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Zwei Auszubildenden in der Altenpflege helfen einem hochbetagten Bewohner beim Aufstehen.

© epd

Update

„Bildung auf einen Blick“ 2020: OECD appelliert an Betriebe, trotz Corona weiter auszubilden

Die duale Berufsausbildung als Rettungsanker nach der Corona-Krise? Das wäre möglich, sagt die OECD. Aber nur, wenn die Unternehmen wie bisher ausbilden.

Der beruflichen Bildung in Deutschland könnte eine Schlüsselrolle bei der ökonomischen Bewältigung der Coronafolgen zukommen. Doch die zentrale Stellung der Unternehmen in der dualen Ausbildung stellt dabei einen Unsicherheitsfaktor dar. Diesen Fokus setzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem diesjährigen Bericht „Bildung auf einen Blick“.

Die Studie vergleicht die Bildungssysteme in 37 OECD-Staaten und zusätzlich in neun weiteren Ländern, darunter Argentinien, Brasilien, China und Russland. Der Länderbericht für Deutschland wurde am Dienstag in Berlin in der Bundespressekonferenz von OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und von Stefanie Hubig (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz vorgestellt.

Hohe Beschäftigungsquoten mit beruflicher Bildung

Den hohen Stellenwert der dualen beruflichen Berufsausbildung hatte die OECD in früheren Jahren immer wieder ignoriert. Sie verweist auch bis heute auf den im internationalen Vergleich niedrigen Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit Tertiärabschluss. Der ist zwar in Deutschland zwischen 2009 und 2019 von 26 auf 33 Prozent gestiegen. Damit liegt er aber noch immer weit unter dem OECD-Schnitt von 45 Prozent.

[Lesen Sie hier unseren Bericht über "Bildung auf einen Blick" 2019: Mehr Studierende, aber Investitionen reichen nicht]

Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass hierzulande qualifizierte Fachkräfte im Handwerk und in zahllosen anderen Branchen im dualen System ausgebildet werden. In vielen anderen Ländern dagegen findet die Ausbildung überwiegend schulisch oder in akademisierten Programmen statt. "OECD-Analysen zeigen, dass es genau das Lernen am Arbeitsplatz ist, dass die berufliche Bildung so erfolgreich macht", sagte Andreas Schleicher am Dienstag bei der Präsentation des Berichts.

Das Berufsausbildungssystem stellt laut OECD eine ebenso hohe Beschäftigungsfähigkeit wie das Hochschulsystem sicher – sie liegt in Deutschland jeweils bei 88 Prozent der 25- bis 34-Jährigen. Und nur drei Prozent mit beruflicher Bildung sind erwerbslos, im OECD-Mittel sind es doppelt so viele. Gleichwohl wird wie in den Vorjahren der hohe Einkommensvorteil von Menschen mit einem Tertiärabschluss betont (zu dem formell allerdings auch der Meister- oder Technikerabschluss zählen).

"Schlüsselrolle in Erholungsphase nach Covid-19"

Wie aber sieht die OECD die „Schlüsselrolle in der Erholungsphase nach der Covid-19-Pandemie“, die sie der beruflichen Bildung zutraut? Zum einen wird hervorgehoben, dass viele der Berufe, die während des Lockdowns systemrelevant waren, von berufsbildenden Qualifikationen abhängen. Weil sie etwa für die Abstimmung zwischen Bildung und Arbeitsmarkt und für den erfolgreichen Übergang ins Erwerbsleben so wichtig sei, spiele sie für die wirtschaftliche Erholung „eine zentrale Rolle“.

Zwei Kitaerzieherinnen schauen mit vier Kleinkindern in Bilderbücher und sprechen mit ihnen.
Im OECD-Bericht gelobt wird der gute Betreuungsschlüssel in Krippen und Kitas.

© Waltraud Grubitzsch/picture alliance/dpa

Gleichzeitig weist die OECD jedoch darauf hin, dass die Finanzierung beruflicher Bildung in hohem Maße von privater Finanzierung abhängig sei – durch Betriebe und Unternehmen. So stammten 2017 in Deutschland bis zu 56 Prozent der Aufwendungen für berufliche Bildung aus privaten Quellen. Im OEDC-Schnitt waren es nur 13 Prozent.

