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Depressive Frau vor einem Baum.

© Julian Stratenschulte / dpa

Pandemie und Psyche: Wen der Corona-Stress krank macht

Wissenschaftler aus Europa und Afrika analysieren die Folgen der Pandemie für die psychische Gesundheit. Besonders gefährdet sind Frauen und junge Menschen.  

Vor den Gefahren Corona-bedingter Stressfaktoren wie Isolation, Arbeitsplatzverlust und Sorgen um das körperliche Wohlbefinden warnten die Vereinten Nationen im Mai dieses Jahres. Doch welchen Einfluss hat Corona konkret auf das Seelenleben? Wie wirkt sich das Virus auf die psychische Gesundheit von Menschen in verschiedenen Weltregionen aus?

Die Forschung zu psychischen Langzeitfolgen steckt ein gutes halbes Jahr nach Beginn der Pandemie noch in den Kinderschuhen. Trotzdem gibt es bereits erste Ansätze, die mentalen Verheerungen der Seuche im globalen Maßstab zu vergleichen. 

Auf einem von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Akademie der Wissenschaften Südafrikas organisierten internationalen Podium diskutieren Expertinnen und Experten aus Afrika und Europa zu Beginn der Woche über psychische Gesundheit in Corona-Zeiten.

Dabei gehen alle beteiligten Psychologen davon aus, dass die Pandemie bei vielen Menschen seelische Langzeitfolgen zeitigen wird. Bislang habe sich die Anzahl psychischer Krankheiten jedenfalls sichtlich erhöht.  Frauen gelten – neben Vorerkrankten, jungen Menschen und sozial benachteiligten Personen – in vielen Ländern als besonders betroffene Bevölkerungsgruppe.

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In Südafrika, dem von Corona am stärksten gebeutelten Land des afrikanischen Kontinents, habe sowohl die Furcht vor den gesundheitlichen Konsequenzen als auch die ökonomische Unsicherheit zu einem Anstieg depressiver Symptomatiken geführt, erklärt der Psychologieprofessor Ashraf Kaggee von der Universität Stellenbosch.

Menschenmenge in einem Township in Südafrika.
Südafrika ist das vom Corona-Virus am stärksten betroffene Land des afrikanischen Kontinents.

© Themba Hadebebe / dpa

Das gleiche gelte für Symptome von Angst- und posttraumatischen Belastungsstörungen. Die bisherigen Studien offenbarten, dass Frauen, die häufiger in der Care-Wirtschaft und der Service-Industrie beschäftigt seien, dem Corona-Stress in besonderem Maße ausgesetzt seien. Auch ein Anstieg häuslicher Gewalt im Lockdown spiele hier eine Rolle, sagt Kaggee.

Angst vor ökonomischem Ruin

Ein weiterer demografischer Faktor sei in Südafrika das Alter: So gebe es vor allem bei den unter 40-Jährigen eine größere Angst vor ökonomischem Ruin. Bei chronisch Kranken, etwa HIV-Infizierten, hätte nicht zuletzt der während des Lockdowns erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung zu starker psychischer Belastung geführt.

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Auch das notwendige Social Distancing bringe in der südafrikanischen Gesellschaft massive Probleme mit sich. So könnten wichtige kulturelle Praktiken, die für den sozialen Zusammenhalt essentiell seien, nicht in gewohnter Weise durchgeführt werden. Etwa Beerdigungszeremonien mit vielen Teilnehmern, die seit der Ära der Apartheit als Institutionen der Ermächtigung und des politischen Austauschs fungieren.       

Der nigerianische Psychiater Oye Gureje vom WHO Collaborating Centre for Research and Training in Mental Health der Universität Ibadan erklärt, dass die ersten Corona-Fälle in Nigeria zunächst eine regelrechte Panik verursacht hätten. Genauere Studien zu psychischen Erkrankungen gebe es aber bislang nicht, zumal diese in Nigeria aufgrund der Stigmatisierung von Seelenleiden schwer durchzuführen seien.

Fake News in Nigeria

Inzwischen sei die anfängliche Corona-Angst zumindest in den bildungsferneren Bevölkerungsschichten fast gänzlich verschwunden, so Gureje. Dies vor allem deshalb, weil Fake News grassieren, die die Existenz des Virus bestreiten oder es zu einem rein westlichen Problem erklären. Angst vor dem Virus selbst gebe es inzwischen fast nur noch in der bildungsnahen und gut informierten Oberschicht.

Eine Frau mit Mund-Nasen-Schutz überquert die Hauptstraße in Lagos.
Zu Beginn der Pandemie herrschte in Nigeria regelrechte Panik. Inzwischen grassieren Fake News, die die Existenz des Virus leugnen oder es zum rein europäischen Problem erklären.

© Sunday Alamba / dpa

In der einkommensschwachen Mehrheit sei es vor allem der Lockdown gewesen, der Angst und Wut hervorgerufen habe. Da in Nigeria keine wirklichen sozialen Sicherungssysteme existieren, erweist sich ein wirtschaftlicher Shutdown als potentiell lebensbedrohlich. Obwohl es noch keine repräsentativen Daten gibt, geht Gureje für die nahe Zukunft von einem deutlichen Anstieg psychischer Erkrankungen unter den Nigerianern aus.

Deutlicher Anstieg depressiver Symptome

Ähnliches gilt für Europa, wo es nach einschlägigen Screening-Tests bereits erste Zahlen gibt. So berichtet etwa die Psychologin Berta Ausín von der Universität Madrid, dass sich die Anzahl an Menschen, die unter depressiven Symptomen litten, in Spanien während der ersten 100 Pandemie-Tage verdoppelt habe.Inzwischen habe sich die Situation etwas gebessert, sei aber noch keineswegs auf Vor-Corona-Level. In den Symptombereichen von Despression, Angst- und posttraumatischer Belastungsstörung seien Frauen jeweils ungleich stärker betroffen.

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Für Deutschland stünden genaue Zahlen noch aus, erklärt Andreas Heinz, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin. Allerdings lag der Anteil psychischer Erkrankungen am Gesamtkrankenstand in der ersten Hälfte des Jahres laut einem Bericht der Techniker Krankenkasse bei beinahe 20 Prozent. Krankmeldungen aufgrund psychischer Probleme hätten demnach deutlich zugenommen, so Heinz.

Was die Zahl der Selbsttötungen angehe, sei bislang hingegen kein Anstieg zu verzeichnen. Mit Blick auf die Eurokrise in Griechenland wisse man aber, dass wirtschaftliche Großkrisen Selbstmordraten in die Höhe treiben können. Eine sowohl von physischen als auch von psychischen Folgen besonders betroffene Bevölkerungsgruppe seien obdachlose Menschen, meint Heinz. Deren ohnehin erschwerter Zugang zum Gesundheitssystem habe sich weiter verengt.

Als wichtigste Präventionsmaßnahmen gegen psychische Erkrankungen erachten die Experten sowohl wirtschaftliche Hilfen als auch die Bereitstellung von Informationen. Demnach helfen schnelle Schutzmaßnahmen und ein umfassendes Verständnis der Lage am besten gegen psychischen Stress.

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