die Entfristung von erfahrenen, mehrfach qualifzierten Wissenschaftler:innen" garantiert, verweist Schulze auf das GEW-Gutachten, das von der Verfassungsjuristin Rosemarie Will stammt.

Mit der Reparaturnovelle mache die Regierungskoalition noch deutlicher, "dass es um eine Besetzung von entfristeten Stellen nach den zwei Phasen der Qualifikation geht und damit das WissZeitVG nicht berührt wird". Der Senat gebe den Universitäten zudem eine Übergangsfrist: Damit würden Einstellungen nach der neuen Regelung erst ab Oktober 2023 erfolgen, womit "das verfassungsmäßige Prinzip der Bestenauslese in jedem Fall gewahrt werden kann", betont Schulze.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false