"Trotz Einschränkungen berufliche Bildung anbieten"

Während in Deutschland 89 Prozent der Auszubildenden dual in Betrieben und Schulen lernen, gilt dies im OECD-Schnitt nur für 34 Prozent. Folglich werde der betriebliche Anteil der Ausbildung hierzulande „in Zukunft entscheidend davon abhängen, in welchem Maße die Arbeitsgeber den Willen und die Fähigkeit haben, trotz der Einschränkungen im Zuge der Covid-19-Krise berufliche Bildung anzubieten“, warnt die OECD.

KMK-Präsidentin Stefanie Hubig wandte dagegen sein, dass sich Befürchtungen, wegen der Corona-Krise könnten deutlich weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen werden, offenbar nicht bewahrheite. Die Abschlüsse hätten sich im Wesentlichen nur zeitlich "nach hinten verschoben".

[Lesen Sie auch unseren Bericht über den aktuellen Ausbildungsreport des DGB: Gravierende Mängel im System]

In Rheinland-Pfalz zeichne sich ein leichter Rückgang um vier Prozent ab, der sich aber aus dem demografischen Wandel, also mit der zurückgehenden Zahl an Schulabgängern, erkläre. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sprach von einem "Nachholeffekt auf einem etwas niedrigeren Niveau". "Berufliche Bildung ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können und müssen", so Karliczek.

Herausragend ist indes die Finanzierung der beruflichen Schulen mit 15.466 US-Dollar pro Schülerin und Schüler – 40 Prozent höher als im OECD-Schnitt.

"Systemwandel" in frühkindlicher Bildung

Den Kleinsten im deutschen Bildungssystem attestiert die OECD einen „guten Start ins Leben“ – aufgrund rein statistischer Daten zum Krippen- und Kitabesuch. So besuchen bereits 41 Prozent der Einjährigen eine „Einrichtung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung“ (OECD: 34 Prozent), bei den Zweijährigen sind es 67 Prozent (OECD: 46 Prozent), bei den Drei- bis Fünfjährigen 94 Prozent (OECD: 88 Prozent).

Stefanie Hubig begrüßte den "Systemwechsel in Deutschland", der mehr Kinder früher in die Bildungseinrichtungen bringe: "Wir wollen, dass Bildung früh beginnt, dass Kinder Sprachen lernen, dass sie sozial lernen und dass sie Demokratie lernen."

"Tiefe Spuren" des Lockdowns bei vielen Schülern

Eher kritisch sieht die OECD dagegen die Auswirkungen der Coronakrise auf die Schulen. Die Schulschließungen hätten in Deutschland durchschnittlich drei Wochen länger gedauert als im OECD-Mittel, erklärte Schleicher. Die dadurch entstandenen Lernverluste "könnten für die Corona-Generation ein Minus von drei Prozent beim Lebenseinkommen bedeuten".

Zwar lobte Schleicher den Digitalisierungsschub beim Fernunterricht. Der habe aber benachteiligte Schüler ohne Unterstützung zu Hause und von ihren Lehrkräften und ohne moderne Lerntechnologien nicht erreicht. "Bei denen hat der Lockdown tiefe Spuren hinterlassen", mahnte Schleicher.

Sein Appell: Nach der Wiedereröffnung der Schulen reiche es nicht, den Status quo wiederherzustellen, vielmehr müsse die Digitalisierung des Lernens jetzt konsequent vorangetrieben werden. Karliczek verwiesen auf den Digitalpakt für die Schulen und die zusätzlichen Bund-Länder-Programme etwa für staatliche finanzierte Laptops und mehr Lehrerfortbildung.

Doch KMK-Chefin Hubig stellte auch klar: "Präsenz ist wichtig." Das Lernen in der Schule könne nicht durch Digitalunterricht ersetzt werden. "Wir brauchen viel Schule in der Schule, Digitalisierung kann nicht die Ultima Ratio sein."

[Lesen Sie auch unseren Bericht über schleppend abfließende Mittel aus dem Digitalpakt: Länder gehen in Vorkasse]

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